GRÜNE GENTECH Bundeskanzler Gerhard Schröder hat das grüne Gentechnik-Programm von Regierung und Industrie vorläufig auf Eis gelegt, und Biotech-Unternehmen flüchten ins Ausland. Doch dieser Stopp verhindert nicht, dass auch in Zukunft gentechnisch veränderte Pflanzen auf dem Acker angebaut werden und Gen-Food auf dem Teller landet
Bis vergangenen Februar trat die Gentech-Welt noch rot-grün sortiert auf die politische Bühne: Die grüne Gesundheitsministerin Andrea Fischer kümmerte sich um die "rote" Gentechnik in der Medizin und am Menschen: Embryonenforschung, künstliche Befruchtung oder der Gen-Check im Reagenzglas hergestellter Embryonen. Die "grüne" Gentechnik in der Landwirtschaft hingegen war Chefsache. Und Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) mag die Gentechnik. Er bemühte sich, den bei Verbrauchern und EU-Umweltministern in Misskredit geratenen Agrar-Konzernen auf die Beine zu helfen. Der Industrie versprach er noch im letzten Sommer ein gemeinsames Anbauprogramm.
In dem Programm war vorgesehen, dass gentechnisch veränderter Bt-Mais auf bis zu 5.000 Hektar freigesetz
freigesetzt werden sollte. Davon versprach man sich Auskünfte darüber, welche Auswirkungen der insektengiftige Mais auf die Bodenfauna, auf nützliche Insekten oder auch über die Ausbreitung auf Pflanzen auf Nachbarfeldern hat. Dabei ging es Schröder weniger um den wissenschaftlichen Risikoaspekt, sondern vor allem darum, das Vertrauen der Bevölkerung in die Agrar-Gentechnik zu (re)animieren. Die Grünen stellten sich nicht gegen das Projekt. Vielmehr erklärte der umweltpolitische Sprecher der Grünen Fraktion im Bundestag, Reinhard Loske, gegenüber der Berliner Zeitung, dass er die Gentechnik auf den Feldern dann akzeptieren würde, wenn dadurch schwerere Umweltprobleme behoben werden könnten.Rot zu rot und grün zu grünNach den Rücktritten der Minister Fischer und Funke wurden die Gentech-Felder neu verteilt - rot zu rot und grün zu grün. Die grüne Gentechnikpolitik habe viel mit Verbraucherschutz zu tun, erklärte Schröder, deshalb solle die Zuständigkeit bei der neuen Landwirtschaftsministerin Renate Künast landen. Die Grünen zeigten sich glücklich: Landwirtschaftspolitik ist gut fürs Naturschutz-Image, und die Partei ist mit einem Schlag den internen Zwiespalt um die rote Gentechnik los. Während Schröder schon vor dem Rücktritt von Andrea Fischer mit einer industriefreundlicheren roten Gentechnikpolitik liebäugelte, musste er im grünen Gentechnikbereich zunächst einmal seine Bereitschaft demonstrieren, für die Grünen das politische Feld zu räumen. Und so ließ er seinen Kanzleramtschef Frank-Walter Steinmeier Ende Januar einen Brief an die Spitzen der Gentechnik-Landwirtschaftsbranche schreiben und das gemeinsam beschlossene gentechnische Anbauprogramm absagen.Kein schlechter PR-Schachzug. Den "Ausstieg" aus der grünen Gentechnik begründet Schröder mit dem Verbraucher, der durch die BSE-Krise stark verunsichert sei, und der Neuorientierung der Agrarpolitik hin zur ökologischen Landwirtschaft. Dass die Verbraucherinnen und Verbraucher schon vor der BSE-Krise der grünen Gentechnik reserviert gegenüberstehen, ergab eine im Herbst letzten Jahres durchgeführte Akzeptanz-Studie. Die BSE-Krise hat diese negative Grundeinstellung eher noch verstärkt, auch wenn die waghalsige Forderung laut wurde, man solle doch nun statt Tiermehl gentechnisch veränderte Sojabohnen zu Tierfutter verarbeiten. Ein anschauliches Beispiel für die Stimmung beim Verbraucher ist die Werbung des Magazins Stern - knallgrüne Salatköpfe, die mit den polarisierenden Begriffen "Gengeschäft" und "Ökoladen" betitelt sind.Die Reaktionen der Agro-Industrie auf Schröders Rückzug sind verhalten bis verständnisvoll. Jens Katzek vom Industrieverband Biotechnologie bedauert die Entscheidung des Kanzlers: "Es ist angesichts der Verunsicherung der Verbraucher durch BSE eine plausible Entscheidung, aber auch eine Enttäuschung." Für Katzek muss sie besonders schwer wiegen, denn sein Glaube an die grüne Gentechnik ließ ihn vom kritischen Gentechnik-Experten der Umweltorganisation BUND zum Mitarbeiter beim Saatgutkonzern Kleinwanzlebener Saatzucht (KWS) und danach zum Angestellten des Industrieverbands Biotechnologie werden.Neue ZulassungsanträgeOffenbar war das Projekt für die grüne Gentechnik-Industrie nicht überlebenswichtig; es bedarf nur einer neuen Strategie. So versucht das Umweltministerium zum Beispiel, eine durchgängige Kennzeichnung aller gentechnisch veränderter Produkte durchzusetzen - bis hin zur Kennzeichnung von Tieren, die mit Gentech-Tierfutter gefüttert wurden, sowie der aus ihnen hergestellten Produkte. Außerdem muss die grüne Gentechnik-Industrie beileibe nicht vollkommen auf regierungspolitische Unterstützung verzichten. Forschungsministerin Edelgard Bulmahn (SPD) betonte, dass es keine Einschränkungen bei den Förderprogrammen der grünen Gentechnik geben werde. Für dieses Jahr seien zudem schon mehrere Anträge zur Freisetzung gentechnisch veränderter Pflanzen genehmigt worden, auch für gentechnisch veränderten Mais. Viel Energie wird die Industrie sicherlich in Zukunft darauf verwenden, die rund 20 Zulassungsanträge für neue gentechnisch veränderte Sorten - darunter viele Maissorten - beim Bundessortenamt voranzutreiben.Was bleibt und kommtFreisetzung, Anbau und Vermarktung von gentechnisch veränderten Organismen und Lebensmitteln in den Ländern der EU - In den Ländern der Europäischen Union wurden 1.603 experimentelle Freisetzungen mit gentechnisch veränderten Organismen durchgeführt. Spitzenreiter ist Frankreich (472), gefolgt von Italien (266) und Großbritannien (195). Deutschland liegt mit 110 Freisetzungen (an 577 Standorten) auf dem 7. Platz. Getestet werden sämtliche Pflanzen quer durch das Alphabet - angefangen mit Apfel über Erdbeere, Eukalyptus, Himbeere, Luzerne, Melone, Orange, Ringelblume, Steckrübe, Usambara-Veilchen bis hin zur Zuckerrübe.- 14 Zulassungen für gentechnisch veränderte Nutzpflanzen - Tabak, Nelken, Mais, Raps, Sojabohnen, Radicchio und Chicorée* - wurden bisher nach der EU-Richtlinie 90/220 erteilt. Unter die Richtlinie fällt die absichtliche Freisetzung gentechnisch veränderter Organismen, also sowohl die Freisetzung als auch der Import der Pflanzen und ihre Verarbeitung. Einige der Zulassungen gelten nur mit Einschränkungen. So darf zum Beispiel Radiccio nur für Saatgutzwecke angebaut werden. Trotz dieser Zulassungen werden bisher in den Ländern der Europäischen Union - bis auf kleinere Bt-Mais-Flächen in Spanien, Frankreich und Portugal - keine gentechnisch veränderten Nutzpflanzen großflächig kommerziell angebaut.- Über 14 weitere Anträge für eine Zulassung gentechnisch veränderter Nutzpflanzen - weitere Mais-, Raps- und Radicchio-Linien, Zuckerrüben, Tomaten, Kartoffeln, Baumwolle - hat die EU-Kommission noch nicht abschließend entschieden, da es in der EU in den vergangenen Monaten ein De-facto-Moratorium für weitere Genehmigungen gentechnisch veränderter Nutzpflanzen gab.- 10 verschiedene Produkte aus gentechnisch veränderten Mais- und Rapssorten wurden bisher nach der Novel Food-Verordnung notifiziert. Eine Notifizierung nach der Novel Food-Verordnung bedeutet, dass das neue Produkt nur angemeldet werden muß. Voraussetzung für eine Notifizierung ist, dass sich das neue Produkt "nicht wesentlich" von bereits bekannten Produkten unterscheiden darf. Bei einer Notifizierung ist keine weitere Sicherheitsbewertung vorgesehen; eine Regelung, die von vielen Umwelt- und Verbraucherverbänden kritisiert wird. Unter anderem bemängeln sie, dass die Beurteilungsgrundlage "nicht wesentlich" zu dehnbar ist. Bisher ist die Notifizierung die Regel; kein Lebensmittel aus einer gentechnisch veränderten Pflanze wurde nach der Novel Food-Verordnung genehmigt. Am weitesten fortgeschritten ist ein Antrag auf Genehmigung für eine gentechnisch veränderte Tomate.- Zusätzlich zu den 10 Notifizierungen nach der Novel Food-Verordnung müssen noch die Produkte aus gentechnisch veränderten Mais- und Sojabohnen berücksichtigt werden, die vor der Verabschiedung der Novel Food-Verordnung nach der EU-Richtlinie 90/220 für Lebensmittelzwecke zugelassen wurden.Zusammenstellung: Sabine Riewenherm* wegen der biologisch engen Verwandtschaft von Chicorée und Radicchio wurden die beiden Anträge von der EU-Kommission zu einem zusammengefasst.Quellen:Robert-Koch-Institut, http://yellow-fever.rki.de/GENTEC/FREISETZUNGEN/EU_COUNTRY.HTM (Stand: 20.10.2000)Robert-Koch-Institut, http://yellow-fever.rki.de/ GENTEC/INVERKEHR/INVKLIST.HTM (Stand: 20.1.2001)Gerd Spelsberg et al.: Novel Food-Verordnung und transgene landwirtschaftliche Nutzpflanzen. Gutachten im Auftrag des Büros für Technikfolgenabschätzung beim Deutschen Bundestag (TAB), Berlin (unveröffentlicht)Verbraucherinnen und Verbraucher sollten sich ob der derzeitigen schlechten Stimmung in den Medien zur grünen Gentechnik nicht entspannt zurücklehnen und darauf hoffen, dass ihnen demnächst eine lückenlose Kennzeichnung sämtlicher gentechnisch hergestellter Lebensmittel geboten wird und keine Freisetzungen gentechnisch veränderter Pflanzen oder Zulassungen neuen Genfoods ins Haus stehen. Denn über die zukünftige Strategie und die Möglichkeiten der neuen Ministerin Renate Künast kann zur Zeit nur spekuliert werden. Die Landwirtschafts- und Verbraucherschutzministerin ist jetzt für das Bundesinstitut für gesundheitlichen Verbraucherschutz und Veterinärmedizin (BgVV) zuständig, das ehemals zum Gesundheitsministerium gehörte. Damit fällt auch die Zulassung von gentechnisch veränderten Lebensmitteln in ihr Ressort.Für das Freisetzen und Inverkehrbringen gentechnisch veränderter Pflanzen ist aber weiterhin das Gesundheitsministerium und damit das Robert-Koch-Institut als Genehmigungsbehörde zuständig. Nach wie vor werden Freisetzungsversuche in Deutschland genehmigt, es werden auf der Ebene der EU gentechnisch veränderte Nutzpflanzen für den kommerziellen Anbau und zur Vermarktung freigegeben; und gentechnisch veränderte Lebensmittel werden nach der Novel Food Verordnung zugelassen. Der vorläufige Stopp des Projektes "grüne Gentechnik" in Deutschland bietet nur Raum für eine kurze Atempause. Es bleibt zu hoffen, dass sich das Umdenken in Sachen Landwirtschaftspolitik - weg von der industriellen Produktion hin zu ökologischem Wirtschaften - in der grünen Gentechnikpolitik spiegelt und Künast in diesen Fragen auch in der EU-Politik einen langen Atem behält.Die Autorin ist Biologin und Redakteurin des Gen-ethischen Informationsdienstes in Berlin.
×
Artikel verschenken
Mit einem Digital-Abo des Freitag können Sie pro Monat fünf Artikel verschenken.
Die Texte sind für die Beschenkten kostenlos.
Mehr Infos erhalten Sie
hier.
Aktuell sind Sie nicht eingeloggt.
Wenn Sie diesen Artikel verschenken wollen, müssen Sie sich entweder einloggen oder ein Digital-Abo abschließen.