Der freundliche Fotofix-Automat jubelt: »Mit dem richtigen Bild im Pass klappt die Kontrolle sofort.« Was das richtige Bild ist, bestimmt für deutsche Pässe eine Verordnung vom 2. Januar 1988: »Das Lichtbild muss das Gesicht im Ausmaß von mindestens 20 mm darstellen und den Passbewerber zweifelsfrei erkennen lassen. Es muss die Person im Halbprofil und ohne Kopfbedeckung zeigen.« Andere Länder, andere Sitten: Der Iran schreibt seinen weiblichen Staatsangehörigen vor, dass sie für Fotos auf offiziellen Dokumenten Kopftücher zu tragen haben. Diese Vorschrift hat in Bayern zu einem Kopftuch-Streit geführt, den am Dienstag das Bundesverfassungsgericht auf dem Tisch hat.
Vier Frauen flüchten im Mai 1997 aus dem Iran in die Bundesrepublik. Ihre Asylanträge werden abgelehnt, Klagen bleiben erfolglos, die Abschiebung droht. Doch die Frauen brauchen dazu Pässe, die sie nicht haben. Das iranische Konsulat will die Scheine gerne ausstellen, verlangt dafür jedoch Passfotos - mit Kopftuch. Die Ausländerbehörde der Stadt Nürnberg fordert die Frauen daher auf, entsprechende Fotos vorzulegen. Die Frauen weigern sich. Gerade wegen solcher Drangsalierungen - dem Kopftuchzwang etwa - seien sie aus dem Iran geflohen, nein, das machten sie nicht mit. Die Nürnberger Behörde ist nicht zimperlich: Sie erlässt einen Bescheid, der die »zwangsweise Vorführung bei einem Fotografen« androht, inklusive Kopftuch, versteht sich. Bei Roya Mosayebi bleibt es nicht bei der Androhung: Die 28-Jährige wird von der Polizei zum Fotografen geschleppt. Sie erleidet erhebliche Körperverletzungen. Nun kommt das Nürnberger Ausländeramt zur Besinnung - den übrigen Frauen wird die Behandlung vorerst erspart. Eine von ihnen, Nosrat Soltani, zieht mit ihrer Tochter vor Gericht, um den Bescheid aus der Welt zu schaffen. Doch zwei Instanzen geben der Verwaltung ihren Segen, nun hofft Soltani auf das Bundesverfassungsgericht.
Die Grundsätze, auf die sich Mutter und Tochter berufen, haben die Karlsruher Richter 1995 bei einem anderen Fall aus Bayern niedergelegt: Die Kruzifixpflicht in bayerischen Schulzimmern war Eltern ein Dorn im Auge, und das Verfassungsgericht hielt die negative Glaubensfreiheit hoch. Jeder darf glauben oder nicht glauben, was er will, ohne dass der Staat Einfluss nehmen darf. So sagte es schon die Weimarer Reichsverfassung in Artikel 136, die Eltern des Grundgesetzes haben die Norm übernommen und mit Artikel 4 ein umfassendes Grundrecht auf Religionsfreiheit hinzugesellt. Und nun will Bayern Frauen verschleiern? Der Kruzifix-Freistaat als Vollstrecker des iranischen Mullahregimes?
Erst einmal ist ein höchstrichterliches Wort fällig, was das Kopftuch überhaupt ist. Nur, wenn es eine religiöse Bedeutung hat, kann das Grundrecht der Glaubensfreiheit verletzt sein. Hartmut Frommer, Stadtrechtsdirektor in Nürnberg, ist zurückhaltend: »Das Kopftuch ist kein starkes Symbol des Islam, keine Kundgabe des Glaubens, zumindest nicht in den islamischen Staaten. Da hat es vielmehr kulturelle oder ordnungsrechtliche Bedeutung.« Salopp gesprochen, so Frommer: »Wenn man Frauen fragt, warum sie ein Kopftuch tragen, dann sagen sie: Wegen der Männer, nicht wegen der Moschee.«
Das sieht die Münchener Rechtsanwältin Gisela Seidler, die den Fall Soltani vertritt, völlig anders: »Erst mit der islamischen Revolution 1979 wurde das Kopftuch im Iran Pflicht. Ayatollah Khomeinei hat den Kopftuch-Zwang sehr rasch durchgesetzt. Tausende von Frauen wurden bestraft, weil sie sich unverschleiert zeigten.« Vor diesem Hintergrund, so Seidler, sei es zynisch, vom Kopftuch als Teil der Gesellschaftsordnung zu sprechen.
Frommer und Seidler werden sich in Karlsruhe gegenüberstehen, und sie beide rechnen mit einer grundsätzlichen Entscheidung des Gerichts - sonst wäre der Fall wohl kaum ausgewählt, um an einem der wenigen »Tage der offenen Tür« verhandelt zu werden. Der Fall Soltani ist verknotet mit einem anderen berühmten Kopftuchstreit: Darf eine Lehrerin mit Kopftuch unterrichten? In Baden-Württemberg sagten Behörden und Gerichte: Nein. »Dieses religiöse Bekenntnis ist im Schulunterricht unzulässig«, heißt es in einem Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart. Offenbar sind sich die Nachbarländer Bayern und Baden-Württemberg ausnahmsweise uneins - hier ist das Kopftuch nur ordnungsrechtlich motiviert, da ist es ein religiöses Symbol. Wenn aber keine religiöse Bedeutung mitschwingt, wird es schwierig, einer Lehrerin die Einstellung zu verweigern, nur weil sie verschleiert ist.
Wie auch immer Karlsruhe entscheiden wird - gelöst ist der Fall Soltani damit noch nicht. Die 36-jährige Frau und ihre 16-jährige Tochter sind mit den Nerven am Ende, berichtet Anwältin Seidler. »Jetzt, mit dem ganzen Aufsehen, wird's im Iran nur noch schlimmer«, befürchtet sie, doch ein Folgeantrag auf Asyl, begründet mit den neuen Komplikationen wegen des öffentlichen Interesses, wurde abgelehnt. Auch Stadtrechtsdirektor Frommer ist der Fall unangenehm. Wenn Karlsruhe eine Grundrechtsverletzung bejaht, dann ist die Stadt faktisch an der Abschiebung gehindert. »Dann muss Joschka Fischer ran«, seufzt Frommer, schließlich müsse doch der Iran seine eigenen Leute zurücknehmen.
Letztlich hoffen beide Seiten, dass sich eine pragmatische Lösung findet, wie im Fall der Roya Mosayebi, die zwangsverhüllt wurde: Mosayebi ist in die USA ausgereist und dort aufgenommen worden. Diese Chance haben Mutter und Tochter Soltani derzeit nicht. Ihnen ruft der Passbildautomat vorerst weiter sein aufdringliches »Bitte lächeln!« entgegen.
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