Einsame Frauen

Hörbar Hörbücher

"Wenn du einer von uns bist, darfst du rauben und stehlen soviel du willst. Gehörst du aber nicht zu uns, bist du verloren." Laut Elena Tregubova regelt dieses Gangstergesetz das Leben in Putins Russland. Elena Tregubova gehörte fünf Jahre lang zu den "Pool"-Journalisten des Kreml, die sich für Wahlreisen und andere offizielle Ereignisse der russischen Regierung akkreditieren lassen können. Angefangen hat sie mit diesem Job unter der Regierung Boris Jelzins, und gefeuert wurde sie, mehr oder weniger indirekt, von Wladimir Putin selbst. Danach - 2003 und 2004 - hat sie zwei Bestseller geschrieben, die in Deutschland unter dem Titel Mutanten des Kreml zusammengefasst wurden und viel Beachtung fanden (Freitag 40/2006).

Jelzin und Putin, das sind die beiden Pole von Tregubovas politischer Weltsicht. Auf der Lichtseite - Jelzin, der glückliche Reformer, der in der Lage war, "den erhabenen Rhythmus der Zeit" zu spüren. Will sagen, Jelzin habe einen der raren Augenblicke in der Geschichte erkannt, in denen das Schicksal eines Volkes in großem Maßstab veränderbar ist. Auf der Schattenseite, in beängstigender Nähe zu den großen Diktatoren, ja sie sagt: zu Stalin - Putin. Kaum ein charismatischer Führer mit politischen Visionen, sondern im besten Fall ein begnadeter Nachahmer: Seine größte Fähigkeit ist laut Tregubova eine Art einfühlendes Imitieren. Unabhängig von Inhalten schaffe es Putin, seinem politischen Gesprächspartner ein Gefühl der Übereinstimmung zu vermitteln, ja er sei in der Lage, seine Mimik und Gestik für Sekunden vollkommen der seines Gegenübers anzupassen, beschreibt ihn Tregubova.

Tregubova packt viel in ihr Buch, vor allem viele verschiedene Ebenen: Neben solchen psychologisch genauen und sehr aufschlussreichen Beobachtungen liefert sie auch eine Menge Insiderwissen aus russischen Journalistenkreisen, das ermüdet. Außerdem baut sie eine Quasi-Liebesgeschichte mit keinem geringeren als Wladimir Putin selbst auf. Zwei Jahre vor seiner Amtszeit führte er sie zum Dinner aus, und auch später noch reagierte er so emotional auf ihren Anblick, dass Tregubova seine Verwirrung ausnutzen und eine der verbotenen Fragen stellen konnte. So erzählt sie, und wer will ihr das Gegenteil beweisen. Möglich, dass bei der Übersetzung einige Nuancen der Ironie verloren gegangen sind - immerhin kann sie sich selbst auch mal als "Jet-Set-Schnepfe" bezeichnen. So hat sie nämlich ihr revolutionär-kommunistischer Verleger betitelt, der genau aus diesem Grund ihr erstes Buch eigentlich nicht verlegen wollte. Aber ihn hat dann doch das Leiden überzeugt, dass in ihrem Text steckt - und damit hat er die entscheidende Qualität Tregubovas benannt. Ihre Stärke liegt weniger in politischen Analysen oder sensationellem Wissen, sondern in ihrem sehr überzeugenden moralischen Engagement.

Nur demokratische Institutionen könnten verhindern, dass Putin sich mit allen Mitteln der legalen und illegalen Macht am Besitz seiner Landsleute bereichert, sie nach Belieben ins Gefängnis steckt oder des Landes verweist. Doch diese demokratischen Institutionen sieht Tregubova im Verschwinden begriffen, und dagegen schreibt sie an. Insbesondere der Verlust der Pressefreiheit liegt ihr am Herzen, und die Mechanismen, mit denen Putins Presseabteilung Journalisten erst mürbe und dann gefügig gemacht hat, nehmen einen großen Teil in der Hörbuchfassung ihres Buches ein. Weiterhin schreibt sie von den Oligarchen, deren unabhängige Fernsehsender Putin einkassiert hat, von den antisemitischen und anti-"orientalischen" Tendenzen im Land, die nie unter der angemessenen Bezeichnung "Volksverhetzung" geahndet werden, und sehr ausführlich vom Bombenattentat, dem sie nur knapp entkommen ist.

Leider ist die Hörbuchfassung trotz höchst professioneller Regiebesetzung (Alexander Schumacher ist seit knapp 15 Jahren für diverse Rundfunksender als Feature- und Hörspielregisseur tätig) in der Sprecherleistung eine Katastrophe. Sandra Borgmann ist zwar noch schöner als die Autorin, und ihre leicht dunkle, herausfordernd-verwegene Stimme passt gut zum Stil des Buches. Aber sie liest so abgehackt und macht so viele Pausen an so unpassenden Stellen, dass das Zuhören wirklich schwer fällt.

Ähnlich aufhorchen lässt die heftig österreichisch knödelnde Stimme der ORF-Russland-Korrespondentin Susanne Scholl. Auch Susanne Scholl hat Bekanntschaft mit Repressalien gegen die Presse gemacht. Doch als sie während einer Recherchereise zum Tschetschenienkrieg festgenommen wurde, dauerte es nur sechs Stunden, bis sie mit ihrem österreichischen Fernsehteam wieder frei war. In ihrem Buch Nataschas Winter kommen die politischen Verhältnisse nur am Rand vor: kurz ist die Rede von "Unseligkeiten, die das Land beuteln wie einen alten Obstbaum".

Scholl geht es um die Menschen in Russland, die sie aus der Perspektive der informierten Fremden schildert, stilistisch irgendwo zwischen Reportage und Prosa angesiedelt. Und nicht nur ihr Tonfall erinnert an Märchen, auch Menschen und Situationen erscheinen oft seltsam zeitlos. Wie die einsamen Frauen des Dorfes von "jenseits des Waldes", die immer schon von Kartoffeln und Pilzen und Beeren aus dem Wald gelebt haben. Ihre Männer haben sich wahrscheinlich alle tot gesoffen - sie aber reden von der "Umweltverschmutzung" als Ursache allen Übels. Denn obwohl sie sehr weltabgewandt leben, sind sie dank Fernsehen bestens informiert. Und definieren als schön nicht die eigene, langsam in Vergessenheit geratende Handarbeit - sondern die brasilianische Telenovela. Susanne Scholls Geschichten sind gut geschrieben und unterhaltsam - wenn man eine leicht altmodische Schreibweise mag, und sich auf ihren manchmal etwas verwöhnten Standpunkt einlassen kann. Aber es lohnt sich, großzügig über den teils anstrengenden Tonfall nicht nur ihrer Stimme hinweg zu hören, denn bestenfalls erinnern ihre Geschichten an den Charme der absurden Erzählungen eines Daniil Charms.

Elena Tregubova: Die Mutanten des Kreml. Mein Leben in Putins Reich. Gekürzte Lesung mit Sandra Borgmann, 3 CDs, 225 Minuten, Hoffmann und Campe, Hamburg 2007, 22,50 EUR

Susanne Scholl: Nataschas Winter. Eine Reise durch Russland. Gekürzte Autorenlesung, 1 CD, 79 Minuten, edition karo, Berlin 2006, 14 EUR


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