Falsche Fährten

Ausstellung Via Lewandowskys Arbeiten verweigern die große moralische Geste. Gerade deshalb schärfen sie den Blick für die Tücken des Alltags
Ausgabe 07/2016

Ein Baseballschläger liegt zuckend auf einem Sockel, aus einem Megafon tönt lautes Räuspern, und in einer modelleisenbahngroßen Schneelandschaft klafft ein schwarzes Loch. Zwischen gesichtslosem, dichtem Haar lugt ein Scheitel hervor, während ein Kassettenrekorder farbigen Rauch versprüht. Die Ausstellung Hokuspokus, die 60 Arbeiten des Künstlers Via Lewandowsky im Museum der bildenden Künste in Leipzig versammelt, eröffnet mit narrativen Absurditäten und technisch ausgeklügelten Objekten.

Titel wie Die Farbe aus dem Universum oder Die Testperson verhielt sich ungewöhnlich ruhig geben den Objekten zusätzlichen Inhalt und Witz. Die Einordnung in etablierte Schubladen der Kunstwelt scheitert dennoch. Präsentiert auf weißen Sockeln kommen die Sinnbilder museal daher, hinterfragen aber zugleich ihren Ausstellungswert: Eine Vitrine ohne Inhalt ist in sich zusammengerutscht, in einer anderen steht ein Modell des Sockels, auf dem wiederum ein Sockel steht – die Präsentationsform wird zum Kunstobjekt.

Fasern entfaserter Raufaser

Hokuspokus ist zwar keine Retrospektive, gleichwohl vereinen die ausgestellten Arbeiten aus den vergangen zehn Jahren formale wie inhaltliche Schwerpunkte des 1963 in Dresden geborenen Künstlers. Der Katalog liefert mögliche Kategorien: Aura, Wunder, Fetisch, Höhere Gewalt, Huldigung. Vor allem Glaube steht im weiteren wie im engeren Sinn im Raum: Da flackert das Bibelzitat „Auge um Auge, Zahn um Zahn“ in Neonhandschrift vor der Wand.

An einer Radioantenne baumelt unter dem Titel Darum hört das Wort aus der transzendentalen Wüste, ihr Spötter ein Rosenkranz mit Kruzifix – ein Sinnbild für die Glaubwürdigkeit der Medien? In einem dunklen Raum ertönen Auszüge des alttestamentarischen Buchs Kohelet aus 80 Lautsprechern, unterbrochen von summenden Fliegen und raschelnden Taschen. Eine digitale Anzeigetafel verweist auf eine Warteraumsituation.

Doch die Zahlen bewegen sich im alltagsuntauglichen Tausenderbereich, sie folgen ohne Logik aufeinander: 9613, 4588, und dazu klingt im Ohr: „Was geschehen ist, wird wieder geschehen.“ Eine Aussage, die sich aus dem Entstehungskontext der Installation erklärt: 2011 konzipierte Via Lewandowsky sie für das Jüdische Museum in Berlin. So aufgeladen sie ist, so banal wirken zunächst die häuslichen Settings, die in ihrer Bühnenhaftigkeit auch auf die Biografie des in Berlin lebenden Künstlers verweisen.

In Dresden studierte er in den 80ern Bühnenbild, im vergangenen Jahr gestaltete er eines für Leander Haußmann am Berliner Ensemble. Im Leipziger Museum sind es Störfaktoren, die den Blick fürs Alltägliche schärfen: Ein Feuer hat den gedeckten Tisch in Brand gesetzt, doch die Sitzgruppe blieb unversehrt. Stehend auf Kunstrasen steckt ein Fernsehbildschirm den Zuschauern die Zunge heraus. Auf einer erzgebirgisch anmutenden Werkbank werden neben Holzherzen auch Selbstmordattentäter produziert – in Form von Pyramidenfiguren. Die Bank gehörte Lewandowskys verstorbenem Vater, die Figuren hat er im Auftrag seines Sohns produziert. Und neben einer mit Raufaser tapezierten Wand steht ein Einweckglas, darin: die Fasern von entfaserter Raufasertapete. Lewandowskys Arbeiten eint ihre Uneindeutigkeit. Konsequent verzichtet die Ausstellung auf eine erläuternde Textebene im Raum. Der Künstler selbst hat nur kurze Kommentare in einem Booklet verfasst, das die Besucher kostenlos an der Kasse bekommen. Im Fall der an einem wackligen Gerüst installierten überdimensionalen Buchstabenfolge „SIEG“ enthält es wichtige Hintergrundinformationen: Bis 1987 strahlte die Parole „Der Sozialismus siegt“ von einem Dresdner Hochhaus, schon 2005 hat Via Lewandowsky sie rekonstruiert und die Leuchtschrift nun durch radikale Reduktion verändert. „In einer Form politischer Archäologie wird damit auf diesen Schriftzug 47 Jahre nach seiner Installation endlich eine Antwort gegeben: Sieg.“

Zur derzeitigen Situation in Dresden eine Arbeit zu produzieren, würde Lewandowsky als arrogante Geste empfinden. „Ich bin außerdem kein Enthusiast, der glaubt, dass Kunst gesellschaftliche Probleme beeinflussen könnte“, sagt er. Gerhard Richters im Dresdner Albertinum hängende Bilder, die auf vier von einem Häftling im Konzentrationslager Birkenau aufgenommene Fotografien zurückgehen, oder neulich Ai Weiwei, der das medial vielfach reproduzierte Bild eines ertrunkenen geflüchteten Jungen nachstellte, empfindet er als anmaßende und strategische Geste. „Da werde ich Moralist und denke, dann kannst du auch gleich liegen bleiben.“

Via Lewandowsky versteht sich keineswegs als politische Kommentarmaschine. Doch seine von der deutsch-deutschen Geschichte geprägte Biografie (noch im September 1989 fand er in Westberlin Schutz vor Stasi und Volkspolizei) scheint ihn in seiner Arbeit durchaus zu motivieren: Die Glaubwürdigkeit des Alltags, die Autorität des präsentierenden Museums und die des ausstellenden Künstlers sollen immer angezweifelt werden.

Info

Hokuspokus Via Lewandowsky Museum der bildenden Künste, Leipzig, bis 29. Mai

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