Die Nacktbilder der Steffi Graf, gefälschte, versteht sich, wird man im Internet so schnell nicht mehr zu sehen bekommen. Das Oberlandesgericht Köln will offenbar Microsoft zu einer Unterlassungserklärung verpflichten, auf dass die anstößigen Bildchen nicht mehr in den Foren des Microsoft-Dienstes MSN auftauchen. Weniger nackt, weniger hart dürfte es ohnehin bald im Netz zugehen, wenn sich die Medienwächter durchsetzen, die nach dem Blutbad von Erfurt stärker das Internet kontrollieren möchten. Rechtsextremismus, Gewalt und Pornographie sollen auf den Index kommen. Eine Vorreiterrolle hat sich der Düsseldorfer Regierungspräsident Jürgen Büssow gesichert, der mit der Sperrung mehrerer rechtsradikaler Seiten heftige Proteste in
in der Netz-Community provozierte. Auf den Straßen von Düsseldorf demonstrierten - ganz real, nicht virtuell -Anhänger des Chaos-Computer-Clubs. Die rechtsextremen Inhalte sind ihnen schnuppe, nicht aber die Freiheit im Internet. Solche Fälle erregen nicht nur die Aufmerksamkeit der Freaks in anarchistischen Newsgroups, sondern schaffen oft noch den Weg in die Zeitungen - jedenfalls, wenn es um Steffis Nacktbilder geht. Soweit, so bekannt: Der Cyberspace als rechtsfreier Raum, als offene Gesellschaft par excellence, das war einmal. Immer stärker ähnelt das www nun einem virtuellen Kaufhaus, Grüßaugust, Detektive und Wachpersonal inklusive. Doch viel subtilere Freiheitsbeschränkungen drohen im Cyberspace, Staat und Wirtschaft ziehen sie Hand in Hand durch, indem sie den Code in ihrem Sinne gestalten. Die von der Wirtschaft geförderten und vom Staat sanktionierten Architekten des Internets bauen an einem virtuellen Hochsicherheitstrakt: Schwere Eisentüren. Rigides Wachpersonal. Keine Fenster. In braven Bahnen darf man sich fortbewegen, sonntags gemeinsames Marschieren im Innenhof. Kontrolle total. Der Schlüssel der Regulierung im Cyberspace ist die Identifizierung und Authentifizierung des Nutzers, die mit dem Einloggen passieren soll. Das anonyme Surfen wird es nicht mehr lange geben, schon jetzt sind die meisten User auf Schritt und Click zu verfolgen, die Konsequenzen kann sich jeder ausmalen, der 1984 noch im Bewusstsein hat. Es ist kein Orwellscher Apokalyptiker, der die unfrohe Botschaft in dem Buch Code und die Gesetze des Cyberspace verbreitet. Lawrence Lessig ist vielmehr ein renommierter Rechtsprofessor in Stanford mit Expertise in vielen Fragen des Internets. Seine Stellungnahmen - ob zum Kartellverfahren gegen Microsoft oder zur Zukunft des Urheberschutzes im digitalen Zeitalter - haben Gewicht, denn Lessig ist nicht nur ein kluger Mahner, sondern versucht sich auch an Antworten. Die Mahnung: Staat und Wirtschaft regulieren, ohne dass eine bewusste Entscheidung der Gesellschaft über die Werte der Regulierung herbeigeführt wird. Dem Netznutzer wird vieles als "technische Notwendigkeit" untergejubelt, was anders besser, vor allem freier funktionieren würde. Der Staat sorgt sich um "Sicherheit", die Wirtschaft um den Profit - beiden nutzt es, wenn die Identitäten und Präferenzen der Internet-Benutzer so offen liegen wie möglich und keiner abseits des Weges wandeln kann, der ausgesucht wurde. Es sind nicht mehr die sozialen Normen einer herrschenden Klasse, es sind nicht mehr die Gesetze eines starken Staats, es sind nicht mehr die Verlockungen des Marktes, die den Menschen steuern. Soziale Normen sind für jeden sichtbar, Rebellion genügt. Will man Gesetze angreifen, hilft die Demokratie, wenn auch gelegentlich die Autorität des Staates anzugreifen ist. Gegen die Gesetze des freien Marktes kann sich schon nur noch der kritische Verbraucher, dieses aussterbende Wesen, behaupten. Beim Code, der Architektur des Internets, hilft selbst das kritische Bewusstsein nicht: Wer sich einloggt, fügt sich schon; wer verändern will, muss mindestens Informatiker sein, besser noch Bill Gates. Lessig analysiert die Kontrollmechanismen und das geistige Eigentum, den Datenschutz, die Privatsphäre, die Meinungsfreiheit und die staatliche Souveränität. Alte Werte, auf die die hergebrachten Antworten nicht mehr passen. Die neuen Antworten: Sie sind so alt, dass sie schon wieder neu wirken. Bewusstsein! Transparenz! Demokratie! Wer es etwas weniger abstrakt haben möchte, den verweist Lessig auf die Open Source Bewegung, die sich gegen proprietäre Software und für die Offenlegung der Quellcodes wendet. Geradezu greifbar ist das neueste Projekt von Lessig, das er in seinem (bisher nur in englischer Sprache erschienen) Buch The Future of Ideas aufgegriffen hat: Der Professor hat mit Kollegen eine Lizenzierungsplattform gegründet, die Kreativen die Chance bieten soll, in offener und dennoch rentabler Form ihre Geistesfrüchte zu verteilen. An Detailverliebtheit, apropos, leidet Lessigs Buch keinen Mangel, eher schon droht das konzeptionelle Fundament zuweilen einzubrechen (und der Leser ebenso) unter der Last der zahllosen Anekdoten und Beispiele, mit denen die fast 500 Seiten gespickt sind. Das ist nicht uninteressant, hält aber auf, genauso wie das permanente Wiederholen des soeben Geschriebenen. Die Zeit rast, die Netzzeit ohnehin, da können Sachbücher gar nicht konzise genug sein. Lessigs ist es nicht. Bei aller zeitlichen Raserei ist ihm allerdings zu attestieren, dass sein schon 1999 in den USA erschienenes Buch nicht gerade an Aktualität verloren hat: Nach dem 11. September ist das Kontrollbedürfnis der Regierungen auch im Cyberspace gewachsen. Während Lessig pessimistisch endet, ist seither ein Licht am Ende des Tunnels aufgegangen: Der Bundestag hat, immerhin, einige seiner Rechner auf das offene Linux-System umgestellt, auch viele Kommunen erwägen, sich vom zugeknöpften Monopolisten Microsoft zu trennen. Selbst der Industrie ist das Gebahren von Microsoft nicht mehr geheuer, bei der spannenden Frage nach dem zukünftigen Authentifizierungssystem im Web macht das "Project Liberty" gegen Microsoft Boden gut. So kontrollvernarrt manch ein Otto Schily auch scheint, so vernehmlich ist der Ruf nach Freiheit geworden. Ob dies der letzte Aufschrei vor der totalen Kontrolle war? Wenn Lessig Co. an Einfluss gewinnen, könnte es das Erkennungszeichen einer Bewegung sein, die den Architekten der Kontrollarchitektur gehörig das Richtfest verdirbt.Lawrence Lessig: Code und andere Gesetze des Cyberspace. Aus dem Amerikanischen von Michael Bischoff. Berlin Verlag, Berlin 2001. 493 S., 22 EUR
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