Ein ehemaliger Feuerlöschteich, ein barocker Kirchturm, der Stammtisch im Gasthof, der vom Metzger geführt wird - das findet man in so manchem bayrischen Dorf, auch im Alpenvorland. Dort ist das Klima rau, die hügeligen Felder steinig, doch die Welt noch halbwegs in Ordnung. Die Kühe in den Ställen heißen Resi, Lissi oder Maja, und die Bauern kennen sie alle mit Namen. Seit Monaten hängen BSE und MKS über den Bauern wie schwarze Gewitterwolken. Bisher hat es noch nicht eingeschlagen, sie können nur warten, hoffen, vielleicht beten. Unsere Autorin Ruth Rehmann hat einige dieser Landwirte an der Grenze zu Österreich besucht.
Stämmig und selbstbewusst sitzt der Bauer neben seiner schmalen Frau am Tisch, ein Energiebündel mit schnellem
del mit schnellem Verstand, wendig, lebhaft, gesprächig. Die Frau ist ruhiger, hört aufmerksam zu, gibt gelegentlich zustimmende oder ergänzende Bemerkungen von sich. Mir schenkt sie ein großes Glas Bier ein, sich selbst ein kleines. Der Mann trinkt nur Mineralwasser. Mit Stolz erzählt er von seinem Vater und wie gut sie sich verstanden haben. Von Anfang an war klar, dass er den Hof einmal haben sollte. Die Brüder hatten nichts dagegen. Die haben studiert - ein Wunder, wie der Vater das geschafft hat - und sitzen jetzt in guten Positionen."Sobald ich halbwegs erwachsen war, hab ich mit dem Vater zusammen geplant und gearbeitet", sagt er, "auch an den Wochenenden und in den Ferien. Wir haben auch zusammen auf dem Dach des neuen Stalles gesessen und die Schindeln gelegt, als es passierte ..."Der Stall ist ein Prunkstück, einzigartig in dieser Gegend, luftig, geräumig, an einer Seite offen, so dass die Tiere wie im Freien herumlaufen können. Der Bau war der letzte Teil einer geradezu übermenschlichen Arbeit des Vaters, nachdem ihm völlig unerwartet der Hof in den Schoß gefallen war. Allerdings - ein Hof war es eigentlich nicht, eher eine riesige Altlast aus aufgegebenen Mühlengebäuden (Getreide- und Sägemühle), einem großen alten, aus Bruchstein erbauten Gasthaus mit Wohnteil (Baujahr 1793), einem ebenso alten Gewölbestall, und ein paar verwahrlosten Fischteichen. Zu allem Überfluss war die Hälfte des Grundes in fremdem Besitz - eine Folge alter Erbstreitigkeiten."Aber es war eben sein Heim", erklärt der Bauer, "Der Vater war da aufgewachsen, ist aber fortgegangen und hat Maurer gelernt, weil ein anderer erben sollte, der es dann hinterher doch nicht bekommen hat. Dann war er dran. Damals lebte er mit Frau und Kind in einem Reihenhaus." Das Wort "Reihenhaus" sagt der Bauer in einem Ton, als hätte es sich um eine Hundehütte gehandelt. Es braucht keine weitere Erklärung, warum der Vater das Reihenhaus stehen ließ, um in die Ruine von Hof zu ziehen.Mit dem Erlös aus dem Verkauf des Reihenhauses hat er dann die bereits verkaufte Hälfte des Grundes zurückerworben, die alten Mühlengebäude abgerissen, das Gasthaus mit Wohnteil renoviert und vier hochmoderne Ferienwohnungen in den Dachstock gebaut, alles allein, manchmal mit Hilfe eines Nachbarn oder des Sohnes. (Während der das erzählt, schiebt mir die Bäuerin einen mit moderner Werbetechnik gestalteten Prospekt über den Tisch.) Die Mutter ist in den Stall gegangen und an Wochenenden, wenn die Wirtschaft offen war, hat sie gekocht (meist Forellen), der Vater hat aufgetragen und die Gäste unterhalten, ein freundlicher Mensch, "griebig" nennt man das hier. Inzwischen ist das Gasthaus geschlossen."Es war zuviel Arbeit und die Saison ist kurz", sagt die Frau. "Die Leute in den Ferienwohnungen kochen selbst. Sie kommen aus interessanten Berufen und haben was zu erzählen. Abends sitzen wir manchmal zusammen. Die Kinder laufen im Hof und im Stall herum oder sie baden im Fluss. Das Wasser ist sauber und nicht kalt, weil es aus dem See kommt. Manche Gäste kommen jedes Jahr wieder." Der Bauer erzählt weiter von seinem Vater. Bei der Hofrenovierung wird allmählich das Geld knapp. Glücklicherweise findet sich ein Unternehmen, das die alten Wasserrechte der Mühle kaufte und statt der verwahrlosten Fischteiche ein kleines E-Werk errichtet. Nun können Vater und Sohn mit dem Stall beginnen. Sie haben ihn miteinander ausgetüftelt, nachdem sie quer durch Europa gefahren sind (Tschechien, Elsass), um sich, was Stallbau betrifft, inspirieren zu lassen. Ohne Architekt und Firma legen sie los, die Statik macht ein Bekannter. Als sie beide beim Dachdecken sind, bricht der Vater zusammen, Herzschlag, Tod."Wenn Sie dieses Leben, diese Arbeit anschauen, dann verstehen Sie, dass ich in seinem Sinn weitermachen will", sagt der Bauer feierlich. "Das ist so eine Art ethische Verpflichtung. Auch für unser Kind", sagt die Frau. Sie haben vor kurzem, nach langem Warten, ein Mädchen bekommen, das erste Kind. Weil hier unten, rund ums Haus, der Grund viel zu wenig ist - die 10 Hektar kann man wegen der Feuchtigkeit nur als Grünland benutzen - hat er besseren Grund für Getreideanbau dazu gepachtet und von den Eigentümern Milchkontingente gekauft. 60 Tiere stehen im Stall. "In der Fleischwirtschaft ist die internationale Konkurrenz beinhart", sagt er: "Hochsubventioniertes Billigfleisch aus den USA, Hormonfleisch aus Argentinien. Da drüben fahren sie mit Billigsprit und spritzen mit Athrazin, was hier längst verboten ist. Das sind ungerechte Bedingungen, aber wir kommen zurecht. In ein paar Jahren können wir die Schulden weghaben, wenn es so weitergeht."Wie es weitergeht? "Ich mag die biologische Landwirtschaft", sagt der Bauer. "Was ich nicht mag, ist die Einteilung biologisch gut - konventionell schlecht. Jeder Bauer hat andere Bedingungen. Ich gelte als konventionell, arbeite aber biologisch wo es eben geht, halte mich an die Fruchtfolge, benutze keine Insektizide. Mein Stall ist ökologischer als die der meisten Biobauern. Jedes Tier hat seinen Pass und eine lückenlos dokumentierte Lebensgeschichte von der Besamungsstation bis zum Schlachthof.""Wir kennen sie alle beim Namen", sagt die Frau. "Wenn etwas nicht stimmt, merken wir´s sofort. Das kann man doch nicht Massentierhaltung nennen. Die Leute stellen sich irgendeine Tierquälerei vor, aber das stimmt doch gar nicht. Bei uns haben´s die Tiere gut, man braucht sie nur anzuschauen." Bisher hat sie eher den Mann reden lassen, aber nun, wo es um die Tiere geht, wird sie lyrisch. "Wenn ich in der Früh zum Stall gehe und die Kühe in der Sonne stehen sehe ... die leuchten richtig. Das glatte Fell in der Sonne, das ist wie ... wie ... naja ein tolles Gefühl eben. Dem Kind wird es auch gefallen."Beim Abschied erwähnt der Bauer ganz nebenbei, dass ein Vertreter von Bioland auf dem Hof war: "Der hat sich alles genau angeschaut und gemeint, dass eine Umstellung gar nicht so schwierig wäre ..."Also wollen Sie doch? "Man muss weiterdenken, sagt er, alle Möglichkeiten prüfen, was geht und was nicht geht. Und im richtigen Augenblick zupacken. So hat es der Vater auch gemacht."Erst als ich über den Hof zum Auto gehe und im oberen Stock ein beleuchtetes Fenster sehe, fällt mir ein, dass die Mutter auch noch da ist. Als ich kam, hab ich sie mit dem Kopftuch über den Hof laufen sehen. Jetzt sitzt sie da oben allein, kommt nicht mal runter, wenn von einer Vergangenheit erzählt wird, die ja auch ihre Vergangenheit ist. Oder hat man sie gar nicht gefragt?
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