Vor zwei Jahren veröffentlichte der irakische Schriftsteller und Journalist Zuhair Al-Jezairy ein Buch mit dem Titel Der Teufel, den man nicht kennt, einen nicht-fiktionalen Bericht über die Rückkehr in sein Heimatland nach fünfundzwanzig Jahren Exil. Als im Jahr 2003 amerikanische und britische Truppen in den Irak einmarschierten, war der damals noch in London lebende Al-Jezairy darüber wie viele Exiliraker geteilter Meinung.
Einerseits wollte er nicht, dass sein Land zum Schlachtfeld eines weiteren Krieges werden würde, in dem neue Waffen getestet werden. Und als linker Intellektueller wollte er ganz sicher nicht sehen, wie der Irak in die Hände der – wie manche von uns sie zu nennen pflegten – imperialistischen Kräfte und ihrer lokalen Marionetten fallen würde. Anderseits sehnte er sich – ungeachtet der eingesetzten Mittel und der Folgen - verzweifelt nach dem Ende des Saddam-Regimes.
Die absurd grausame Herrschaft Saddams und die immer wieder katastrophalen Auswirkungen seiner Politik ließen die Iraker bereitwillig jeden Retter willkommen heißen, auch den Teufel. Tatsächlich lieferte Saddam den Beweis, dass der Teufel, den man nicht kennt - entgegen der gängigen Meinung – sehr wohl der bessere und möglicherweise die einzige Hoffnung auf Überleben sein könnte.
Die Teufel der Konterrevolution
Nicht in allen arabischen Ländern waren die Bedingungen so schlecht wie im Irak, aber doch schlecht genug, dass die Menschen um jeden Preis und der Konsequenzen zum Trotz nach Veränderungen begehrten. Die Spontanität der Aktionen und die Vielfalt der Beteiligten zeigen, dass das einzige gemeinsame Ziel der verschieden Gruppen, die in Tunesien, Bahrain, dem Jemen, Libyen und Syrien (und hoffentlich bald auch Saudi-Arabien) gegen die alten Regimes demonstrieren und kämpfen, darin besteht, die Machthaber und deren verhätschelte Thronfolger loszuwerden. Den Menschen in diesen Ländern waren die herrschenden Teufel seit Jahrzehnten bekannt, neue Generationen gelangten zu der Überzeugung, dass es bessere Teufel geben müsse, als die, die sie ihr ganzes Leben lang ertragen hatten.
Der Arabische Frühling hat weltweit in den Medien freudigen Zuspruch erfahren, der Mut der arabischen Demonstranten und Kämpfer hat Dissidenten und Protestierende von Teheran bis Tel Aviv inspiriert. Allerdings scheinen diese euphorischen Berichte stets anzudeuten, die arabischen Revolutionen seien bloß Mittel zu einem ganz bestimmtem, eindeutigen Zweck, nämlich der Einrichtung einer liberalen parlamentarischen Demokratie und des Rechtsstaatsprinzips. Derart überhebliche Andeutungen haben dazu beigetragen, dass Zweifel und düstere Erwartungen aufgekommen sind.
Einige haben angefangen, von Konterrevolution zu reden, andere – insbesondere schäbige Überbleibsel der Neocons - prophezeien bereits völliges Scheitern und Chaos und warten wahrscheinlich darauf, sich an dem Augenblick weiden zu können, in dem ihre Vorhersagen sich bewahrheiten. Sie können sich nicht vorstellen, dass Araber sich selbst befreien. Doch auch besorgte Unterstützer und sanfte Kritiker drängt die Frage, was als nächstes kommt, wohin dieser Sprung ins Unbekannte wohl führen wird.
Die jüngsten Nachrichten aus Ägypten sind nicht ermutigend. Brennende Kirchen und Zusammenstöße mit Sicherheitskräften lassen Warnungen vor der Möglichkeit sektiererischer Gewalt und eines Bürgerkrieges laut werden. Die Demonstranten auf dem Tahrir-Platz fürchten, dass die Generäle das alte Regime mit neuen Gesichtern wieder zu installieren versuchen. Im Libyen nach Gaddafi herrscht Angst vor Chaos und gewaltsamen Disputen zwischen Befreiern mit verschiedensten Loyalitäten und Ambitionen.
Von einige arabischen Kommentatoren war zu hören, im Rahmen eines dubiosen Arrangement des Westens könnte möglicherweise eine Marionettenregierung ähnlich der, die Gaddafi selbst vor 42 Jahren abgesetzt hatte, installiert werden, damit das libysche Öl an die richtigen Firmen gehe.
Demokratie nach Karl Popper
Was Syrien betrifft, ist die Zukunft längst nicht gewiss, obwohl das unter Druck geratene Regime zuletzt auch von seinem engsten Verbündeten Iran immer stärker verurteilt wurde. Selbst Tunesien bleibt von Zweifeln und Skepsis nicht ausgespart, obwohl die ersten freien Wahlen dort friedlich und mit einer beeindruckenden Beteiligung verlaufen sind. Vielmehr hat der Erfolg der Ennahada-Partei dazu geführt, dass prompt vor der Gefahr einer Islamisierung des Staates gewarnt wurde. Selbst die Tatsache, dass an der Spitze der Ennahada einige der aufgeklärtesten Menschen der Welt stehen und Parteiführer Rashed Al-Gannoushi klargestellt hat, dass seine Partei der Demokratie verschrieben ist, vermag Zweifler nicht zu beruhigen. Die Wirklichkeit aber wird ihre Sorgen zerstreuen.
Vielleicht sollten die Skeptiker Folgendes tun: Statt sich für hämische Freude über die verlorene Gelegenheit für die Demokratie warmzulaufen, sollten sie warten, bis der Staub sich gelegt hat. Für Rechtsstaatlichkeit braucht es immens viele Veränderungen, rasante, wie solche, für die es Zeit braucht, in Staat wie Gesellschaft. Demokratie wird nicht nur im Parlament und durch alle fünf Jahre stattfindende Wahlen praktiziert. Die konkrete Leistung des Arabischen Frühlings, der Sturz von Tyrannen und schlechten Regierungen, der das eindeutig definierte und gemeinsame Ziel der Demonstrierenden und Kämpfer war, ist an sich bereits ein demokratischer Akt.
In der Demokratie, so Karl Popper, gehe es nicht darum, dass eine Mehrheit eine kompetente Regierung wähle – denn ob eine Regierung kompetent sei oder nicht, könne man erst sagen, wenn sie ihren Job erledigt habe – sondern vielmehr darum, inkompetente und schlechte Regierungen loszuwerden. Die arabischen Menschen, die auf die Straße gegangen sind und zu den Waffen gegriffen haben, praktizieren nun Demokratie nach Poppers Definition. Allerdings auf unmittelbarem Weg, auf dem sie nicht fünf Jahre warten müssen, um zu tun, was getan werden muss.
Die Mauer der Angst und politischen Gleichgültigkeit ist in der arabischen Welt niedergerissen worden. Diese Leistung muss immer wieder betont werden, bevor hämische Freude und Klagen einsetzen. Die kommenden Generationen arabischer Männer und Frauen müssen erfahren, wie es den Menschen Tunesiens, Ägyptens, Libyens und bald auch des Jemen, Bahrains, Syriens und anderer arabischer Ländern gelang, die alten Teufel loszuwerden. Vor allem aber, dass sie es ganz allein schafften, weshalb es immer und immer gelingen kann. Dass sie immer wieder die Teufel, die sie kennen, loswerden können, bis sie den richtigen gefunden haben.
Samir El-Youssef ist Palästinenser, wurde 1965 im Libanon geboren und wuchs im Flüchtlingslager Rashidia auf. Er hat zwei Bände mit Kurzgeschichten auf Arabisch veröffentlicht und schreibt regelmäßig für arabische und englische Zeitungen. Seit 1990 lebt er in London.
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