Zwischen Geist und Macht

Entmächtigung Eine Chronik des Theodor-Heuss-Preises zeichnet den Weg des liberalen Establishments der Bundesrepublik nach

Es gab Zeiten, da waren Politiker Persönlichkeiten und Persönlichkeiten Politiker. In der alten Bundesrepublik hatte von Beginn an zwischen konservativer Adenauer-Mehrheit und linker Systemkritik eine Gruppe ihren Platz, von der heute kaum mehr ein Hauch durch das neue Berliner Regierungsviertel weht: das liberale Bürgertum. Ihr erster Repräsentant war der erste Mann im Staate, Theodor Heuss, der Bundespräsident. Von seinem verhängnisvollen "Sündenfall" 1933, als er dem Ermächtigungsgesetz zugestimmt hatte, abgesehen, überzeugte er als Demokrat und Bildungsbürger. Heuss - eine Vorbildfigur, ein Mann, der in seiner bodenständigen, aber durch und durch liberalen Art für ein friedliches und kulturbeflissenes Deutschland stand. Er war Symbol für die Gruppe der aufrechten Persönlichkeiten, die sich seit seiner Amtszeit immer wieder in die bundesdeutsche Politik einschalteten und wie Vermittler zwischen Intellekt und Macht, zwischen geistiger Unabhängigkeit und Parteidisziplin wirkten.

Der beschränkte Einfluss dieser Gruppe kündigte sich schon bei Heuss an: Er war - als erster Bundespräsident - das Aushängeschild, nicht mehr, nicht weniger. Aufschluss über seine politischen Erben gibt ein Buch, das die Journalistin Beatrice von Weizsäcker in Zusammenarbeit mit der früheren FDP-Politikerin Hildegard Hamm-Brücher geschrieben hat: Die beiden Frauen zeichnen in Demokratie ist keine Glücksversicherung die Geschichte des Theodor-Heuss-Preises nach, der 1965 erstmals von der Theodor-Heuss-Stiftung vergeben wurde. Es ist die Chronik einer anderen Bundesrepublik geworden: erinnert wird an die großen Persönlichkeiten und kleinen Initiativen, die zwischen ungezogenen 68ern und etablierten Strukturen balancierten.

Ludwig Heuss, ein Enkel des ersten Bundespräsidenten, schildert in dem Buch eine Szene, die er als junger Gymnasiast erlebte: Da diskutierten im Hinterzimmer eines Münchner Wirtshauses die Regierungsmitglieder Hildegard Hamm-Brücher und Hans-Jochen Vogel mit den Professoren Carl-Friedrich von Weizsäcker und Hartmut von Hentig über den Nato-Doppelbeschluss - vier Persönlichkeiten, die damals zum linksliberalen Establishment zählten, und die etwas zu sagen hatten. Heute stehen sie nicht mehr in der ersten Reihe. Ihre Plätze sind vakant. Die Listen der Heuss-Preisträger und ihrer Laudatoren lesen sich wie das "Who is who" einer politischen Strömung, die sogar zeitweilig die Republik einmal prägte. Wenn die geistreiche Stiftungsgründerin Hamm-Brücher, ehemals Staatsministerin im Auswärtigen Amt, die Geschichte der Heuss-Stiftung Revue passieren lässt, lässt sich erahnen, wie eine Republik hätte aussehen können, in der Ralf Dahrendorf und Burkhard Hirsch, Walter und Inge Jens oder Dorothee Sölle und Manfred Rommel eine wichtigere Rolle gespielt hätten. Persönlichkeiten wie diese glaubten wirklich noch an Demokratie und Freiheit; zuweilen waren sie evangelisch angehaucht und durch die Erfahrungen der NS-Zeit geprägt, interessiert am Grundsätzlichen und ausgerüstet mit der Kraft, gegen den Strom zu schwimmen.

Es wird schwieriger, solche Persönlichkeiten zu entdecken. Von einer "Depolitisierung" redet Hamm-Brücher, die selbst aus der FDP ausgetreten ist, - man könnte auch von einem Bedeutungsverlust der aufrechten Liberalen sprechen, die keine Heimat mehr haben. Die Heuss-Preise gingen in den vergangenen Jahren häufiger an Professoren als an Politiker. Im aktuellen Vorstand der Heuss-Stiftung ist mit Sabine Leutheusser-Schnarrenberger nur eine Politikerin mit bundesweiter Bedeutung verblieben. Die Hoffnung, dass mit der Bürgerrechts-Bewegung der DDR das linksliberale Bürgertum in ganz Deutschland neuen Schwung erhält, wurde enttäuscht. Christian Führer, Joachim Gauck, David Gill, Anetta Kahane, Ulrike Poppe und Jens Reich, die 1991 stellvertretend für die Demonstranten des Herbstes 1989 ausgezeichnet wurden, spielten schon kurze Zeit später keine Rolle mehr.

Doch die Heuss-Stiftung wies früh auf einen anderen, vernachlässigten Weg aus der Krise: den der "Bürgergesellschaft" mit ihren vielfältigen Initiativen. Schon 1965, als der Bildungsreformer Georg Picht den ersten Heuss-Preis erhielt, wurden neben ihm Schulen und Schüler geehrt, die mehr demokratisches Engagement zeigten als vom Stundenplan vorgeschrieben - und zuweilen erwünscht. Die Anerkennung durch die Stiftung mit renommierten Persönlichkeiten motivierte, wie die damalige Schülerin Reni Maltschew berichtet, deren Schule in Cottbus sich weiter kreativ gegen die Lethargie im Kampf gegen den Rechtsradikalismus zu stemmen. Heute scheint es, als müsste man die großen Persönlichkeiten ermuntern, sich wieder einzumischen.

Beatrice von Weizsäcker: Demokratie ist keine Glücksversicherung - 40 Jahre Theodor-Heuss-Preis. Hohenheim Verlag, Stuttgart/Leipzig 2005, 275 S., 19,90 EUR


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