Das Weltbild wandelt sich mit jeder neuen Erfahrung

Max Planck zum 150. Geburtstag Als Wissenschaftspolitiker systemtreu. Als Nationalkonservativer trieb ihn auch ein Gefühl der Schuld

Widerstand gegen den Nationalsozialismus und unbedingte Wahrheitsliebe vertrugen sich nicht. Wer einen Verfolgten "heimlich an einen verborgenen Platz brachte, wo er sich einstweilen sicher fühlen" durfte, konnte den Verfolgern nicht einfach "eine Antwort verweigern". Er musste damit rechnen, "dass man Zwangsmaßnahmen gegen ihn anwenden würde, um ihn zu einer Aussage zu bewegen. Viel einfacher und für die Rettung seines Schützlings aussichtsvoller wäre es, wenn er durch eine Lüge die Verfolger irreführte und statt des richtigen Verstecks eine weit davon entfernte Örtlichkeit nennen würde. Dann wäre wenigstens zunächst einmal Zeit gewonnen." Solche Einsichten muten heute trivial an. Für Angehörige des kommunistischen und sozialistischen Widerstands waren sie schon damals selbstverständlich. Unerhört dagegen waren sie für eine Persönlichkeit, die aus ihrer Kritik an der Weimarer Demokratie sowie ihrer Sympathie für den autoritären Staat nie einen Hehl gemacht hatte und auch nach 1933 der etablierten Elite zuzurechnen war. Die zitierten Worte stammen von Max Planck und fielen bei einem öffentlichen Vortrag, den dieser Anfang März 1935 hielt - zu einem Zeitpunkt, als sich der konservative Widerstand noch längst nicht formiert hatte.

Preußenstolz und Protestantismus

Max Planck gehört neben Albert Einstein zu den herausragenden Figuren, die an der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert der modernen (theoretischen) Physik zum Durchbruch verhalfen. Darüber hinaus nahm er maßgeblichen Einfluss auf die deutsche Wissenschaftspolitik, zwischen 1930 und 1937, insbesondere als Präsident der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft (KWG), kurzzeitig noch einmal 1945/46.

Planck, am 23. April 1858 in Kiel geboren, 1879 promoviert, 1880 habilitiert und 1892 zum Ordinarius an der Berliner Universität ernannt, war im Stolz auf Preußen, seine Armee und die unter Bismarck vollzogene deutsche Einigung aufgewachsen. Verstärkt wurde der Borussismus Plancks durch eine starke Bindung an den Protestantismus, der im Reich der Hohenzollern bis 1918 de facto den Status einer Staatsreligion besaß. Erkenntnisprozesse, die über diese gewohnten Bahnen hinauswiesen, bedeuteten für den an der traditioenellen Physik orientierten Planck immer auch einen persönlichen Kraftakt. So musste sich der Schöpfer der Quantentheorie regelrecht dazu zwingen, die Physik zu revolutionieren, und jeder Erkenntnisfortschritt machte ihn eher unglücklich.

Ähnlich anstrengend vollzog sich auch seine politisch-weltanschauliche Wende Mitte der dreißiger Jahre und die allmähliche Abkehr vom nationalsozialistischen Staat. Zeit seines Lebens teilte Planck den in spätwilhelminisch-bürgerlichen Kreisen verbreiteten imperialen Nationalismus. Den Ersten Weltkrieg begrüßte er als "herrliche Zeit, die wir erleben". Bereits 1915 zählte er freilich zu der Minderheit der Gelehrten, die sich für einen "Verständigungsfrieden" einsetzten. Den November 1918 und den Untergang des Wilhelminismus konnte Planck, der erst am 15. November 1919 erfuhr, dass er im Jahr zuvor den Nobelpreis für Physik erhalten hatte, nur als "Tage des nationalen Unglücks" wahrnehmen. Die NS-"Machtergreifung" begrüßte er anfangs als "langersehnten großartigen nationalen Umschwung". Angetan war er vor allem von der vom neuen Reichskanzler Hitler versprochenen "Wiederwehrhaftmachung". Immer wieder betonte Planck, wie sehr ihm die Aufrüstung und die herausragende Rolle der Wissenschaft dabei am Herzen lagen.

Ein gutes Wort für Fritz Haber

Nationalismus und Kritik am NS-Regime schlossen sich freilich keineswegs aus. Schon vor der nationalsozialistischen "Machtergreifung" war Plancks Distanz zum Faschismus deutlich geworden. Als Albert Einstein in die Niederlande flüchtete, nachdem dieser im Spätherbst 1923 frühzeitig Zielscheibe der antisemitischen Verfolgung geworden war, brachte Planck "Zorn und Wut über diese infamen Dunkelmänner" sowie "die bodenlose Gemeinheit einer bissigen Meute, deren wir unter allen Umständen Herr werden müssen" zum Ausdruck und bat Einstein, nach Berlin zurückzukehren.

Auf den Antisemitismus des Hitler-Regimes war er schon frühzeitig gezwungen zu reagieren. Wenige Wochen nach dem Erlass des berüchtigten "Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums" suchte der KWG-Präsident den neuen Reichskanzler auf, um bei diesem "ein Wort zu Gunsten meines jüdischen Kollegen Fritz Haber einzulegen". Nach eigener Darstellung setzte er sich für Haber mit den Worten ein, es gäbe "verschiedenartige Juden, für die Menschheit wertvolle und wertlose, unter ersteren alte Familien mit bester deutscher Kultur". Das müsse man doch "Unterschiede machen". Auf Hitlers Erwiderung "Jud ist Jud" will Planck ihn beschworen haben, es grenze an wissenschaftliche "Selbstverstümmelung, wenn man wertvolle Juden" nötigen würde "auszuwandern". Vielmehr sei das Reich auf ihre Arbeit angewiesen. Plancks Solidarität galt vorab also nur den von Entlassung und Vertreibung bedrohten herausragenden Wissenschaftlern und eben nicht der Gesamtheit von den Nationalsozialisten als "minderwertig" stigmatisierten Juden.

Auch die Gedenkfeier, die die KWG auf Plancks Initiative anlässlich des ersten Todestages von Fritz Haber am 29. Januar 1935 veranstaltete, lässt sich nicht als antinationalsozialistische Protestveranstaltung deuten. Nicht den Juden Haber pries Planck, sondern den vaterländischen Wissenschaftler: Hätte dieser "nicht seine großen Stickstofferfindungen gemacht", so eröffnete er die Feier, dann "wäre Deutschland im Weltkriege in den ersten drei Monaten zusammengebrochen".

Drei Tage zuvor hatte Planck gegenüber Reichserziehungsminister Rust für den nationalsozialistischen Antisemitismus Verständnis bekundet: Ein jüdischer Institutsdirektor neige nun einmal dazu, weitere jüdische Mitarbeiter nachzuziehen, "und das ist unerfreulich und unleidlich, früher wie heute".

Physik und Weltanschauung

Hatte Planck in den ersten Monaten des "Dritten Reiches" noch optimistisch angenommen, es würden demnächst schon "alle unangenehmen Begleiterscheinungen dieser Zeit verschwinden", wurde er bald eines besseren belehrt. Die schmähliche Behandlung Habers und anderer Wissenschaftler durch das NS-Regime brachten ihn in politisch-weltanschauliche Distanz. Von nicht unerheblicher Bedeutung für diese Entwicklung war der Tod von Reichspräsident Hindenburg. Bis dahin hatte Planck mit ausdrücklichem Hinweis auf "Mussolinis Vorbild" darauf spekuliert, die Nationalsozialisten würden den "italienischen" Weg beschreiten und einen "Führer" unter dem Schirm eines letztlich entscheidenden Monarchen installieren.

Wir haben schreckliche Dinge getan

In seinem eingangs zitierten, zwei Jahre später gehaltenen Vortrag Die Physik im Kampf um die Weltanschauung ist die Wende vom frommen, obrigkeitshörigen Lutheraner zum konservativen Skeptiker bereits spürbar. Das Thema, das Planck anschlug - "Verfolgung", "Verstecken", "Zwangsmaßnahmen" und "Folter" -, war fast schon subversiv, auch wenn er dabei hypothetisch blieb. Eine Wissenschaft, die nicht fähig oder willens sei, über das eigene Volk hinauszuwirken und eine entsprechende Ethik zu entwickeln, verdiene nicht ihren Namen. Damit richtete er sich recht unverblümt gegen den rassistischen Nationalismus, der andere Völker als minderwertig klassifizierte. Unmissverständlich forderte Planck im "Zusammenleben der Menschen gleiches Recht für alle, für Hoch und Niedrig, Vornehm und Gering. Wehe einem Gemeinwesen (...), wenn der Wehrlose sich nicht mehr von oben geschützt weiß vor dem Zugriff des mächtigeren Nachbarn, wenn offenbare Rechtsbeugungen mit fadenscheinigen Nützlichkeitsgründen bemäntelt werden."

Auch in weiteren Vorträgen Ende der dreißiger Jahre äußerte Planck unverhohlen seine Kritik an der Diktatur. Das NS-Regime intervenierte zunächst nicht. Erst als Planck Ende 1941 einem Vortrag zum Thema Sinn und Grenzen der exakten Wissenschaften hielt, reagierten die für die Zensur zuständigen Stellen. Planck hatte in diesem Vortrag eine Art Relativitätstheorie der politischen Weltanschauung formuliert: "Das praktische Weltbild, das jeder von uns in sich trägt, besitzt (...) keinen endgültigen Charakter, sondern es wandelt und korrigiert sich mit jeder neuen Erfahrung". Das war an sich nicht originell. Von den Nationalsozialisten, die auf der Gültigkeit ihres rassistisch-sozialdarwinistischen Weltbildes pochten, musste die von Planck postulierte "beständig fortgesetzte Ablösung eines Weltbildes durch das andere" jedoch als Affront aufgefasst werden. Noch mehr dürfte ein zweiter Gesichtspunkt den in "hochwertigen" und "minderwertigen" Rassismen denkenden Nationalsozialisten missfallen haben. Ein "Wunder" nämlich sei, so Planck, "dass wir überhaupt in der Natur Gesetzmäßigkeiten vorfinden, die für die Menschen aller Länder, Völker und Rassen genau die gleichen sind."

Die Zensurbehörden der NSDAP verfassten scharf-kritische Memoranden und sandten diese umgehend dem Völkischen Beobachter zur Veröffentlichung. Dort weigerte man sich jedoch, einen Artikel gegen den weltberühmten Physiker ins Blatt zu setzen. Zu einem öffentlichen Verdikt gegen ihn oder gar die Verhängung eines Auftrittsverbots kam es nicht. Den inkriminierten Vortrag konnte Planck in den folgenden zwei Jahren noch mehrfach halten, ohne behelligt zu werden. Gegenüber Lise Meitner bekundete er 1943 in Stockholm jedoch das Gefühl eigener Mitschuld: "Uns müssen schreckliche Dinge geschehen, wir haben schrecklich Dinge getan".

Die Courage, die er bis 1945 entwickelt hatte, zeigte der greise Planck in seinen letzten knapp zweieinhalb Lebensjahren, die ihm nach dem Zusammenbruch des NS-Regimes noch beschieden waren, allerdings nicht mehr. Aus falsch verstandener Loyalität gegenüber der Wissenschaftsgesellschaft, der er von 1930 bis 1937 als Präsident vorgestanden hatte, übernahm er für eine Übergangszeit von Juli 1945 bis März 1946 erneut deren Vorsitz und schützte so die auf das Engste mit dem NS-Kriegssystem verwobene KWG vor der drohenden Auflösung. Darüber hinaus stellte er hochgradig belasteten Personen bereitwillig "Persilscheine" aus, etwa dem 1937 eingesetzten Generalsekretär der KWG, Ernst Telschow. Plancks "Weißwaschung" trug maßgeblich dazu bei, dass der von verschiedenen Seiten heftig attackierte Telschow bis 1960 Generalsekretär der in Max-Planck-Gesellschaft (MPG) umgetauften KWG bleiben und überdies zu einem der wichtigsten bundesdeutschen Atommanager aufsteigen konnte. Erst rund 40 Jahre nach dem Tod ihres Namensgebers begann die MPG, sich kritisch ihrer Vergangenheit zu stellen.

Rüdiger Hachtmann ist außerordentlicher Professor an der TU Berlin und Mitarbeiter des Zentrums für Zeithistorische Forschung Potsdam. Von 2002 bis 2005 arbeitete er im Forschungsprogramm der MPG-Präsidentenkommission zur Geschichte der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft unter dem Nationalsozialismus mit. 2007 veröffentlichte er unter dem Titel Wissenschaftsmanagement im "Dritten Reich‹" eine zweibändige Geschichte der Generalverwaltung der KWG.


Anlässlich des 150. Geburtstages von Max Planck eröffnet die Max-Planck-Gesellschaft am 25. April 2008 im Deutschen Technikmuseum Berlin eine Sonderausstellung. Die Festveranstaltung, bei der unter anderem Volker Schlöndorff aus Briefen und Werken Plancks lesen wird, findet am 26. April 2008 um 11 Uhr im Berliner Konzerthaus statt.

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