"Sowjetspanien" und "Advokatenrepublik"

Spaniens Bürgerkrieg als Versuchsfeld für Geschichtsapologetik In bundesdeutschen Medien galt Franco bis in die siebziger Jahre hinein als ehrenwerter Antikommunist der ersten Stunde

Außer dem Ersten und Zweiten Weltkrieg beschäftigte kein Krieg im 20. Jahrhundert das lesende wie schreibende Publikum so nachhaltig wie der Spanische Bürgerkrieg, der vor 65 Jahren am 18. Juli 1936 begann. Bibliographien verzeichnen mittlerweile über 20.000 Titel. Dabei ist es aufschlussreich, wie sich westdeutsche Zeitungen vor allem in den fünfziger und sechziger Jahren mit dem Bürgerkrieg beschäftigten, dessen Ende (1. April 1939) General Franco mit einer Militärparade und Bücherverbrennungen feiern ließ.

Ein Bürgerkrieg zeichnete sich in Spanien schon nach den Parlamentswahlen vom 16. Februar 1936 ab, die ein Volksfrontbündnis gewann. Das Programm der Allianz war defensiv und zielte vor allem auf die Agrarreform und eine Amnestierung der politischen Gefangenen. Wohl hatten Republikaner, Liberale und Linke das Votum gemeinsam gewonnen, aber der neuen republikanischen Regierung, die "Freiheit, Glück und Gerechtigkeit" versprach, wollten dann weder Sozialisten (PSOE), noch Kommunisten (PCE), noch die Vereinigte Marxistische Arbeiterpartei (POUM), noch Anarchisten angehören. Die Regierung geriet schnell von allen Seiten unter Druck. Am 17. Juli rebellierten die Militärs in Nordafrika und einen Tag später einige Generäle im Nordwesten, während sich die Militärs im Osten sowie großen Teilen des Südens loyal verhielten - wie nicht zuletzt die in Cartagena liegende Kriegsflotte.

Den Widerstand, der zum Bürgerkrieg führte, trugen bewaffnete Arbeiter und die Bürger in den großen Städten Valencia, Barcelona, Madrid, Malaga und Bilbao. Sie waren entschlossen, die Republik zu verteidigen.

"Existenzialistisches Drama" und "ideologischer Weltbürger-Krieg"

Wenige Ereignisse wurden bis in die jüngste Zeit ideologisch so verklärt wie der Spanische Bürgerkrieg. Der DDR-Geschichtsschreibung sind zwar wesentliche Einsichten über wirtschaftliche und militärische Interessen der damaligen deutschen Intervention zu verdanken, aber propagandistisch verbuchte sie den Konflikt unter der Formel "national-revolutionärer Unabhängigkeits- und Freiheitskrieg des spanischen Volkes gegen den Faschismus". Von rechts rückte man dem Ereignis besonders grobschlächtig zu Leibe. Mit der Parole vom "ideologischen Weltbürger-Krieg" zwischen Faschismus und Kommunismus versuchte Günter Maschke noch 1976, das Geschehen in Spanien unter dem Titel "Sterben für eine Fiktion" als "existenzialistisches Drama" (FAZ, 11. 9. 1976) vorzustellen. Das Muster dafür war einem Welt-Artikel vom 14. Juli 1956 zum 20 Jahrestag des Kriegsausbruchs entnommen, es hieß da: "Auf der iberischen Halbinsel nahm der Bürgerkrieg bereits das Beispiel jenes ideologischen Weltbürger-Krieges voraus, der ... ganz Europa erfassen sollte."

Die faschistischen Staaten Deutschland und Italien stellten sich schon zwei Wochen nach dem Putsch hinter die aufständischen Generäle. Deren Coup wäre zusammengebrochen, wenn nicht deutsche und italienische Flugzeuge spanische Soldaten und marokkanische Söldner mit der ersten Luftbrücke der Kriegsgeschichte ("Unternehmen Feuerzauber") seit Anfang August auf das Festland gebracht hätten. Die Bedeutung dieser kriegsentscheidenden Hilfe wurde nach 1945 und bis in die achtziger Jahre hinein von einem bedeutenden Teil der deutschen Presse mit dem Hinweis relativiert, die UdSSR habe kompensatorisch die republikanische Seite unterstützt und somit ein Gleichgewicht hergestellt: "Wie Deutschland und Italien den ›Weißen‹, leisteten Frankreich und die Sowjetunion den ›Roten‹ materielle Hilfe", vermerkte die Süddeutsche Zeitung am 18. Juli 1961. Das Argument verschleiert, dass die erste sowjetische Waffenlieferung mit fast viermonatiger Verzögerung in Spanien eintraf. Hinsichtlich Qualität, Umfang und Zeitpunkt des sowjetischen Beistands gab es während der Zeit des Bürgerkrieges stets eine Asymmetrie zu Lasten der republikanischen Seite. Bei den fünf Internationalen Brigaden (Höchststärke: 18.000) kämpften in den drei Jahren 45.000 Mann, von denen die Hälfte umkam. Erst mehr als ein Jahr nach Beginn des Bürgerkriegs verfügte die Republik über militärische Formationen, die man als Armee bezeichnen konnte.

In einem Artikel vom 17. Juli 1961 beschwor Die Welt das fiktive Gleichgewicht zwischen Berufssoldaten und Söldnern auf der einen und Freiwilligen auf der anderen Seite, sie drechselte daraus sogar ein Argument für die Dauer des Krieges: "Die Kräfte hielten sich also ungefähr das Gleichgewicht. Das führte dazu, dass der Bürgerkrieg fast drei Jahre dauerte." Den Krieg verlängerte indes nicht das innere Gleichgewicht, ihn verlängerten vor allem die Interventionen von außen. Asymmetrisch waren im Übrigen auch die Beziehungen zwischen der spanischen Republik und den Demokratien in Großbritannien und Frankreich. Die britische Politik der Nichteinmischung sollte den Krieg verkürzen. In Frankreich konnte sich die Volksfrontregierung unter Léon Blum eine massivere Unterstützung der spanischen Republik aus innenpolitischen Gründen nicht leisten: nach der Lieferung von 50 Kampfflugzeugen drohten französische Rechte und die Armee mit einem Staatsstreich. Blum glaubte zusammen mit Vertretern von 27 anderen Staaten - darunter zunächst auch der UdSSR -, ein Waffenembargo und strikte Nichteinmischung garantierten am ehesten eine Beruhigung der Lage. Doch die Nichteinmischung scheiterte, weil Deutschland und Italien dies von Anfang an - und die Sowjetunion als Reaktion darauf später - sabotierten: 1937 standen rund 50.000 italienische und 5.000 bis 8.000 deutsche Soldaten in Spanien.

Die Politik der Nichteinmischung erschien seinerzeit auch das Resultat einer konstitutionellen Schwäche der westlichen Demokratien. Diese Bewertung wurde im Westen umstandslos über 1945 hinaus verlängert: "Die Demokratie verlor die Schlacht in Spanien, wie sie sich 1945 außerstande zeigte, den Sieg zu sichern", schrieb die Die Welt am 14. Juli 1956. Andere sprachen abwertend von der "Advokatenrepublik" (Stuttgarter Zeitung, 15. 7. 1961), die nichts Besseres verdient habe als ihre Ablösung durch die Diktatur Francos.

Zur Entlastung der deutschen Schuld am Zweiten Weltkrieg wurde dessen Beginn vorverlegt. Mit einer methodisch fragwürdigen Operation destillierte man aus der Tatsache, dass der spanische Bürgerkrieg dem Weltkrieg zeitlich voranging, seit den fünfziger Jahren unentwegt den Kurzschluss, der Weltkrieg habe faktisch in Spanien begonnen: "Vor 20 Jahren begann der Zweite Weltkrieg", behauptete Die Zeit am 19. Juli 1956. Andere bezeichneten den Bürgerkrieg als "Vorspiel des Zweiten Weltkrieges" (Frankfurter Rundschau, 14. 7. 1956).

"Tugenden und Untugenden der spanischen Rasse"

Hinter solchen Konstrukten Nachgeborener standen Argumente, denen zweierlei gemeinsam war: Sie übernahmen die Propagandathese der Nazis, militärischer Sinn der deutschen und italienischen Intervention in Spanien sei es gewesen, neue Waffen zu testen und Mannschaften mit scharfem Schuss auf dem "Manöverterrain" Spanien (Frankfurter Rundschau, 22. 1. 1963) für den bevorstehenden Krieg üben zu lassen. Das Argument kehrte bis in die siebziger Jahre in zahlreichen Varianten wieder und hofierte in gewisser Weise Hermann Göring, der sich vor dem Nürnberger Tribunal damit brüstete, in Spanien nicht nur "der Ausweitung des Kommunismus" entgegen getreten zu sein, sondern dort auch interveniert zu haben, "um meine junge Luftwaffe zu erproben". Diese Behauptung wurde ungeprüft kolportiert. Die tatsächlichen militärischen Operationen zeigten allerdings mehr schlichte Routine als Testcharakter. Eine Ausnahme bildete die Erprobung von Molotow-Cocktails aus der Luft, deren Wirkung der spätere hohe Offizier der bundesdeutschen Luftwaffe - Adolf Galland - in bewohnten Dörfern testen ließ. Noch am 27. Juli 1936 hatte Goebbels in seinem Tagebuch notiert: "Wir beteiligen uns so ein bißchen in Spanien ... Wer weiß, wozu es gut ist." Wenige Tage später lief eine Kampagne an, in deren Mittelpunkt "die bolschewistische Bedrohung" stand, die Beschwörung des "Weltbolschewismus" sollte die Einmischung kaschieren.

Die Kommunisten hatten in Spanien 1935 etwa 30.000 Mitglieder. Erst nach dem Kollektivbeitritt der sozialistischen Jugendverbände im März 1936 erlangte die Partei die - verglichen mit den Anarchisten - immer noch bescheidene Basis von 200.000 Mitgliedern. Ein "revolutionärer Sowjetstaat" (Deutsche Zeitung, 26.8.1961) oder ein "Sowjetspanien", wie es die deutsche Propaganda schon 1936 suggerierte, war zu keinem Zeitpunkt des Bürgerkrieges eine realistische Perspektive. Dennoch kursierte nach 1945 die These, Stalin habe das ganze Geschehen auf republikanischer Seite vollständig kontrolliert. Damit sollten die Verhältnisse, die nach 1945 zur Errichtung von "Volksdemokratien" in Osteuropa führten, rückwirkend auf Spanien projiziert werden.

Je tiefer die Gräben des Kalten Krieges gezogen wurden, desto besser kam die Diktatur Francos in den fünfziger und sechziger Jahren weg. Der Diktator wurde zum ehrenwerten Antikommunisten der erste Stunde umgeschminkt. Die Erinnerungsartikel zum Bürgerkrieg lasen sich wie Erfolgsbilanzen für "25 Jahre Franco-Regime", dessen "Fortschritt deutlich sichtbar" werde (Rheinischer Merkur, 21. 7. 1961). Einen Markstein solcher Publizistik setzte Robert Held unter dem Titel "Es war die falsche Republik", die angeblich mit ihren Reformen den "künftigen Bürgerkrieg" provoziert habe. Der Putsch der Generäle von 1936 erscheint als Präventivmaßnahme, mit der das Schlimmste gerade noch verhindert worden sei, da "zuviel Freiheit in Unfreiheit" umgeschlagen habe (FAZ, 15. 4. 1961). Angesichts solcher Apologetik verwunderte es nicht, dass ganze Passagen dieses FAZ-Artikels einige Monate später in der rechtsradikalen Deutschen Soldaten- und National-Zeitung (4. 8. 1961) auftauchten.

Zum 30. Jahrestag des Bürgerkriegs erschien am 8. Juli 1966 ein Artikel des einstigen Ribbentrop-Mitarbeiters und späteren Chefredakteurs bei Christ und Welt, Hans-Georg von Studnitz, der die Vernichtung Guernicas als "angebliche deutsche Greueltat" sowie "antideutsche Propaganda" bezeichnete und sie den "Tugenden und Untugenden der spanischen Rasse" zurechnete. Wo man 1961 Franco noch mit dem absolutistischen Herrscher Philipp II. verglichen hatte, fragte man fünf Jahre später: "Ist sein Regime heute noch diktatorisch?" (Welt, 18. 7. 1966). Und Robert Held rundete in der FAZ vom 1. Juli 1967 das maßgebliche Spanienbild zur bündigen These: "Der Aufstand vom 18.Juli 1936 war eine Rebellion der spanischen Rechten, die den verfassungswidrigen Terror der extremen Linken nicht mehr mit ansehen wollte".

Dass Francos Diktatur schon 30 Jahre andauerte, ging in Helds Erbauung über "demokratische Morgenluft", "milde Diktatur" und "Rechtsstaat, was die Justiz anbetrifft" unter, obwohl baskische Nationalisten noch ganz rustikal mit der Garotte erwürgt wurden. Doch Spanien war in den Sechzigern vor allem Urlaubsland und ein (noch) stiller NATO-Partner. Die "blühenden Küstenstriche" machten vergessen, dass die Diktatur noch weitere acht Jahre existierte - bis zu Francos Tod am 20. November 1975.

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