Buchmesse PEN-Generalsekretär Herbert Wiesner sorgt vor der Frankfurter Buchmesse für Wirbel. Aber kann man es den Dissidenten und den Offiziellen Recht machen? Ein Interview
In der vergangenen Woche war es ihm zu verdanken, dass die chinesische Umweltaktivistin Dai Qing doch noch ihr Visum für Deutschland erhielt und doch noch an einem Symposium zur Frankfurter Buchmesse teilnehmen konnte. Zuvor war die kritische Publizistin auf Betreiben der chinesischen Zensurbehörde ausgeladen worden. Am Ende geriet der Generalsekretär des deutschen PEN, Herbert Wiesner, selbst unter Beschuss.
Freitag: Sie werden zitiert mit der Äußerung, China sei noch nicht reif für die Buchmesse.
Herbert Wiesner: Das ist nicht ganz richtig, wie das manchmal bei Zitaten so geht. Ich lege da schon Wert auf eine gewisse Differenzierung. Ich habe gesagt: Wenn dieses Symposium im Vorfeld der Buchmesse scheitert an der Engstirnigkeit einiger regimeergebener Chinesen
der Engstirnigkeit einiger regimeergebener Chinesen, dann könnte es sein, dass China noch nicht reif ist. Es geht nicht nur um die Buchmesse. Man muss schon etwas weiter ausholen: Es geht um die Öffnung zur Weltöffentlichkeit und einen öffentlichen Diskurs. Bei dem Symposium wurde zumindest versucht, diesen Diskurs zu verweigern. Ich will aber jetzt keine Schlüsse ziehen, denn die Veranstaltung hat dann ja doch stattgefunden. Also lassen wir das mal mit der Reife. Es ist doch auch ein großes Land! Wurmt es Sie, wenn Medien Aussagen so verkürzen?Nun ja. Es war nicht ganz falsch. Aber ich hatte eine Bedingung daran geknüpft. Und die sollten nun gerade die Chinesen erfahren. Wir wollen ja mit ihnen ins Gespräch kommen. Wir wollen nicht die Tür zuschlagen.Ist ein Gespräch entstanden bei dem Symposium?Es schien so, als sollte das verhindert werden. Kaum begann Dai Qing zu sprechen, ist diese ganze Phalanx vor mir aufgestanden und mit starren Mienen rausmarschiert. Allen voran der Ex-Botschafter Mei, heute wohl ein hohes Tier in der KPC. Ich habe denen nachgerufen, das sei undemokratisch und so könne man nicht ins Gespräch kommen. Es war aber keineswegs so, dass keine Chinesen mehr im Saal waren. Nicht alle sind gleich und schon gar nicht alle betonköpfig.Hätte die Tagung an diesem Punkt platzen können? Die chinesische Delegation wusste doch, dass die beiden anwesend sein würden?Ich hätte nicht in der Haut von Jürgen Boos stecken mögen, der versuchte, zu beschwichtigen. Wenn er sich nicht entschuldigt hätte, wäre die Veranstaltung geplatzt. Übrigens muss man auch hier genau sein. Rein formal hatte die protestierende Delegation recht. Es gab ein gedrucktes Programm, das die Messegesellschaft mit ihnen verhandelt hat. Und nun waren ihnen die beiden kritischen Sprecher dazwischen gekommen. Ich bin später von Journalisten gefragt worden, ob wir Kompromisse eingegangen sind. Natürlich gehen wir Kompromisse ein, wenn das in Formfragen nötig ist.Beinhaltete die Frage einen Vorwurf? Ja, es gibt da zuweilen eine sehr radikale Haltung. Es kommen auch immer wieder Fragen, ob nicht die ganze Buchmesse abgesagt werden soll oder zumindest der China-Schwerpunkt. Was für ein Unsinn.In den 80er Jahren gab es hitzige Debatten um die Kontakte zwischen den Schriftstellervereinigungen von Bundesrepublik und DDR. Auch da ging es darum, wie Dissidenten eingebunden werden. Kommen Ihnen die jetzt geführten Diskussionen ähnlich vor? Ziel von Gesprächen ist immer die Erarbeitung unterschiedlichster Aspekte eines Themas. Aktuell war mir klar, dass die gesellschaftlichen Codes unterschiedlich sind, dass wir gar nicht eins zu eins deuten können, was unsere Gesprächspartner meinen. Und umgekehrt ist es ebenso. Ich bin kompromissbereit, wenn es um Verständigung geht. Aber ich bin zu keinem Kompromiss bereit, wenn es um Menschenrechte geht. Ich habe dem protestierenden Botschafter gesagt, er solle ein Zeichen setzen und das Symposium fortsetzen. Er machte das abhängig von einer öffentlichen Entschuldigung. Es war hoch peinlich für Jürgen Boos, aber unumgänglich. Ich verbuche die Tagung als kleinen Erfolg. Unsere beiden Schützlinge haben sich immer wieder mit Wortmeldungen an den Diskussionen beteiligt, Fragen gestellt und auf Probleme aufmerksam gemacht. Und die Delegation ist nicht jedesmal aufgestanden und hinaus gegangen. Es blieb ihnen nichts anderes übrig, als zuzuhören. Das ist noch kein wunderbarer Diskurs, aber doch eine Voraussetzung dafür.Nun wird aber gerade Ihnen vorgeworfen, die letzte Diskussionsrunde trotz zahlreicher unbeantworteter Fragen abgebrochen zu haben, nachdem die chinesische Delegation dazu aufgefordert hatte. Das hat mir insbesondere Arno Widmann vorgeworfen. Ich finde, er hat sich heftig im Ton vergriffen. Den eigentlichen Skandal hätte der Generalsekretär des PEN verursacht, schrieb er in der Frankfurter Rundschau. Ich hatte inzwischen Kontakt mit ihm, und wir haben uns wieder vertragen. Ich befand mich auf dem Podium als Moderator des letzten Panels. Die Diskussion hatte damit nichts mehr zu tun. Ich hätte so eine Schlussdiskussion auch nicht moderiert. Ich war ja Partei.Wer war denn Moderator?Niemand. Die Diskussion, die nach dem letzten Panel entstand, wurde fast nur von Presseleuten geführt. Es hätte eine Pressekonferenz geben müssen. Doch die war nicht anberaumt. Ich war auch nur Gast. Widmann und ich hatten ganz unterschiedliche Wahrnehmungen. Er sagte mir, er habe beobachtet, dass die chinesische Delegation darauf drängte, abzubrechen. Ich sah die aber immer vor mir sitzen und auch heftig maulfechten. Ich hatte den Eindruck, die nutzten die Diskussion, um nochmals ihre mehrfach wiederholten Attacken vorzubringen, gegen Dai Qing......die deutschen Medien, Petra Roth...Petra Roth hat sich aus meiner Sicht wirklich nicht sehr klug verhalten. Dass sie nur zwei Gäste namentlich begrüßte und die ganze chinesische Delegation als No Names behandelte, war auch nach hiesigen gesellschaftlichen Maßstäben grob unhöflich.Dai Qing und Bei Ling? Ich glaube, sie hielt das für mutig.Wie wird dieser plakative Umgang mit dem Kommunikationsproblem durchbrochen?In den Panels gab es winzige Erfolge. Auch da waren die Stimmen ganz unterschiedlich. Sogar bei den deutschen China-Kennern gibt es unterschiedliche Tönungen in der Kritik am Regime. Professor Schmidt-Glintzer war in sehr heiklen Fragen sehr kompromissbereit und kam dem Regime überaus weit entgegen, fand ich und war erstaunt. Dann wurde häufig nach Liu Xiabo gefragt, der seit neun Monaten ohne Anklage in Haft ist, dem aber eine drakonische Strafe angedroht wird. Die Petition, die der PEN an den Bundestag geschrieben hat, ging auch auf der Tagung herum. Gerade wegen solcher Fälle müssen wir ins Gespräch kommen.Im vergangenen Jahr gab es Proteste aus China, unter anderem von Liu Xiabo und weiteren Mitgliedern des PEN, gegen einen auch vom Präsidenten des deutschen PEN unterzeichneten Offenen Brief an den Bundestag. Unter anderem wurde der Vorwurf erhoben, die deutschen Intellektuellen setzten sich nicht für verfolgte Autoren und Journalisten in China ein. Ob es innerhalb des PEN darüber eine Diskussion gab, drang nicht nach außen. Der Vorwurf muss doch schwer getroffen haben? Dafür bin ich nicht der richtige Ansprechpartner, da ich erst im Mai in Görlitz Generalsekretär wurde. Was ich aber sagen kann: Ich bin innerhalb des deutschen PEN für eine Re-Internationalisierung. Der deutsche PEN hat sich eine zeitlang aus dem internationalen PEN zurückgezogen. Das eine Standbein des PEN, "Writers in Prison" ist aber von Natur aus international. Ich versuche gerade, eine Tagung von "Writers in Prison" in Deutschland auf den Weg zu bringen. Eine solche Tagung fand hier schon viel zu lang nicht statt. Und ich finde, dass wir uns ohne jede Einschränkung mit einem ehemaligen PEN-Präsidenten zu solidarisieren haben. Liu Xiabo war Präsident des unabhängigen chinesischen PEN. Die Messe ist auch dafür Anknüpfungspunkt weiterer Gespräche. Es steht ja eine Veranstaltungsreihe mit dem independant chinese PEN während der Buchmesse an.Unter dem Aspekt der Aufmerksamkeitsökonomie ist der Verlauf des Symposiums für zukünftige Gespräche ja geradezu ein Geniestreich. Soviel Medienaufmerksamkeit hatten wir in der Tat noch nie.
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