Im Oktober 2004 hat der Potsdamer Parteitag der PDS die EU-Verfassung mehrheitlich abgelehnt. Ein Beschluss, der theoretisch auch für die PDS-Koalitionäre in Schwerin und Berlin gelten müsste, wenn demnächst darüber zu entscheiden ist, wie sich die beiden Landesregierungen im Bundesrat verhalten, steht dort die EU-Verfassung zur Abstimmung. Dabei kann sich durchaus die Koalitionsfrage stellen. Im Folgenden zwei unterschiedliche Sichten von Europa-Abgeordneten der PDS auf die bisherige und künftige Europapolitik ihrer Partei.
Immer wieder wurde der Frieden beschworen, vor allem am 24. Februar in der Bundestagsdebatte über den EU-Verfassungsvertrag. Emphatisch rief Außenminister Fischer: "Es geht nämlich darum, dieses Europa so zu schaffen, dass d
schaffen, dass dauerhaft Frieden auf diesem Kontinent herrscht." Andere erinnerten stolz daran, dass es zwischen den EU-Mitgliedsstaaten seit ihrem Zusammenschluss keinen Krieg mehr gegeben habe. Das ist zwar richtig und auch gut, aber nicht die ganze Wahrheit. Auch nach 1871 gab es keinen Krieg mehr zwischen Preußen und Bayern oder Württemberg. Wie aber sah es mit der Friedensfähigkeit des Deutschen Reiches gegenüber anderen Ländern aus? Und wie steht es um die Friedensfähigkeit einer Europäischen Union, die nicht als Staatenbund, aber doch in Gestalt einzelner Länder in Kriege - gegen Jugoslawien, im Irak - verwickelt war und ist? Vor allem: Was sagt dazu der EU-Verfassungsvertrag?Von Abrüstung ist im Vertragstext zwar auch die Rede, allerdings nur in merkwürdigen Zusammenhängen. Unbekümmert werden zivile und militärische Mittel vermengt, und Kriege zur Abrüstung Dritter - einige EU-Mitgliedstaaten konnten dies bereits im Irak testen - werden ausdrücklich genannt. Die "vorgesehenen Missionen, bei deren Durchführung die Union auf zivile und militärische Mittel zurückgreifen kann, umfassen gemeinsame Abrüstungsmaßnahmen, humanitäre Aufgaben und Rettungseinsätze, Aufgaben der militärischen Beratung und Unterstützung ... sowie Kampfeinsätze im Rahmen der Krisenbewältigung einschließlich Frieden schaffender Maßnahmen und Operationen zur Stabilisierung der Lage nach Konflikten", so heißt es in Artikel III-309.Mit Annahme des Verfassungsvertrags wird die EU damit endgültig auch zu einem Militärbündnis. Dabei unterstützt und erweitert die neue Militarisierung das Grundverständnis der Gemeinschaft als einer Wirtschaftsunion auf neoliberaler Grundlage: So "verpflichten" sich die Mitgliedstaaten im Vertrag, ihre "militärischen Fähigkeiten schrittweise zu verbessern". Zu diesem Zweck wird eine Europäische Verteidigungsagentur geschaffen - bei den Konventsberatungen noch unverblümt Rüstungsagentur genannt. Die EVA, so das neue charmante Kürzel, hat unter anderem den Auftrag, den "operativen Bedarf zu ermitteln und Maßnahmen zur Bedarfsdeckung zu fördern" sowie "zur Stärkung der industriellen und technologischen Grundlage des Verteidigungssektors beizutragen" und sie "durchzuführen" (Artikel I-41, Absatz 3). Im Klartext: Stärkung des militärisch-industriellen Komplexes der EU als Wirtschaftsfördermaßnahme. Folgerichtig soll auch eine Milliarde Euro jährlich (mehr als zehn Prozent der gesamten EU-Forschungsmittel) in die Sicherheits- und Rüstungsforschung fließen. EVA darf das koordinieren und überwachen.Nicht nur das außenpolitische Verständnis, sondern auch die binnenwirtschaftlichen Leitlinien des Verfassungsvertrages sind für SozialistInnen inakzeptabel. Wettbewerb ist sein allumfassendes Credo. Als Ziele werden ein "Binnenmarkt mit freiem und unverfälschtem Wettbewerb" und eine "wettbewerbsfähige soziale Marktwirtschaft" fixiert. Im entscheidenden Teil III des Vertrags, der die konkrete Ausgestaltung der EU-Politiken enthält, wird deutlicher gesagt, was das bedeutet. So findet das umstrittene Projekt eines liberalisierten Dienstleistungsbinnenmarkts (Bolkestein-Richtlinie) hier ebenso seine Grundlage wie die Öffnung bisher in öffentlicher Hand liegender Einrichtungen der Daseinsvorsorge für die Privatwirtschaft. Der Begriff "soziale Marktwirtschaft" taucht in Teil III gar nicht mehr auf, es geht hier nur noch um den "Grundsatz einer offenen Marktwirtschaft mit freiem Wettbewerb".Nicht vorgesehen ist eine aktive EU-Wirtschaftspolitik, die sozialen Zielen wie etwa der Vollbeschäftigung dienen könnte. Statt dessen erhält der Stabilitätspakt Verfassungsrang. Mit seiner Verpflichtung auf Preisstabilität ist er das Gegenteil sinnvoller Arbeitsmarktpolitik. Erst nachrangig werden im Vertrag Beschäftigung, Sozialpolitik sowie wirtschaftlicher, sozialer und territorialer Zusammenhalt behandelt. Auch die in den Verfassungstext integrierte EU-Grundrechtecharta, die trotz ihrer gravierenden Mängel - so wurde aus dem "Recht auf Arbeit" "das Recht zu arbeiten" - oft euphorisch gefeiert wird, ändert daran nichts.Kann man einem solchen Verfassungsvertrag zustimmen? Soll die verfehlte Wirtschaftspolitik der EU, wie es Konventspräsident Giscard d´Estaing will, für die nächsten 50 Jahre gelten? Möchten wir eine EU, die sich auf Aufrüstung verpflichtet und den Weg für weltweite kriegerische Einsätze bereitet?Ich halte nichts von dem Argument, der Verfassungsvertrag sei immer noch besser als der sonst weiter geltende Vertrag von Nizza. Für mich macht es keinen Sinn, einen schlechten Vertrag durch einen anderen schlechten zu ersetzen. Mir geht es um eine andere EU - für die es durchaus Alternativvorschläge gab. Nur, was ist aus ihnen geworden? Wo ist ein Rüstungsexportverbot nebst Kontrollagentur? Was wurde aus den Anträgen für eine Abrüstungsagentur? Wo ist die antifaschistische Verpflichtung? Wo die Neuausrichtung der Wirtschaftspolitik, das Sozialstaatsgebot, die Sozialbindung des Eigentums? Nichts davon wurde in Konvent und Regierungskonferenz durchgesetzt. Der Verfassungsvertrag, der im Mai durch Bundestag und Bundesrat ratifiziert werden soll, steht nicht für das, was ich will: Ein friedensfähiges, demokratisches und soziales Europa. Die Ratifizierung dieses Verfassungsvertrags entfernt uns davon nur noch weiter.Ratifizierung der EU-VerfassungDas vorliegende Vertragswerk muss in allen 25 Mitgliedstaaten ratifiziert werden - dabei haben in elf EU-Ländern die Bürger dass Recht, in Referenden ihre Stimme abzugeben, deren Stellenwert für die endgültige Entscheidung von Regierungen und Parlamenten jedoch unterschiedlich ist. In Deutschland werden im Mai allein der Bundestag und Bundesrat ihr Votum abgeben. In beiden Gremien wird eine Zwei-Drittel-Mehrheit gebraucht.Volksabstimmungen:Spanien: 20. Februar (77 Prozent Ja-Stimmen, bei einer Beteiligung von 42,3 Prozent) Frankreich: 29. Mai 2005 Niederlande: 1. Juni 2005 Luxemburg: 10. Juli 2005 Dänemark: 29. September 2005 Portugal: Herbst 2005 (Das Ergebnis wird bei einer Beteiligung von mehr als 50 Prozent bindend sein) Polen: Dezember 2005 Tschechien: Juni 2006 In Irland, den Niederlande und Großbritannien wird es gleichfalls Volksentscheide geben. Parlamentsentscheidungen:Litauen: 11. November 2004 (rat.) Ungarn: 20. Dezember 2004 (rat.) Italien: 25. Januar 2005 (rat.) Slowenien: 1. Februar 2005 (rat.) Deutschland: 12. Mai 2005 In den übrigen EU-Staaten Belgien, Estland, Finnland, Lettland, Malta, Österreich, Schweden, Slowakei und Zypern werden voraussichtlich ebenfalls die Parlamente entscheiden. Der Ratifizierungsprozess wird noch bis weit in das Jahr 2006 dauern. Frühester Termin für ein Inkrafttreten der Verfassung wäre der 1. November 2006.