Ein ehemaliger Feuerlöschteich, ein barocker Kirchturm, der Stammtisch im Gasthof, der vom Metzger geführt wird - das findet man in so manchem bayrischen Dorf, auch im Alpenvorland. Dort ist das Klima rau, die hügeligen Felder steinig, doch die Welt noch halbwegs in Ordnung. Die Kühe in den Ställen heißen Resi, Lissi oder Maja, und die Bauern kennen sie alle mit Namen. Es gibt keine Massentierhaltung, und die Bauern haben meist noch einen anderen Beruf, bei der Post oder als Kfz-Mechaniker zum Beispiel - das war schon immer so. Seit einigen Monaten nun hängen BSE und inzwischen auch MKS über den Landwirten wie schwarze Gewitterwolken. Bisher hat es noch nicht eingeschlagen, sie können nur warten, hoffen, vielleicht beten. Unsere Autorin Ruth Reh
Rehmann hat einige Höfe an der Grenze zu Österreich besucht und wird davon auch in den nächsten Ausgaben des Freitag berichten.Vor einigen Wochen ist das Fernsehen hier gewesen und auch der Bauernpräsident Gerd Sonnleitner. Zur Bürgersprechstunde um das Thema: "Mit Bio-Produktion aus der Krise?" Die Konventionellen rieten alle zum Abwarten, die Biobauern zur schnellen Wende. Sonnleitner, dem von allen Seiten Vorwürfe entgegen hagelten, verschob unauffällig die Fronten, indem er die Kritik an seinem Verband als Angriff auf die konventionell-wirtschaftenden Kollegen "missverstand". Das gab ihm Gelegenheit, sich als Friedensstifter zu betätigen: Prädikate wie "Bio - gut, konventionell - schlecht" stifteten nur sinnlosen Streit. Beide Wirtschaftsweisen hätten ihre Berechtigung. Verband und Bauern müssten zusammenhalten. Alle an einem Strang.Der Beifall verrät, dass er im Saal Anhänger hat, wahrscheinlich unter den Konventionellen. Mit dem Bauernverband, egal ob und wie er in der Vergangenheit gemauschelt hat, legt man sich nicht gerne an. Er ist mächtig, bietet wichtige Dienste an, beschäftigt Wissenschaftler und Experten, die in Aufsichtsräten und Lobbys Einfluss auf Politik, Wirtschaft und Behörden nehmen. Nicht umsonst sind 90 Prozent der Bauern, unter ihnen auch Biobauern, im Verband organisiert. Der Präsident lehnt sich zurück und verteilt Bonbons: Die Förderung der biologischen Landwirtschaft habe ihm immer besonders am Herzen gelegen ... Irgendwo im Saal wird gelacht. Eine Stimme erhebt sich und spricht in eine plötzliche Stille hinein: "Der Bauernverband hat uns immer belogen, uns alle!" Wo und in welchem Zusammenhang habe ich diese Stimme schon einmal gehört?Der Präsident empört sich, kann aber seinen Dampf nicht ganz ablassen, weil die Sendung zu Ende geht. Das Publikum verlässt den Saal. Später, in der Wirtsstube erfahre ich, dass der Streit nach dem Abschalten erst richtig losgegangen sei. Mit schlimmen Worten. Inzwischen weiß ich auch, wer den provokativen Satz gesprochen hat und wann ich die Stimme schon einmal gehört habe - in einer ganz anderen und doch ähnlichen Situation.Eine Podiumsdiskussion zur Zeit des Streits um die Raketenstationierung. Gegen Ende, als alle Argumente ausgetauscht sind, erhebt sich ein Bursche, der aussieht, als sei er gradewegs von der Alm heruntergestiegen: braunhaarig, braunbärtig, Lederhosen, nackte braune Waden, Bergstiefel. Stockend, wahrscheinlich errötend, was man wegen der Sonnenbräune nicht sehen kann, fragt er, ob Jesus nicht gesagt hätte: Wer das Schwert nimmt, wird durch das Schwert umkommen.Peinliche Stille. Köpfe wenden sich. Schließlich ergreift einer der Militärpfarrer auf dem Podium eher widerwillig das Wort: Man solle doch bitte sehr die Heilige Schrift nicht für tagespolitische Zwecke missbrauchen.Das ist 20 Jahre her. Inzwischen hat der Bauernbursche von damals, er heißt Sepp Daxenberger, ein paar Jahre für die Grünen im bayerischen Landtag gesessen. Er ist aus dem Spektrum der katholischen Landjugend über Friedens- und Umweltbewegung zur biologischen Landwirtschaft gekommen und nicht mehr der einzige Ökobauer hier. Nach der mittleren Reife hatte er eine Schmiedelehre gemacht, als Erster in dieser Gegend den Wehrdienst verweigert. 1996 wurde er in seiner Heimatgemeinde Waging für sechs Jahre zum Bürgermeister gewählt.Immer noch braunhaarig, braunbärtig aber nicht mehr in Lederhosen, sitzt er mir nun im Besprechungszimmer seines Amtes gegenüber, und wir reden über die Bürgersprechstunde.Ihre Frage war vermutlich keiner der beiden Parteien so richtig angenehm, weder den Herren auf dem Podium noch den Alternativen im Saal.Ich habe solche Schubladen nie akzeptiert. Ich war immer schon in verschiedenen Kreisen zuhause - in meinem Dorf beim Fußballverein, bei der Freiwilligen Feuerwehr, am Stammtisch, in der Kirche - bei den Alternativen in Diskussionskreisen, Veranstaltungen, Demonstrationen, im Forum Ökologie. Ich hab immer versucht, bei den einen die anderen zu vertreten und umgekehrt - so als Art Mittelsperson - schon auf der Realschule, wo ich Schulsprecher war. Das liegt mir einfach, sonst könnte ich hier nicht Bürgermeister sein.Werden sie Sie wiederwählen, 2002?Glaub schon.Warum will sich hier keiner mit dem Bauernverband anlegen - auch die Biobauern nicht?Es hat alles zwei Seiten. Gerade die Verflechtung mit Behörden und Agroindustrie gibt dem Verband die Möglichkeit, Begünstigungen und Sicherheiten für die Bauern herauszuholen. Wenn sich die Konventionellen an das mit der Industrie ausgehandelte Prämiensystem halten, das große Flächen und Produktionsmenge belohnt, haben sie ein sicheres Einkommen, allerdings auf Kosten ihrer Unabhängigkeit und zum Schaden der Umwelt, der Tiere und eigentlich auch der Verbraucher, aber die schauen eben nur auf niedrige Preise. Die konventionellen Mastbetriebe können überhaupt nicht entscheiden, mit welchen Methoden sie arbeiten. Das sind reine Zulieferbetriebe, müssen erzeugen, was, wann, wie verlangt wird. Wenn sie genug Tiere haben, verdienen sie gutes Geld, außer es passiert eine Katastrophe wie jetzt. Dann stürzen sie ab. Die landwirtschaftlichen Zeitschriften sind voll von Verkaufsangeboten: Land, Gebäude, Maschinen, ganze Höfe. Die Preise sinken, die Banken zittern ...Könnten solche Bauern nicht auf Bio umstellen?Das ist nicht so einfach. Mindestens zwei Jahre braucht die Umstellung eines Mastbetriebes, beim Anbau drei Jahre, anfangs magere Erträge, viel Arbeit. Das kann einer allein gar nicht schaffen. Der kann vielleicht einen vollmechanisierten Hof betreiben, aber keine biologische Landwirtschaft.Aber es geht doch aufwärts, ein Anteil von 20 Prozent Bioproduktion ist angesagt. Gelder werden fließen.Vorläufig fließen nur Worte. Die Ministerin ist auf dem richtigen Weg, aber es geht alles zu langsam. In den Strukturen ist noch gar nichts passiert. Der agroindustrielle Komplex - das ist Beton. Im Augenblick ist die Nachfrage nach Biofleisch größer als das Angebot. Auf die Dauer wird sich das ändern. Wichtig ist, dass auch die konventionelle Landwirtschaft auf umweltschonende Weise gesunde Nahrungsmittel erzeugt. Auch 2.000-Hektar-Farmen können biologisch arbeiten. Prämien sollten an die Zahl der Arbeitsplätze und umweltverträgliche Methoden gebunden werden. Dann würden auch die Preise steigen und die Bauern könnten vom Ertrag ihrer Arbeit leben statt am Tropf der Subventionen zu hängen.Wie hat es denn bei Ihnen angefangen mit der Umstellung? Ihre Eltern haben doch sicher auch konventionell gearbeitet.Ich hätte den Hof nicht übernommen, wenn sie die Umstellung nicht mitgemacht hätten. Das war die Bedingung.Hat es Streit gegeben?Sie hatten eigentlich keine Wahl. Heute müssen die Bauern froh sein, wenn eines der Kinder übernimmt. Unser Hof war immer ein Zuerwerbsbetrieb wie fast alle hier. Zu wenig Grund, um eine Familie zu ernähren, etwas Grünland ums Haus, etwas Wald, ein paar Kühe im Stall, Schweine, Geflügel zum Hausgebrauch. Der Vater hat bei der Post gearbeitet. Nach der Übergabe haben die Eltern weitergemacht, heute noch, zusammen mit meiner Frau. Nur so kann es gehen. Wenn die Familie zusammenhält und jeder seinen Teil der Arbeit tut. Daxenberger räumt Papiere und Broschüren zusammen. Schon drei Mal hat sein Handy geklingelt und er hat mit einem "Ich habe Besuch, später ..." aufgelegt. Die letzten Fragen stelle ich zwischen Tür und Angel: "Glauben Sie, dass die neue Ministerin durchhalten wird - die Berliner Pflanze?" - "Warum nicht?" sagt er, "ein Verteidigungsminister muss auch nicht Panzer fahren können. Was sie braucht, sind gute Berater und solidarische Mitarbeiter." Ob er aushelfen kann? Er schüttelt sich. "In Berlin würd ich eingehen", sagt er, "ohne meine Leute, ohne die Berge, nein danke ..."
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