Was macht ... Blondi?

Medientagebuch Marketing mit Hitler: Wie vor dem "Untergang" Filmemacher zu Historikern werden

Die Titanic parodierte vor einigen Jahren die Zeitschrift Stern, die für ihre letzte Seite Zeitgenossen ausgräbt, deren Namen noch im Hinterkopf spuken, von denen man aber länger nichts gehört hat. Die Titanic fand einen solchen verblichenen Stern und interviewte investigativ mit der Überschrift: "Was macht eigentlich ... Adolf Hitler?" Und siehe da: Der frühere Diktator lebt zurückgezogen mit seinem Lieblingsrüden Blondi in Afrika und betreibt eine Schäferhundefarm. Das hatte etwas Beschauliches - so ungefähr stellte man sich die letzten Tage von Wilhelm Zwo in Holland vor. Doch Hitler ist tot, das weiß jeder, und wer sich bislang nicht so sicher war, dem wird es mit der Medien-Offensive zum Filmstart von Der Untergang eingebläut. Motto: Hitler ist tot, lang lebe Hitler!

Der Untergang ist kein Film, sondern ein Ereignis, ein Tabubruch, ein Wahnsinnsstoff. Vor allem taugt der Film als Lehrstück, wie es ein gewandter Medien-Darling vom Schlage eines Bernd Eichinger schafft, die Maschine so in Gang zu setzen, dass am Ende die Kasse klingelt. Eichinger, der Film-Produzent mit großen Erfolgen und weißen Turnschuhen, hat sich auf Leinwand-Spektakel spezialisiert, seit er 1981 mit Christiane F. - Die Kinder vom Bahnhof Zoo den Durchbruch schaffte. Das Thema Hitler hatte er bislang in Frieden gelassen. Aber wenn einer wie er es anpackt, dann richtig. Am Untergang lässt sich die Programmierung eines Erfolgs nachvollziehen. Eichinger marschiert vom Knüller-Thema zum Kassenknüller - die Medien marschieren mit.

Eichingers erster Schritt: Er gewinnt die richtigen Leute für das richtige Thema. Außergewöhnlich gute und bekannte Schauspieler hat er im Bunker verschanzt. Corinna Harfouch, der auch die Liebe des Produzenten gehört, Seriös-Schauspieler Bruno Ganz, der einst so wirkungsvoll seine Alkohol-Probleme gestand, Juliane Köhler, Ulrich Matthes, Matthias Habich, Heino Ferch, Michael Mendl undsoweiterundsofort - das ist ein Spitzen-Menü für Personality-Köche. Regisseur Hirschbiegel ist durch Das Experiment gerade bekannt genug geworden, um für Qualität zu bürgen, und noch unbekannt genug, um Eichinger nicht die Show zu stehlen. Wichtiger: die Rückendeckung eines unangreifbaren Populärhistorikers. Eichinger schmückt sich mit Joachim Fest, Hitler-Biograph von Rang.

Fest mag es auch gewesen sein, der Eichinger das Entrée in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung verschafft hat. Zwei Feuilleton-Seiten räumte der FAZ-Ableger frei, um den Produzenten mit Schauspielerin Harfouch zu präsentieren. Interviewer: Frank Schirrmacher höchstpersönlich. Als Feuilletonchef und Mitherausgeber der FAZ folgte Schirrmacher eben jenem Joachim Fest. Ein solches Gespräch ist ein Ereignis! Wann sonst lässt sich schwarz auf weiß nachlesen, wie ein veritabler FAZ-Herausgeber zwei Laien die historischen Banalitäten aus der Hand frisst? Dass Filmschaffende zu Historikern geadelt werden, passiert nicht zum ersten Mal. Dass sich die sonst so ironisch-medienkritische FAS daran beteiligt, überrascht. In Sachen "Hitler als Mensch" sekundieren Spiegel und Bild. Hitler geht bekanntlich immer, und also durfte "Adolf Nazi" mal wieder vom Spiegel-Cover starren. Aber nur klein und schwarz-weiß. Groß und in Farbe: Sein Schauspieler Bruno Ganz. Für das Hamburger "Nachrichtenmagazin" war es das vierte Hakenkreuz-Cover in diesem Jahr. Was dem Spiegel recht, ist der Bild billig: Das Boulevard-Blatt widmete den Tagen im Bunker eine Serie ("Adolf Hitler (56 +) riss Deutschland in den Abgrund"). Autor: Joachim Fest. Das ist auch ein Untergang.

Das publizistische Dreigestirn von FAS, Spiegel und Bild genügte, um einen fulminanten Kick-Start hinzulegen. Der Motor der Medienmaschine stottert bislang nicht. Der frühe Start hat dafür gesorgt, dass kontinuierlich Kritiken und Berichte nachgelegt werden, den Sperrfristen zum Trotz, die üblicherweise eine Besprechung erst zum Filmstart vorsehen. In Porträts wird - eher unironisch - Bernd Eichinger zum "Historiker" (Welt am Sonntag) befördert, auch wenn er nicht mehr als eine triviale Familiengeschichte zum Besten gibt; in Berlin tritt der Produzent mit Hans-Jürgen Syberberg auf, der 1977 Hitler - ein Film aus Deutschland ins Kino brachte. Der nächste Gang wurde eingelegt, indem die englische Presse Stellung bezog: Sie diagnostiziert einen Tabu-Bruch, fragt, ob Deutschland Hitler nun vergebe, kritisiert Eichingers Wegbereiter Guido Knopp und fürchtet ein museal verzärteltes "Nazi light". Franz-Josef Wagner, der Briefonkel der Bild, kann das prägnanter. Es menschelt in seiner Kolumne und so schreibt er an Bruno Ganz: "An Sie, lieber Bruno Ganz, Sie berühmter Seelendarsteller, habe ich nur eine Frage: War Hitler ein Mensch?" Da der berühmte Seelendarsteller nicht antworten wird, zwingt der Hype ins Kino - damit man wenigstens auf die Fragen eines FJW nicht sprachlos bleibt.

Um den Film geht es nur am Rande. Wenn Filme Ereignisse sind, verkommt die Filmkritik zum störenden Beiwerk. Wen interessiert noch die cinematographische Umsetzung, wenn viel interessanter ist, ob ein Mensch ist, wer Blondi streichelt? Wer diese Frage stellt, beteiligt sich am Tanz um den Toten. Schon jetzt ist auf der Meta-Ebene kaum noch Platz, weil sich allzu viele Feuilletonisten auf dieser drängeln. Internet-Foren und Zeitungsspalten borden über, obwohl noch kaum jemand den Film gesehen hat.

Und wozu das alles? Des Geldes wegen, natürlich. Joachim Fest, dessen Buch Der Untergang die Grundlage des Films ist, bringt nach dem Buch zum Film das Filmbuch heraus. Beim Spiegel und bei Bild verkauft sich der "Menschheitsverbrecher" (Spiegel) respektive die "Nazi-Bestie" (Bild) traditionell gut. Die Constantin-Film AG, deren Aufsichtsrat Bernd Eichinger vorsitzt, die aber inzwischen mehrheitlich der Schweizer Highlight Communications gehört, will in diesem Jahr die unternehmerische Wende schaffen. 85 Euro war die Constantin-Aktie einmal wert, jetzt wird sie für unter sieben Euro gehandelt. Der Untergang ist wichtig fürs Renommee, die ARD (die die TV-Rechte erworben hat) und den internationalen Vertrieb. Ein Rechtehändler von EOS-Entertainment jubilierte, dass der 60. Jahrestag des Kriegsendes 2005 im Ausland ein hervorragendes "Marketingtool" sei. Was machte eigentlich ... Adolf Hitler?


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