Der gemeine Schuppenwurz, Bandgras, die zweijährige Nachtkerze, Pfennigkraut, Gemeiner Gänsefuß, Eukalyptus und ein Rosenblatt – sieben der 370 Pflanzen, die die einstige Botanik-Studentin Rosa Luxemburg sammelte. Zwischen 1913 und 1918 füllt sie mit ihnen 17 Schulhefte, notiert Fundort und Datum. Manches Blatt wehte in die Gefängniszelle (der Freitag 2/2019). Das Herbarium kam über Verwandte in die USA, wurde 1976 der diplomatischen Vertretung der Volksrepublik Polen in New York und schließlich dem Archiv der Polnischen Vereinigten Arbeiterpartei übergeben. Erst 2009 wurde es in Warschau wiedergefunden und erschien 2016 als Faksimile-Buch im Berliner Karl Dietz Verlag – inklusive Postkartenset für 9,99 Euro.
Kaum noch bibliophil kommen sechs der Motive bei der Künstlerin Ute Richter daher. Sie erklärt das tote Material zu Protagonisten: Gedruckt in ein überdimensioniertes Raster erinnern sie an die früheren Schwarz-Weiß-Bilder von Gerhard Richter. Die Handschrift Luxemburgs, sie ist noch zu erkennen, aber nicht zu entziffern. Ästhetisch ansprechend sitzen die Motive auf den plakatgroßen Seiten, die zusammengefaltet und ergänzt um Texte als Zeitung präsentiert werden.
Elf Männer, eine Frauenleiche
Ute Richter, die Kunst laut ihrer Homepage als Kommunikationsform versteht, stieß eher zufällig auf Luxemburg, auf deren Formulierung der „inneren Landnahme“, der Ausdehnung des Kapitalismus in persönliche und emotionale Bereiche. Das Lesen des Obduktionsberichtes (veröffentlicht in Klaus Gietingers Eine Leiche im Landwehrkanal) empfand die in Leipzig tätige Künstlerin als emotionalen Schock: „Die Vorstellung, wie elf Männer den verwesten Frauenkörper detailliert begutachten, war für mich unaushaltbar.“ Ihre Pflanzenplakate, sie erinnern in Größe und Verfremdung auch an die Körperteile, die wohl kaum noch als solche erkennbar waren. Das schöne Material erzählt martialische Geschichte und steht zugleich für Zuversicht.
Die Reproduktion der immer gleichen Bilder von Luxemburg empfindet Ute Richter nicht nur als ästhetisches Desaster, sondern auch als Beschädigung der Geschichte: „In der Gegenwart geistert die ganze Vergangenheit herum, und du musst den Leuten Geschichten mit neuen Mitteln erzählen, damit die wieder nachvollziehbar werden. Dafür braucht es anderes ästhetisches Material.“
Der 15. Januar 1919 war ein Mittwoch. Schon der Titel schafft, was die gesamte Zeitung vermag: Sie bezeugt die menschliche, die lebendige Seite der zum Straßennamen geronnenen Sozialistin. Das gilt auch für den Text des Autors Dietmar Dath: Unweigerlich sitzt man während der Lektüre mit der „Revolutionärin“ auf einer grünen Bank im Schatten, und das, obwohl sie ihren breitkrempeligen Hut rechts neben sich abgelegt hat, als sollte er allen, die vorübergehen, sagen: „Diese Bank ist so besetzt, wie eine Bank überhaupt nur sein kann, ich wünsche keine Gesellschaft.“
Dath veröffentlichte 2010 sein Rosa-Luxemburg-Buch mit dem Untertitel Leben –Werk – Wirkung (Suhrkamp). In der Zeitung gibt er ihren Selbstzweifeln Raum („Ich bin keine Arbeiterin, was habe ich in der Bewegung zu suchen, die Leuten ihr Recht, ihre Zukunft erstreiten soll, die arbeiten?“) und schafft die fiktive, aber von großem Respekt und Menschlichkeit geprägte Begegnung mit dem Mathematiker Stanisław Leśniewski.
Ute Richters Künstler-Poster-Zeitung bedarf keiner zusätzlichen Biografie. Biografisch begründet ist die Wahl des Mediums: Rosa Luxemburg schrieb für die Leipziger Volkszeitung gegen Krieg, Militarismus und Sozialreformen. Die 5.000er-Auflage ging in der heutigen Druckerei der Zeitung über die Maschinen. Eine geringe Alterungsbeständigkeit (Vergilben mit der Zeit) sowie geringere Festigkeit (Knicke entlang der Kanten) seien produkttypische Eigenschaften und würden keine Mängel darstellen, sichert sich der Verlag Lubok, der sie für 10 Euro verkauft, gegen spätere Beschwerden ab.
Die Zeitung einer Zeitung beizulegen, dieses Projekt scheiterte leider trotz zahlreicher Versuche. Offener zeigt sich die Kunstwelt: Beim Kunstfest „Begehungen“ in Chemnitz war im vergangenen Sommer eine Gartenlaube mit den Zeitungspostern tapeziert – eines trägt Heiner Müllers Zitat „Der Terror, von dem ich schreibe, kommt aus Deutschland“ und schlägt die Brücke ins Jetzt. Nach dem Kunsthaus Dresden sind Besucher noch bis März im Eingangsbereich des Museums der bildenden Künste in Leipzig mit den Postern konfrontiert und können sich eine Zeitung mitnehmen.
Rosa Luxemburg hätte sie nicht in die Hände bekommen: „Für mich wäre das eine Strafe, wenn ich Museen und dergl. besuchen müsste“, schrieb sie am 9. April 1915, wie Zeitungsautorin Britt Schlehahn recherchiert hat: „Ich kriege dabei gleich Migräne und bin wie gerädert.“ Für sie bestünde die einzige Erholung im Schlendern und Liegen im Gras, in der Sonne, beim Käferbeobachten und Wolkengaffen.
Info
Der 15. Januar 1919 war ein Mittwoch Ute Richter Museum der bildenden Künste Leipzig, Foyer, bis 5. März
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