Revolutionen, so heißt es nach einem berühmten Wort Lenins, können in Deutschland nicht klappen, weil die Deutschen zunächst eine Bahnsteigkarte lösen, bevor sie einen Bahnhof besetzen. Die Verwaltung der Stadt München hat dem Diktum ihres einstigen Bürgers "Meier" alias Lenin nun alle Ehre erwiesen und eine Revolution aufgeschoben - wegen europa-rechtlicher Bedenken: Die rund 14.000 Rechner der Landeshauptstadt werden vorerst doch nicht auf ein Linux-System umgestellt.
Linux ist ein offenes Betriebssystem, dessen Quellcode frei zugänglich ist (open source). Das Beste an Linux ist, dass es nicht Microsoft gehört. Das Zweitbeste: durch die Offenheit des Systems kann jeder Computer-Spezialist selbständig im System programmieren und Anwendungen
n und Anwendungen anpassen. Das Betriebssystem ist nicht patentiert, seine Nutzung kostenlos. Das macht aus dem Linux-Pinguin ein Revolutions-Symbol: Die Jünger der Open Source Bewegung meinten lange Zeit, Linux läute den Abschied vom Kapitalismus ein - "mehr Linux, mehr Freiheit", plakatierte die SPD-Landtagsabgeordnete Monica Lochner-Fischer einmal in ganz Schwabing.Münchens Flirt mit Open Source hatte vielversprechend begonnen: Hier kam die richtige Stadt zur richtigen Zeit, um dem Monopolisten Microsoft einen Schuss vor den Bug zu geben. Schließlich verfügt die bayerische Landeshauptstadt über ein veritables Subversionsregister: Kurt Eisner hatte hier mit der Räterevolution vorübergehenden Erfolg; die Freistaats-Verfassung von 1946 ist vorbildlich demokratisch; 1995 kippten die Münchner eine Verordnung über die Sperrzeit in bayerischen Biergärten - nun ja, die Biergartenrevolution. In diesen Tagen kämpft ein ehemaliger Oberbürgermeister mittels Bürgerbegehren gegen Hochhäuser, die aus der "Weltstadt mit Herz" eine Großstadt wie jede andere machen könnten. Dazu noch leistet sich die liberale Kapitale im schwarzen Bayern seit 1948, von einem kurzen Intermezzo (1978-1984) abgesehen, SPD-Oberbürgermeister. Der Amtsinhaber Christian Ude ist der richtige Mann für eine bürgerliche Revolution: ein Volksheld, der Intellekt und Populismus zu mischen versteht, ohne das Augenmaß zu verlieren.Im Mai 2003 war auch der Zeitpunkt perfekt, um eine technologische Wende zu schaffen. Im Kampf mit der EU-Kommission und den US-Kartellbehörden taumelte Microsoft, die Versprechungen für Windows XP hatten sich wieder mal als leer erwiesen. Da half es Microsoft nicht, dass die Deutschland-Zentrale vor den Toren Münchens liegt - im Gegenteil: der Oberbürgermeister grollte ob fehlender Steuereinnahmen ohnehin den Unternehmen im Speckgürtel rund um die Stadt, die ihre Steuern (wenn überhaupt) an Vorortgemeinden abführten.So entschied der Stadtrat in München, sich vom Betriebssystem Windows NT (aus dem Hause Microsoft) zu verabschieden und die EDV auf ein linux-basiertes System von SuSE Linux und IBM zu migrieren - Projekt "LiMux". 30 Millionen Euro sollten für Mitarbeiterschulungen und Programmumstellungen statt als Lizenzgebühren für den Software-Giganten investiert werden. Einen Moment lang hielt die IT-Welt den Atem an: Der "Mauerfall an der Isar" (Spiegel) wurde als Signal gedeutet, dass es eben doch möglich ist, den mächtigen Monopolisten auszuhebeln. Die Washington Post feierte "The Munich Revolution".Doch ein Jahr nach dem Revolutionsfanal ist die Euphorie verpufft. Zum einen setzt sich die Erkenntnis durch, dass sich das Patentsystem nicht per Stadtratsbeschluss besiegen lässt. Zum zweiten wird deutlich, dass Open Source vielleicht besser, aber wahrscheinlich nicht so anders ist, wie erhofft.Mit der ersten Erkenntnis erschreckte der grüne Stadtrat Jens Mühlhaus die Münchner kurz vor der Sommerpause. Der Linux Basisclient, den man in München verwenden will, könnte Patente verletzen - und damit der Stadt Schadensersatz-Klagen bescheren. Hintergrund der Befürchtungen ist ein Richtlinien-Entwurf des EU-Ministerrats vom 18. Mai 2004, der sich mit der Patentierbarkeit computer-implementierter Erfindungen befasst. Ein heißes Eisen. Das Patentrecht nämlich, einst geschaffen als Anreiz für Erfinder, eröffnet Wege, um Wettbewerber völlig von einem Entwicklungsprozess abzuschneiden. Da ein solches Monopol in der schnelllebigen IT-Branche nicht angemessen schien, einigte man sich einst darauf, Computerprogramme als nicht patentierbar anzusehen. Sie sollten bestenfalls den schwer zu erlangenden und durchzusetzenden urheberrechtlichen Schutz genießen. In der Praxis aber streitet man sich, was als Computerprogramm (und also nicht patentierbar) gilt, und was eine computer-implementierte Erfindung ist (und also patentierbar). Beim Europäischen Patentamt sollen rund 20.000 Patente im Software-Umfeld angemeldet sein. Der neue Richtlinien-Entwurf der EU-Minister könnte die Patentierbarkeit von Software erleichtern - und die Arbeit mit Open Source Programmen erschweren. Warum sonst hätte der Ministerrat eine Vorlage des EU-Parlaments korrigieren sollen, die erklärtermaßen Open Source stärken wollte? Microsoft und Co. könnte der Open Source Bewegung den "Patentkrieg" erklären - und mit neuer EU-Gesetzgebung im Rücken die Schlacht gewinnen. Das Bundesjustizministerium wiegelt ab: Eine Gefahr für die Open Source Richtung bestehe keinesfalls. Die Lage ist einstweilen ungeklärt.Die zweite Erkenntnis: Open Source taugt vielleicht weniger als Modell für den Wandel der Gesellschaftsordnung, sondern zur Verbesserung der Wirtschaftsordnung. Längst ist Linux Teil des marktwirtschaftlichen Zirkus geworden. In München sind Unternehmen beunruhigt, die an der Umstellung auf die freie Software verdienen wollen. Südamerikanische Regierungen, allen voran Brasilien, fördern die Linuxisierung gegen den Widerstand von Microsoft. Ziel der staatlichen Open Source Initiativen ist dabei, die heimische Software-Industrie in Schwung zu bringen. Inzwischen dämmert auch den bisherigen Gralshütern des Patentrechts, dass der freie Informationsfluss belebend wirken könnte. Die erzliberale Zeitschrift Economist, eine wöchentliche Bibel des Kapitalismus, erörterte kürzlich in einem Spezialreport, welche Branchen neben der Software-Industrie von der Offenlegungsstrategie profitieren können. Der Schutz des "geistigen Eigentums" - manche halten schon diesen Ausdruck für ein Oxymoron - wird zunehmend als Hemmschuh wahrgenommen. Teure und langwierige Patentstreitigkeiten können sich nämlich auch Unternehmen nicht leisten. Reto Hilty, Direktor am Münchner Max-Planck-Institut für Geistiges Eigentum, der wichtigsten europäischen Forschungsinstitution in diesem Bereich, warnt vor den Auswüchsen übertriebenen Schutzes. Er verweist auf Studien, die für die USA nachweisen, in welchem Umfang Patente die Entwicklung blockieren können. Selbst Mario Ohoven, Lobbyist für den Mittelstand, hat an den Bundeskanzler geschrieben: "Der deutsche Mittelstand braucht nicht nur den Schutz durch Patente, sondern immer mehr den Schutz vor Patenten." Schröder solle sich daher gegen den Ministerentwurf der EU-Richtlinie stark machen.Die Stadt München prüft. Christian Ude, der Oberbürgermeister, versichert: "Wir halten an LiMux fest!" Nicht ohne Bahnsteigkarte, allerdings.