Die andere Lust

Zuschauen Feministische und queere Pornos treten an, das Genre von Konventionen zu befreien. Das hat aber einen Preis

Es gab einmal eine Zeit, da hatte die feministische Bewegung einen klaren Gegner und ein klares Ziel: Der Feind hieß Pornografie, und das Ziel war ihre Ausrottung. Zur gleichen Zeit hatte die Pornografie eine klare Vorstellung von ihrem Publikum und davon, was dieses wollte: Das Publikum war männlich und sah gern in Großeinstellung, wie Frauen penetriert wurden.

Soweit die Legende.

Wer in diesen Tagen die Stufen zum Kino Moviemento in Berlin-Kreuzberg hinaufsteigt, wird ein anderes Gesicht der Pornografie erblicken. Auf dem „Pornfilmfestival Berlin“, das vom 26. bis 30. Oktober stattfindet, laufen alle möglichen Filme über Sex, nur nicht über solchen, der ins klassische Porno-Schema passen würde. Und wenn man sich die Klassiker anschaut, die dieses Jahr in einer Retro-Reihe gezeigt werden (etwa Behind the Green Door oder Boys in the Sand), zerbröselt auch die Idee, dass es je ein eindeutiges Schema gab.

In Kinopolstern versunken kann man andere Menschen dabei betrachten, wie sie sich fesseln, reiben, fingern, beißen, ficken. Schwule, Lesben, Transen, Alte, Ökos, Asexuelle, jede Art des Begehrens wird für leinwandtauglich erklärt. Es gibt im Programm Studien über Sexualität in der Familie, über Fernbeziehungen, bei denen Skype eine entscheidende Rolle spielt, und über Männer, die auf Frauen stehen, aber lieber schwul wären. Das Rahmenprogramm bietet japanische Fesselkurse und Anleitungen zum Pornoselbermachen.

Interview nach dem Sex

Niemandem würde beim Blick ins Programm der Gedanke kommen, dass Pornografie nur für Männer gemacht sein könnte. Im Gegenteil: Die Arbeiten der Filmemacher sind mehrheitlich feministisch motiviert. Sie entspringen einem Feminismus, der die Reformierung von Pornografie, nicht deren Abschaffung fordert. Es ist ihr Verdienst, dass es schwieriger geworden ist, Pornos mit Frauenhass gleichzusetzen, auch wenn die Filme, die hier gezeigt werden, nicht repräsentativ für die Gesamtheit des Porno-Marktes sind, auf dem nach wie vor konventionelle Filme dominieren.

Die Reformpolitik war dennoch effektiv, aber sie hat, wie das bei Reformen üblich ist, neue Probleme geschaffen. Es gibt inzwischen so viele Genres wie Kochrezepte, und immer, wenn jemand ein bisschen was verändert, meldet er gleich ein neues „authentisches“ Genre an. In vielen Filmen gibt es Interviewsequenzen, in denen die Darsteller über ihre Erfahrung sprechen, wenn die Streifen nicht gleich ganz als Dokumentationen gekennzeichnet sind. Das Festival leidet derart an einem Authetizitätszwang, dass es zwar viele Studien über Sexualität zeigt. Immer häufiger muss es sich jedoch fragen lassen, ob das überhaupt noch Pornografie sei.

Man kann dies als den alten Streit um die Kunst in der Pornografie abtun. Man kann auch argumentieren, dass Pornografie sich eben wandelt. Aber damit nähme man die Kritik nicht ernst, die wissen will, ob Pornos nicht einfach dazu da sind, die Zuschauenden zu erregen.

Ein Genre, das sich mit diesem Dilemma schon länger beschäftigt, ist die sogenannte Frauenpornografie. Frauenpornos wurden mit einem klaren politischen Ziel erfunden: der weiblichen Lust, die auf dem Bildschirm oft vernachlässigt wird, endlich Ausdruck zu verleihen. Geprägt wurde sie in den achtziger Jahren von Regisseurinnen wie Candida Royalle und Annie Sprinkle. Ihre berühmteste deutsche Vertreterin ist Petra Joy, die auch in diesem Jahr mit einem Kurzfilm vertreten ist.

Bitte, bitte keine Cumshots!

Die meisten Frauen mögen gar keine Frauenpornos. Sie sagen, dass es darin zu viel Handlung gibt und zu wenig knallhartes Ficken. Das trifft zwar bei keiner der genannten Regisseurinnen zu, aber das Klischee (weiches Licht und langes Vorspiel) hält sich hartnäckig. Die Sache wäre nicht weiter tragisch, trügen die Filme nicht ausgerechnet den Begriff Frau im Namen. „Frauenporno“ impliziert vor allem immer noch eins: Dass Pornos (ohne Attribut) von Männern für Männer gemacht werden. Dass Frauen keine abweichende Lust haben, sie keine Darstellung von Gewalt, Macht, Erniedrigung ertragen. Sie wollen gleichberechtigten Sex und bitte, bitte keine Cumshots!

Unterschlagen wird dabei der Unterschied zwischen dem, was auf dem Bildschirm passiert, und dem, was mit den Zuschauerinnen geschieht. Wie echt oder künstlich in einem Film herumgefummelt wird, ist nicht entscheidend. Ein Porno muss eine Geschichte erzählen, die im Kopf funktioniert, nicht auf der Leinwand. Und die wenigsten Sexfantasien, egal welchen Geschlechts, kommen ohne Macht aus.

Um Macht zu inszenieren, kommt es aber nicht so sehr darauf an, was man zeigt, sondern vor allem wie. Was beim Porno häufig als gewaltsam wahrgenommen wird, ist nicht der harte Sex, sondern das unerbittliche Starren aus einem erniedrigenden Kamerawinkel. Was am Porno Spaß macht, sind also banalerweise seine Konventionen. Das haben auch einige queere Pornos begriffen und sich zu eigen gemacht. Wer konventionelle Einstellungen verweigert – wie viele Filme auf dem Festival –, verweigert seinen Zuschauern einen Teil der Lust. Die Absicht dahinter ist so heroisch wie kompliziert: Alternative Sexfilme suchen nichts weniger als eine neue Sprache der Erregung, ohne die altbekannten Muster männlicher Macht und weiblicher Erniedrigung. Ihr Risiko ist, dass sie deshalb nicht funktionieren.

Die Lust am Schauen ist bei Frauen und Männern auf ähnliche Konventionen festgelegt. Das Festival mag diese Konventionen neu definieren. Es sollte dabei nur die Grundidee nicht vergessen, die Jürgen Brüning, Initiator des Festivals, immer noch so zusammenfasst: „Pornos sollen Illusionen vermitteln, um Leute zu erregen.“

Das 7. Pornfilmfestival Berlin findet vom 26. bis 30. Oktober statt. Informationen zum Programm finden Sie hier.

Sarah Schaschek hat eine filmwissenschaftliche Dissertation über das Serielle in der Pornografie geschrieben.

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