Ein ehemaliger Feuerlöschteich, ein barocker Kirchturm, der Stammtisch im Gasthof, der vom Metzger geführt wird - das findet man in so manchem bayerischen Dorf, auch im Alpenvorland. Dort ist das Klima rau, die hügeligen Felder steinig, doch die Welt noch halbwegs in Ordnung. Die Kühe in den Ställen heißen Resi, Lissi oder Maja, und die Bauern kennen sie alle mit Namen. Seit einigen Monaten hängen BSE und inzwischen auch MKS über den Bauern wie schwarze Gewitterwolken. Bisher hat es noch nicht eingeschlagen, sie können nur warten, hoffen, vielleicht beten. Unsere Autorin Ruth Rehmann hat einige dieser Landwirte an der Grenze zu Österreich besucht, in der vergangenen Ausgabe erzählte sie von dem grünen Waginger Bürgermeister S
ster Sepp Daxenberger, heute ist sie auf seinem Hof und bei seiner Frau zu Gast.Der Daxenberger-Hof liegt ganz am Ende eines winzigen Dorfes auf einer Anhöhe, hinter der die wolkenverhangenen Berge aufragen. Bei Föhn sind sie wahrscheinlich zum Greifen nah, aber heute regnet es - ein düsteres Wochenende. Der Bauer ist beim Fußball. "Das lässt er sich nicht nehmen", sagt seine Frau Gertraud, "er will kein Bürokrüppel werden". An der Haustür habe ich eine Art Passwort sagen müssen, nämlich, dass ich in letzter Zeit nicht in England gewesen bin - eine Vorsichtsmaßnahme wegen der Maul-und Klauenseuche. Danach hat mich die Bäuerin in die Küche im oberen Stock geführt, die wie alle Bauernküchen mit einem soliden Tisch und Eckbank ausgerüstet ist. Während wir reden, findet in meinem Kopf eine Art Umwälzung statt. Meine Erinnerung hatte sie als ein scheues Hascherl verwahrt, das im Schatten des imposanten Mannes farblos dahinwelkte. Davon ist nichts übrig geblieben. Die schlanke, gepflegte Person, die mir gegenübersitzt, wirkt locker, selbstbewusst, kompetent, klarer Blick, gelassene Miene, präzise Aussagen. Die Küche ist aufgeräumt, aber nicht pingelig. Nichts Überflüssiges steht herum, keine Folklore. Nebenan spielen die drei Kinder in einem durch einen offenen Bogen mit der Küche verbundenen Wohnzimmer. Als sie später zu streiten anfangen, sagt die Mutter: "Geht zur Oma!" Die Kinder verschwinden die Treppe hinunter, und es wird still.Wir sprechen über ihren Mann. Ich finde es erstaunlich, wie er ohne Weiterbildung, ohne Studium die Fähigkeiten erworben hat, die ihn als Landtagsabgeordneter und Bürgermeister über die Grenzen des Landes bekannt gemacht haben. Alle Bauern, die ich kenne, haben mindestens eine Landwirtschaftsschule besucht oder ein Studium abgeschlossen. Wie lernt er? Hockt er am Abend über Büchern?Sie schüttelt den Kopf, denkt ein bisschen nach und sagt ziemlich vage: "Er ist viel unterwegs, redet mit Leuten ..." Damit meint sie wohl, dass er durchs Zuhören, Reden, Hinschauen lernt, und natürlich durch Nachdenken. "Er hat einen guten Kopf", sagt sie.Die Bäuerin selbst hat 15 Jahre als Verwaltungsangestellte im Landratsamt gearbeitet. Ob es ihr nicht schwer gefallen sei, in die Landwirtschaft zu gehen, der Dreck, die Arbeit, die Abgeschiedenheit ...? Sie findet es hier nicht abgeschieden. Die Landarbeit kennt sie von zuhause her, und mit Tieren umzugehen hat ihr immer Spaß gemacht. Sie ist ja auch nicht allein. Die Schwiegereltern arbeiten mit. Morgens, wenn sie mit den Kindern zu tun hat, geht die Mutter in den Stall, abends geht sie. Die Mutter sorgt für den Garten, sie fürs Geflügel. Der Vater besorgt das Schneiden und Portionieren der Tiere für den Hofverkauf. Jeder weiß, was er zu tun hat, und für die Kinder ist auch noch Zeit.Weil es gerade mal aufhört zu regnen, gehen wir hinaus und schauen den Hof an, der seit fünf Generationen in der Familie ist. Das Haus mit Sonnenkollektor auf dem Dach und Balkon zum Berg hin ist ziemlich neu. Sie haben es vom Erlös des alten Hauses gebaut, das etwas tiefer und dunkler zwischen alten Bäumen liegt. Eine Baronin aus der Stadt hat es gekauft und wohnt dort. Die Bäuerin hat ihr eine ihrer Enten geschenkt, aber die hat es allein nicht ausgehalten und ist wieder zurückgekommen. Nun läuft sie mit den anderen Enten in dem großen Auslauf hinter dem Haus, gehört aber weiterhin der Baronin. Bevor wir den Stall betreten fragt mich die Bäuerin, ob ich einen Kittel überziehen wolle, damit meine Kleider nicht nach Kuhstall riechen, aber das ist wirklich überflüssig. Dieser Stall ist gemütlich, dämmrig, warm, riecht sogar gut. Zehn Milchkühe stehen auf Gummimatten, fünfzehn Stück Jungvieh im Laufstall auf Streu, ein ganz junges Kalb. Im Sommer sind sie draußen. Die Wiesen sind so nah beim Hof, dass das Eintreiben zum Melken keine Mühe macht; sie finden allein den Weg. Die drei Schweine im Koben sind nur für den Hausgebrauch.Wir werfen einen Blick in die Kammer mit dem riesigen Schneidegerät. Damit schneidet und portioniert der Schwiegervater, der Metzger gelernt hat, die Tiere. Geschlachtet wird im nahe gelegenen Schlachthof. "Lange Wege, qualvolle Transporte - das gibt es bei uns nicht", sagt sie. Das Fleisch wird zu je zehn Kilo verpackt. Manche Kunden kommen seit vielen Jahren. Was nicht direkt vom Hof verkauft wird, vermarktet der Handel Chiemsee-Naturfleisch mit Biozuschlag. Die Milch geht an die hiesige Molkerei, allerdings nicht zum Biopreis, weil sie dort nicht von der konventionellen Milch getrennt wird. Das machen andere Molkereien. "Mein Mann hat sich für die Hiesige entschieden. So ist er eben", sagt Gertraud Daxenberger, "gute Beziehungen sind ihm wichtiger als die paar Pfennige Aufpreis". Im unteren Hausflur, wo die Eltern wohnen, hängen gleich hinter der Tür alte Familienfotos: sorgfältig gestellte Braut- und Hochzeitsbilder, vergilbte Einzelaufnahmen von Männern früherer Generationen. Die Bäuerin kennt nicht alle Namen. Die Mutter kommt aus ihrer Küche und erklärt. Ein Porträt ist besonders eindrucksvoll. Es zeigt einen würdigen alten Mann, irgendeinen Urgroßvater mit weißen Haaren und Schnauzbart, großes knochiges Gesicht, mächtige Nase, freundliche Augen. "So wird der Sepp einmal aussehen", sagt sie und wird jetzt tatsächlich verlegen, weil so etwas wie Stolz durchklingt. Durch die halboffene Tür der Oma-Küche sehe ich die Kinder am Tisch sitzen und Brotzeit machen. "Manchmal abends", erzählt ihre Mutter, "verschwindet die Kleine mit einem gemurmelten Kimm glei wieder, kommt aber nicht und wenn wir später nachschauen, liegt sie bei der Oma im Bett. So läuft das bei uns".
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