Pünktlich zum 80. Geburtstag hat Ursula Voss ein großes Feature - immerhin honoriert von fünf öffentlich-rechtlichen Sendern - eines großen Politikers abgeliefert. Die Revolution bin ich - Fidel Castro im Portrait heißt die Sendung, für die sie nicht eben exklusives Interviewmaterial gesammelt hat. Kein Gespräch mit Fidel selbst, und außer einigen sehr verbitterten Worten von seiner Tochter sind auch keine Statements von anderen, ihm nahe stehenden Menschen zu hören.
Was Voss hat, sind historische O-Töne aus Reden, Zitate und Aussagen von Menschen, die Fidel mehr oder weniger flüchtig begegnet sind. Es gibt also keine verlockenden Einblicke ins Privatleben, keine Charakterstudie oder sonst einen außergewöhnlichen Blick auf Castro in dieser Sendung. Dass dieses eher konventionelle Portrait dennoch mit Gewinn zu hören ist, liegt an der enormen Informationsdichte, die geschickt inszeniert wurde, und an dem sehr gelungenen essayartigen Brief, in dem die Autorin ein einseitiges Gespräch mit Fidel aufnimmt.
Bei einer schillernden Figur wie dem Maximo Líder - bewunderte Legende für die einen, gehasster Menschenrechtsverletzer für die anderen - ist dieser Brief eine sehr kluge Entscheidung der Autorin. Denn so kann sie erst einmal ihr Material in all seiner Unterschiedlichkeit präsentieren: von der Tochter, die voller Hass über ihren Vater spricht, der erreicht habe, dass alle Kubaner von Amerika träumen, über einen Journalisten aus Castros Stab, der alles aus der gemäßigten offiziellen Perspektive schildert, von einer skurrilen Frau mit amerikanischem Akzent, die angeblich als Deutsche geschickt wurde, Castro umzubringen, was dieser sofort witterte und trotzdem eine Affäre mit ihr anfing, bis hin zu den Versuchen eines Schriftstellers, Castros Führungsstil mit seiner Ausbildung bei Jesuiten und seinem Elternhaus zu begründen.
Und dann kann sie mit einer wohltuend persönlichen Stimme anfangen, diese Masse an Informationen zu kommentieren, ihre Zweifel auszudrücken. Sind Sie wirklich so grausam im Bestrafen Ihrer Gegner? Was wäre gewesen, wenn Che weiter an Ihrer Seite geblieben wäre, hätte er die nötige Kritik geäußert? Und sie bezieht Position, das heißt sie steht zu ihrer Sympathie, trotz aller Kritik. Darin ähnelt sie den deutschen Informanten wie zum Beispiel Hans Olaf Henkel, dem ehemaligen Industriellenverbandspräsidenten: Einerseits berichten die fast schwärmerisch von ihrer persönlichen Begegnung und zeigen sich tief beeindruckt von Fidels Charme. Genauer nach der Politik befragt, äußern sie sich dann aber doch fast schuldbewusst und ein bisschen zu schnell ablehnend und kritisch.
Dieses Geheimnis hätte Voss ruhig ein bisschen hartnäckiger umkreisen können. Wie kommt es, dass dieser Mann so viele Menschen derart faszinieren kann? Wie viel davon verdankt sich seiner Persönlichkeit, wie viel ist klug berechnete Propaganda, wo versteckt sich darin vielleicht die Sehnsucht seines Publikums nach einem besseren, gerechteren Leben, personifiziert in ihm? Kurz: Wie wirkt er und warum?
Etwas davon wird spürbar, wenn ganz zu Beginn ein sachlicher Text, auf drei Sprecher verteilt, die historischen Revolutionsereignisse schildert und immer wieder unterbrochen wird von Castros Stimme, die genau diese Ereignisse in der Ich-Form, als persönlichen Bericht, einem scheinbar riesigen Publikum erzählt. In solch einem Moment wird nachvollziehbar, wie berauschend es sein muss, jemandem zuzuhören, der Geschichte gemacht hat.
In diesem offenen Brief an das kubanische Volk beschreibt Castro, wie es dazu kam, dass er gestürzt ist und sich verletzt hat. Er schildert ganz genau, wie er in Richtung Mikrofon gegangen ist, wo er hinguckte und warum er sich in der Einschätzung einer Distanz täuschte. Diese hyperrealistische Beschreibung berührt seltsam, weil sie einerseits skurril ist in ihrem Bemühen, nur ja kein Detail auszulassen. Sie zeigt aber auch, so bemerkt die Autorin zu recht, unter welch enormen Druck Castro steht: Er muss beweisen, dass er weiter fähig ist zu regieren, und nicht zu alt, krank, schwach oder geistesabwesend ist. Wie er das tut, nämlich in einem persönlichen Brief, eher wie ein Freund einem anderen erzählt als ein Herrscher seinem Volk, ist eigenartig und befremdlich. Ein bisschen altmodisch im Vergleich zu dem, was wir aus unserer Mediendemokratie gewohnt sind. Und schwer einzuordnen - gibt es Kubaner, die sich von Castro ernsthaft angesprochen fühlen auf dieser quasi-persönlichen Ebene? Oder belächeln ihn heute die meisten, weil eben diese Ebene fehlt oder weil der Brief als Propaganda abgetan wird? Passsagen, die die Fremdheit dieses legendären Mannes spürbar machen, gibt es in all den historisch-normierten Fakten der Sendung nicht allzu häufig.
Zu den interessantesten Parts gehören die Zitate von Gabriel García Márquez, einem engen Freund von Castro. Dessen Aussagen sind, anders als diejenigen der meisten Interviewten, vielschichtiger als ablehnend oder bewundernd. Márquez´ Beobachtungen zeugen von Sympathie, aber auch von Autonomie: er erlaubt sich kritische Worte, die so klingen, als würde er sie auch in Castros Beisein laut wiederholen. Aber Márquez´ Worte sind Zitate, also kein gesprochenes Wort, sondern von Sprechern vorgetragener Text, was immer weniger beeindruckend ist als die Stimmen von Menschen, die direkt eigene Erfahrungen erzählen, denen Angst, Freude, auch ihre Herkunft, in Form von Dialekten und Sprachstil anzuhören ist.
Insgesamt hat der Regisseur Nikolai von Koslowski eher zurückhaltend inszeniert, eine angenehm warme Stimme für den Autorinnentext gefunden, wenig Musik eingesetzt: Manchmal vermittelt ein entfernt klingendes Akkordeon unaufdringlich Distanz, einmal lässt sich zu fröhlicher kubanischer Volksmusik die Stimmung unter den Bauern zu Zeiten der Revolution assoziieren. Es gibt wenig Überraschendes in diesem Hörspiel. Trotzdem hat Koslowski aus sehr vielen Informationen eine nie langweilige oder trockene Sendung produziert.
Ursula Voss: Die Revolution bin ich. Fidel Castro im Portrait. Der Audio Verlag, Berlin 2006, 64 Min. 16,99 EUR
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