Ein ehemaliger Feuerlöschteich, ein barocker Kirchturm, der Stammtisch im Gasthof, der vom Metzger geführt wird - das findet man in so manchem bayrischen Dorf, auch im Alpenvorland. Dort ist das Klima rau, die hügeligen Felder steinig, doch die Welt noch halbwegs in Ordnung. Die Kühe in den Ställen heißen Resi, Lissi oder Maja, und die Bauern kennen sie alle mit Namen. Seit Monaten hängen BSE und MKS über den Bauern wie schwarze Gewitterwolken. Bisher hat es noch nicht eingeschlagen, sie können nur warten, hoffen, vielleicht beten. Unsere Autorin Ruth Rehmann hat einige dieser Landwirte an der Grenze zu Österreich besucht.
Bauern fangen nie von vorne an. Im Haus, im Stall, im Grund, im Maschinenpark, in der Wirtschaftsweise leben die gestorb
ie gestorbenen Väter weiter. Sie halten fest, was das Ihrige war. Jeder Bauer, der ändert oder umstellt, muss ein Stück Vater umbringen.Der Hof von Engelbert B. hat in dieser Gegend immer als Musterbetrieb gegolten. Ein Flüchtling aus Sudeten hat ihn nach dem Krieg übernommen und die daniederliegende Landwirtschaft im Lauf der Jahre auf die Höhe der Zeit gebracht. Samstagsabends kam er manchmal in die Gastwirtschaft, in der ich damals wohnte, und führte am Stammtisch das große Wort, ein Besserwisser, dem man das Besserwissertum abnahm, weil er ein heller Kopf war, dynamisch, risikofreudig, gerissen, autoritär, ein Berserker in der Arbeit. Wenn er etwas getrunken hatte, wollte er Sudetenlieder singen. Dann mussten alle still sein oder mitsingen, und ich musste ihn auf der Ziehharmonika begleiten. Er war der erste hier, der Mais anbaute und ein Silo aufstellte. Mit modernen Maschinen und Methoden war er ein Vorreiter der damals vorbildlichen Intensivwirtschaft. Heute wirtschaftet sein Sohn, ein ganz anderer Mensch, sanft, freundlich, behutsam mit Boden, Pflanzen, Tieren. Ich hab mich immer gewundert, warum er nicht auf biologisch umstellt. Er ist der Typ, seine Frau auch.Der Hof, etwas erhöht über dem Fluss gelegen, hat die alte Vierkantform. Wohnhaus und Wirtschaftsgebäude öffnen sich auf einen Innenhof mit Zugang zu einem unbefestigten Weg. Auf der anderen Seite des Weges, abseits vom archaischen Ensemble, liegt eine langgestreckte Baracke, in der Schweine gemästet werden. Der Bauer ist auf dem Feld. Seine Frau begegnet mir im Innenhof, eine liebliche fast madonnenhafte Erscheinung. Der Blick verrät feste Grundsätze und einen gewissen christlichen Eigensinn. Ich kenne sie als fromme Katholikin und engagierte Lebensschützerin. Vor der Heirat hat sie als Krankenschwester gearbeitet. Im Innenhof und im Haus herrscht eine makellose Ordnung und Sauberkeit. Trotz der vier Kinder liegt nichts herum. Blumen stehen im Hausgang. An der Wand hängt ein exotisches Gemälde, das eine Art Welttheater aus afrikanischer Sicht darstellt - Gruppen schwarzer Menschen in allen Lebenssituationen zwischen Geburt und Tod, auch Not, Gewalt, Verfolgung, darüber das Auge Gottes. Wir sitzen in der Küche, bei einer Tasse Kräutertee. Ich spüre einen freundlichen aber zähen Widerstand. Ihr Hof sei nicht repräsentativ, sagt sie, ich solle bei den Nachbarn nachfragen. Die kämen besser zurecht. Ich wundere mich. Jedes Jahr sehe ich das Getreide auf ihren Feldern dicht und üppig stehen, keine Spur Unkraut dazwischen, alles ist gepflegt und aufgeräumt, wie das Innere des Hofes.Ihr Mann sei so fleißig und gründlich, und in dem Ton, in dem sie das sagt, schwingt ein Aber mit, das aber nicht kommt. "Seit Jahren wirtschaftet er extensiv, mit der vorgeschriebenen Fruchtfolge. Vor jedem Anbau liest er die Steine aus dem Acker. Das tut hier kein Mensch mehr."Die Frage, warum er nicht biologisch arbeitet, liegt mir auf der Zunge, aber ich wage nicht, sie auszusprechen, gebremst von ihrer Empfindlichkeit. Doch allmählich kommt der Kummer, die Ursache für das nicht ausgesprochene Aber heraus: Auf diesem Hof hat es nie eine richtige Übergabe gegeben. Solange der Vater lebte, hat er die Arbeit organisiert, und nach seinem Tod waren die Jungen durch die Bestimmungen des Testamentes gebunden."Mein Mann wollte von der Intensivwirtschaft weg", sagt sie. "Er hat die Nachteile und Gefahren früh erkannt, konnte sich aber beim Vater nicht durchsetzen. Sie kennen ihn ja, fleißig bis zum Umfallen, für harte Auseinandersetzungen nicht geschaffen." Als der Vater hinfällig wurde, mussten Entscheidungen getroffen werden. Wachsen oder weichen. Um mehr Milchvieh zu halten, musste ein neuer Stall gebaut werden. Damals war noch keine Bäuerin auf dem Hof, die Mutter war alt. Allein hätte der Jungbauer die Arbeit nicht leisten können. Also entschied er sich für Zucht und Mast - vorwiegend Schweine - und Getreideanbau. "Während die Nachbarn Subventionen für Vergrößerung der Ställe und des Milchviehbestandes kassierten, sind wir leer ausgegangen", erzählt die Bäuerin. "Wir betreiben eben keine Milchwirtschaft, bei der man seine Kontingente und ein sicheres Einkommen hat. Gestern wollte ich ein Rind verkaufen und erfahre, dass sie inzwischen für den halben Preis angeboten werden. Auch mit den Schweinen wird es schwieriger. Der Preis der zugekauften Ferkel steigt, der Fleischpreis sinkt aber eher. Gewisse Pilzkrankheiten beim Getreide müssen weggespritzt werden, sonst kann man es nicht als Schweinefutter verwenden. Schweine sind empfindlich. Wenn sie krank werden, muss man Antibiotika spritzen. Alles kostet.""Die Antibiotika sind dann im Fleisch. Die Leute essen es mit den bekannten Folgen", sage ich. "Die Leute rauchen auch Zigaretten", antwortet sie bitter. Eine Weile ist es still in der Küche. Dann sagt sie: "Wir sind am Minimum. Manchmal denke ich daran, in meinen Beruf zurückzugehen." Es ist Zeit zu gehen. Pro forma bitte ich um ein zweites Gespräch zusammen mit ihrem Mann. Wie ich erwartet habe, weicht die Bäuerin aus. Im Hausgang bleibe ich noch einmal vor dem afrikanischen Bild stehen. Sie habe es von der Caritas gekauft, weil ihr gefalle, dass auch die dunklen Seiten des Lebens dargestellt sind, hat sie gesagt. "Ich habe mir immer ein neues Haus gewünscht", sagt sie nun, "daraus ist nichts geworden. Man muss sich in das Gegebene fügen."Beim Weggehen sehe ich den Vater schwer und breit auf den Dächern des Vierkanthofes sitzen, immer noch die Zügel in der Hand, - ein Vorreiter, der zur Altlast geworden ist ...
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