Schreiben kann Jürgen Busche, soviel vorab. Das hat der 1944 geborene Autor von Die 68er in einer glänzenden journalistischen Karriere unter Beweis gestellt. Sie begann einst bei der FAZ, führte ihn als Gründungsmitglied ins Literarische Quartett und als Redenschreiber zu Richard von Weizsäcker. Zuletzt war er bei der Süddeutschen Zeitung, der Wochenpost und schließlich als Chef der Badischen Zeitung unter Vertrag.
Über 1968, über "die 68er" haben aber schon viele glänzende Schreiber geschrieben. Jürgen Busches neuartiges Konzept ist, die Geschichte der 68er als "Biographie einer Generation" anzulegen. Und diese Biographie sieht so aus: Der 68er wurde zwischen 1942 und 1949 geboren, erlebte seine politische Initiation mit der Kennedy-Ermordung. Ab 1967 machte er Radau, danach driftete er entweder in den Terrorismus oder wurde - schwuppdiwupp - ein Alt-68er und marschierte in die Institutionen. Er haderte mit Helmut Schmidt, demonstrierte gegen Atomkraft und Nachrüstung, schüttelte Schmidt ab, versagte im Kampf gegen Kohl und wurde von der deutschen Einheit auf dem falschen Fuß erwischt. Plötzlich war er angekommen beim Marschieren, spätestens 1998 mit dem rot-grünen Wahlsieg, und so recht wusste er seitdem nicht weiter.
Was mit der Nachzeichnung dieses Zeitstrahls für die Deutung der 68er gewonnen ist? Jürgen Busche will Hinweise geben, so schreibt er im Vorwort, wie die Alt-68er heute auf die Herausforderungen reagieren. Geht dieses Konzept auf? Nein. Dass der Kennedy-Mord für viele Personen, die um 1945 geboren wurden, ein einschneidendes Erlebnis war, mag ja stimmen - aber wie das mit rot-grüner Regierungspolitik zusammenhängt, bleibt unklar.
Das eigentliche Problem dieser "Biographie": Natürlich hat nicht jeder 68er eine normierte Einheitsvita. Willkommen in der Generationen-Falle! Die Falle schnappt zu, sobald Soziologen und Journalisten sich an einer Schubladisierung versuchen. Sie tapsen in den Irrglauben, ein gemeinsames Geburtsjahr mache Menschen gleich. Wer einmal glaubt, findet auch die erforderlichen Tatsachen, die davon ablenken, wie verzweifelt der Schubladisierer in der Falle zappelt. Jürgen Busche jedoch biegt sich die Tatsachen nicht zurecht - er kaschiert nicht einmal, dass sein Konzept von den 68ern als einer einheitlichen Generation verkorkst ist. So räumt er bei seinem Vorzeige-68er, dem Bundeskanzler Gerhard Schröder, sofort ein: Der sei so atypisch, dass er geradezu typisch für die 68er sei. Folglich wird munter bis zur Aussagelosigkeit differenziert oder bis zur Unkenntlichkeit verallgemeinert. Erfolgreiche Generationen-Bücher funktionieren anders: Fiesta, der Roman von Hemingway, den Busche selbst erwähnt, charakterisiert die lost generation durch literarische Verarbeitung eines Lebensgefühls, ebenso wie Douglas Coupland den Nerv der Generation X traf. Florian Illies sorgte in einem Sachbuch mit der sanft-ironischen Beschwörung von Erinnerungen bei den Angehörigen der Generation Golf für Hihi-Erlebnisse. Auf dieses Niveau begibt sich Busche nicht herab, ihm geht es um eine Deutung. Aber er schwingt sich auch nicht zur wissenschaftlichen Untersuchung auf, so wie es Helmut Schelsky etwa in seiner Studie über Die skeptische Generation geleistet hat.
Skepsis ist allerdings ein gutes Stichwort: Unübersehbar ist, dass Jürgen Busche, obwohl selbst geborener 68er, von diesen nie begeistert war und heute enttäuscht ist. Das Foto auf dem Buchcover illustriert diese Skepsis: Keine Demo, kein feuriger Dutschke, kein lustiger Kommunarde - es sind die müden Augen diskursgenervter Studenten. Die 68er ähnelten in ihrem Psychoterror ihren Nazi-Vätern, meint Busche, sie denunzieren und moralisieren noch heute gern und haben sich im Übrigen dem von ihnen bekämpften "Schweinesystem" gewinnbringend unterworfen. Busche bevorzugt die "großen Brüder", jene Männer, die den Zweiten Weltkrieg noch erlebt hatten, und die dem Treiben ihrer kleinen Geschwister mal distanziert, mal mit Sympathie zusahen: Jürgen Habermas, Rudolf Augstein, Martin Walser, Helmut Kohl. Als neutrale Geschichtsdarstellung taugt Busches Buch wegen dieser Wertungen nicht. Ein persönlicher Bericht, wie ein intelligenter Konservativer mit seinen Altersgenossen ausgekommen ist, ist es aber auch nicht. Immerhin: Das Buch liest sich gut, von den angestrengten Ausflügen in die Hochkultur einmal abgesehen, es ist prägnant, und ja, ja, es enthält einige geistreiche Bemerkungen. Über die kirchliche Prägung vieler Aktivisten, über Johannes Rau im Kampf gegen die Brandt-Enkel, über Edmund Stoiber (man frage sich immerzu: "Wo ist sein Chef?"). Von solchen Einwürfen aber lebt noch keine Biographie.
Vor den 68ern hatte sich Jürgen Busche Helmut Kohl vorgeknöpft. Seine Kohl-Biographie erschien 1998, als dessen Machenschaften noch längst nicht entlarvt waren. Auch die 68er sind bei ihrem Marsch durch ihre eigenwilligen Lebensläufe noch unterwegs, und gerade ihr Verhalten als Senioren in einer Gesellschaft der Alten verspricht spannende Entwicklungen. Bitte, bitte: Seriöse Biographien erfassen ein abgeschlossenes Leben. Solange wollen - und können - manche Autoren nicht warten. Sie erliegen der Versuchung, das Phänomen 68 deuten zu wollen. Darin liegt ein sehr großes Kompliment für diese Zeit.
Jürgen Busche: Die 68er - Biographie einer Generation. Berlin, Berlin 2003, 189 S., 17,90 EUR
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