Dieser Text handelt von einem großen politischen Flop. Es ist zugleich die Geschichte eines vergessenen Details der Arbeitsmarktreformen.
Anfang 2005 trat mit Hartz IV der größte sozialpolitische Umbau seit Jahrzehnten in Kraft. Sozial- und Arbeitslosenhilfe wurden abgeschafft, das Arbeitslosengeld wurde auf zwölf Monate reduziert und die „Grundsicherung für erwerbsfähige Hilfebedürftige“ eingeführt. Vor der Reform waren Arbeitsämter für die Vermittlung und Sozialämter für Miet- und Heizkosten, Hilfen bei Alkoholentzug und Kinderbetreuung zuständig. Rot-Grün legte die Behörden nun in so genannten Jobcentern zusammen, die gern auch „Argen“ genannt werden.
Der Steuerzahler wurde für neue Computer-Software zur Kasse gebeten, neue Räume wurden angemietet, jede Menge Personal umbesetzt und so weiter. „Die Zusammenführung der unterschiedlichen Kompetenzen birgt enorme Chancen für eine ganzheitliche Betreuung, hat allerdings auch aufwändige personelle und organisatorische Findungsprozesse zur Folge“, konnte man schon im ersten Jahr der Reform in einer Broschüre des Arbeitsministeriums lesen. Doch der Aufwand sollte sich ja lohnen: Endlich sollten die Erwerbslose aus „einer Hand“ betreut werden, damit es mit der Vermittlung fortan besser laufe.
So entstanden in knapp 350 Städten und Kommunen die „Argen“. Daneben sah die Hartz-Reform 69 Optionskommunen vor: Dort blieb die Bundesagentur für Arbeit außen vor und die Sozialbehörde kümmerte sich alleine um Vermittlung und Betreuung der Erwerbslosen. Und mancherorts geschah weder das eine noch das andere: Sozialamt und Bundesagentur gingen weiter getrennte Wege.
Celle, Karlsruhe, Passau
Man könnte sie die vergessenen Kommunen nennen, jene 21 Städte und Gemeinden, in denen es von der Öffentlichkeit kaum bemerkt zugeht, wie vor der Hartz-Reform. Große Kommunen wie Celle, Karlsruhe, Heilbronn und Ulm sind darunter. Und die Dreiflüssestadt Passau in Ostbayern mit ihren gut 50.000 Einwohnern.
Das Sozialamt ist zusammen mit der Kfz-Zulassungsstelle in der Vornholzstraße im Westen der Stadt untergebracht. Die Bundesagentur für Arbeit hat ihre Räume im Stadtzentrum. Ordentlich nach ihren Aufgabengebieten geteilt, betreuen beide Behörden die rund 1.100 Passauer Erwerbslosen. Und das offenbar mit besten Ergebnissen. „Wir können gut damit leben, die Zusammenarbeit mit der Kommune funktioniert problemlos“, sagt Walter Flierl, der Geschäftsführer der Passauer Arbeitsagentur. „Wir sind sehr zufrieden“, sagt auch Herbert Zillinger, der Pressesprecher der Stadt. „Von unserer Sicht aus läuft das prima.“ Bisher habe sich auch noch kein Erwerbsloser beschwert, für die Antragstellung reicht ein Gang zur Arbeitsagentur, die dann die entsprechenden Formulare an das Sozialamt weitergibt.
Warum man in Passau andere Wege als im Rest der Republik beschritten hat, ist mittlerweile fast vergessen. „Das hat man damals entschieden“, sagt Agentur-Geschäftsführer Flierl. „Das war vor meiner Zeit.“ Damals, das war 2005, als mit der Hartz-Reform auch die Zuständigkeiten umgepflügt wurden. „Wir haben seinerzeit die Probleme gesehen, die sich bei der Zusammenlegung von zwei Behörden ergeben“, erinnert sich Pressesprecher Zillinger. Die Arbeitsagentur erhalte ihre Direktiven aus Nürnberg, während man in der Stadt Lösungen mit „kurzen Wegen“ bevorzuge.
Der Beschlussvorlage gefolgt
Jedenfalls hat die Verwaltung damals vorgeschlagen, keine „Arge“ zu gründen und der Stadtrat ist dieser Beschlussvorlage gefolgt. Eine offenbar richtige Entscheidung , denn bisher gibt es keine Anzeichen dafür, dass die Erwerbslosen in Passau schlechter betreut würden als anderswo, sagen die Behördenvertreter. Vor kurzem hat der städtische Wirtschaftsausschuss beschlossen, gemeinsam mit der Arbeitsagentur eine „Joboffensive Passau“ zu starten. Die Stadt will im Bauhof, in der Gärtnerei und beim Schulamt bis zu 20 kommunale Stellen für Langzeiterwerbslose mit „Vermittlungshemmnissen“ anbieten. Die Beschäftigungszeit soll ein Jahr betragen.
Ausprobiert wurde das Konzept schon in anderen bayerischen Städten: Das Konzept wurde von der Agentur für Arbeit in Pilotversuchen und Flächentests in Thüringen und Sachsen-Anhalt, zuletzt auch in Bayern in den Städten Hof, Weiden und Coburg getestet. „Ein nachhaltiger Erfolg ist, wie die Erfahrungen dort zeigen, immer dann möglich, wenn alle Beteiligten wie die Agentur für Arbeit, Kammern, Kommune, Vereine, Bildungsträger, Gewerkschaften und auch Unternehmen gemeinsam und abgestimmt auftreten und für die Ziele des Konzeptes einstehen“, heißt es bei der Stadtverwaltung.
Praktikables Modell
Passau ist nicht die einzige Stadt in Bayern, in denen Sozialamt und Arbeitsagentur getrennte Wege gehen. Rosa Strohmeier ist Referentin für Soziales in Straubing und auch sie sagt: „Unsere Erfahrungen sind positiv, das Modell ist durchaus praktikabel.“ Das „Modell“ – damit ist auch in der ostbayerischen Gäubodenstadt die getrennte Aufgabenwahrnehmung von Sozialamt und Bundesagentur gemeint. Allerdings hatte man hier ganz am Anfang zunächst auch auf die Hartz-IV-Ehe der Behörden gesetzt.
2005 wurde in Straubing eine Arge aus der Taufe gehoben. Doch die Gemeinschaft währte nicht lange, bereits nach einem Jahr trennten sich die Behörden wieder – die städtischen Mitarbeiter nahmen das Recht in Anspruch, unter die Fittiche der Stadt zurückzukehren. Der Kooperation habe das keinen Schaden zugefügt, meint jedenfalls Barbara Breese, die Geschäftsführerin der zuständigen Agentur für Arbeit. Im Gegenteil: Im vergangenen Jahr habe man alle Ziele erreicht, die Betreuung der Langzeiterwerbslosen sei nicht weniger erfolgreich gewesen als bei den Argen. Kurzum: Auch hier nur gute Erfahrungen.
Nun könnte man sagen, es handelt sich hierbei lediglich um subjektive Urteile, um Erfolgsbilanzen, die sich nicht verallgemeinern lassen. Doch drängt sich an dieser Stelle der Geschichte bereits eine Frage: Wenn die Vermittlung von Erwerbslosen trotz beibehaltener Trennung von Sozialbehörde und Arbeitsamt zumindest nicht schlechter läuft als bei den Argen ist – war dann der teure und umständliche Umbau im Zuge der Hartz-Reform wirklich notwendig?
Schnellere Angebote
Dass die getrennt arbeitenden Kommunen nicht schlechter als die Argen arbeiten, macht auch ein interner Bericht des Bundesrechnungshofes deutlich. Unter dem Aktenzeichen 6 VI – 2008 – 0764 wird der Stadt Straubing bescheinigt, „wirtschaftlich und praktikabel“ zu handeln. Und wenn Arbeitsministerin Ursula von der Leyen nun eine Grundgesetzänderung zur nachträglichen Legalisierung der Jobcenter-Reform favorisiert (siehe Kasten), damit „Hartz-IV-Empfänger schnellere Angebote“ erhielten, hätte sie erst einmal jenen internen Sonderbericht der Bundesagentur für Arbeit in Nürnberg über „Übergänge aus Grundsicherung in Beschäftigung“ gelesen, der schon im Sommer 2008 feststellte, dass die getrennten Behörden ihre Langzeitarbeitslosen noch am ehesten wieder in Beschäftigung bringen.
Es falle, hieß es da, „der hohe Anteil der Agenturen in getrennter Aufgabenwahrnehmung (38 Prozent) an den jeweils 25 Prozent der Besten in ihrer Vergleichsgruppe bei der Integration von Hilfebedürftigen in den Arbeitsmarkt“ auf. Beim Vergleich mit Argen und Optionskommunen hätten sich „signifikante“ Unterschiede bei der so genannten Übergangsrate gezeigt. Fazit der Bundesagentur: „Arbeitsagenturen in getrennter Aufgabenwahrnehmung erzielen den größten Integrationserfolg auch bei Arbeitslosen.“
Kehren wir zum Anfang zurück: Der enorme Aufwand des Behördenumbaus war seinerzeit damit begründet worden, Erwerbslose besser in Arbeit zu vermitteln. Später stellte die Arbeitsagentur selbst fest, dass dieses Ziel dort am ehesten erreicht wird, wo Organisationsstrukturen wie vor der Reform von 2005 bestehen.
Und das ist das Ende der Geschichte von den vergessenen Kommunen, die weder Argen bildeten noch Optionsmodelle, sondern einfach weitermachten wie vor Hartz IV. Und dabei am erfolgreichsten sind.
Dauerstreit um Jobcenter
Die meisten Erwerbslosen werden in den bundesweit fast 350 Jobcentern betreut. Das mit der Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe entstandene Konstrukt wurde 2007 vom Bundesverfassungsgericht als unzulässige Mischverwaltung verworfen die Bürger müssten klar erkennen können, woher sie welche Leistungen beziehen. Karlsruhe verlangte eine Änderung bis 2011. Erst nach mühsamen Verhandlungen hatten sich Union, FDP und SPD auf einen Kompromiss geeinigt: Eine Grundgesetzänderung soll die Jobcenter nachträglich legalisieren. Inzwischen ist der Zeitplan, nach dem das Gesetzgebungsverfahren bis zum 9. Juli abgeschlossen sein soll, ebenso wie der Kompromiss wieder in Gefahr. Auf der einen Seite verlangen unionsgeführte Länder zahlreiche Änderungen. Auf der anderen hat die SPD signalisiert, gegebenenfalls ihre Zustimmung wieder zu kassieren. Ein Streitpunkt betrifft die vereinbarte Entfristung von 3.200 Vermittlerstellen der Bundesagentur für Arbeit die von der FDP in Frage gestellt wurde, weil dies nicht zum geplanten Sparkurs der Koalition passe.
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