Emanzipation der Trolle

Digitaler Sexismus In der Computerspiel-Szene kämpfen Gamerinnen gegen sexistische Frauenbilder
Reproduktion von Klischees oder kreatives Spiel mit den Geschlechtergrenzen? In manchen Videospielen lässt sich das nicht eindeutig trennen
Reproduktion von Klischees oder kreatives Spiel mit den Geschlechtergrenzen? In manchen Videospielen lässt sich das nicht eindeutig trennen

Screenshot: Warner Games/ Grasshopper Manufacture

Hätte diese Konversation in einem Chatroom von World of Warcraft stattgefunden – vielleicht wäre Charlott Schönwetter aus dem Stand über den Angreifer gesprungen (Leertaste). Sie hätte vielleicht einen Zauber eingesetzt und ihn am Boden festgefroren.

Angreifer: „Hallo, Süße.“

Charlott: „Verpiss dich.“

Angreifer: „Komm, sei ein bisschen lieb.“

Charlott: „Nein, kein Interesse.“

Angreifer: „Feministenschlampe.“

Der Angreifer ist jedoch kein virtueller Drache, sondern ein Junggeselle auf Abschied. An einem sonnigen Samstagnachmittag in einem Café im Berliner Friedrichshain faucht er sie mit Bieratem an und trollt sich erst, als der Cafébesitzer ihm demonstrativ die Rechnung bringt.

Schönwetter ist 25 und leidenschaftliche Computerspielerin. Mit acht Jahren ist sie Autorennen gefahren, mit 13 hat sie „stundenlang Häuser bei den Sims eingerichtet“. Gerade klickt sie sich durch den Zeichentrickwald von The Whispered World, wo sie manchmal ein ganzes Wochenende lang Rätsel löst. Online-Spiele wie World of Warcraft meidet sie, weil sie Belästigungen wie im Café nicht auch noch im Netz erleben will. „Mir reicht es zu lesen, wie in den Foren mit Frauen umgegangen wird.“ Sie blickt zum Nachbartisch, den die Junggesellen gerade verlassen haben. „Ich krieg’ genug Sexismus ab.“ Der größte Hass schlägt ihr entgegen, wenn sie im Internet über die Gamerszene bloggt. Mit einigen Informatikerinnen hat sie den feministischen Weblog Femgeeks gegründet. Sie beschäftigen sich mit Vorurteilen über computerspielende Frauen.

Tatsächlich hat sich die Sexismus-Debatte verschärft – zuletzt mit dem Fall „Anita Sarkeesian“. Die amerikanische Popkultur-Kritikerin und Gründerin des Videoblogs „Feminist Frequency“ wollte auf der Crowdfunding-Plattform Kickstarter 6.000 Dollar für eine Videoreihe sammeln. In einem Kurzfilm kündigte sie an, dass es um stereotype Frauenbilder in Computerspielen ginge – um Figuren wie den „sexy sidekick“ oder die Frau als „optisches Aufputschmittel“. Das Projekt sollte unter anderem Spieleentwickler dazu auffordern, mehr Fantasie beim Thema Geschlecht aufzubringen.

Stattdessen wurden über alle Kanäle sexistische und antisemitische Parolen geschickt, Sarkeesian erhielt Todes- und Vergewaltigungsdrohungen. Ein Amateurentwickler programmierte als Antwort ein Spiel, in dem man in wenigen Klicks ihr Gesicht blutig schlagen kann. Die US-Zeitungen griffen das Thema auf. Am Ende sammelte sie knapp 160.000 Dollar. Was bleibt, ist eine riesige Kluft zwischen Sarkeesians Unterstützern und den Angreifern, die sich selbst angegriffen fühlen: als Spieler. Und es bleibt die Frage, was hier eigentlich so erbittert verteidigt wird.

Angst vor der Zensur

Die endlosen Kommentarleisten unter Sarkeesians Beiträgen legen eine Antwort nahe: Dass Geschlecht ein verlässlicher Teil der Spielwelt ist, den sich Gamer ungern madig machen lassen. „Die Leute wollen halt gut aussehende, scharf gekleidete Mädels in Videospielen“, lautet ein gängiges Argument, das ein Spieler namens Vergil auf ING, einer der größten deutschen Seiten über Videospiele, zum Fall Sarkeesian bedient. Seine Mitdiskutantin Rae widerspricht: Ob er behaupte, ein Spiel wie Lollipop Chainsaw (mit einer Chearleaderin in der Hauptrolle) sei besser als Heavy Rain (ein Psycho-Krimi mit Film-noir-Anleihen), weil es mehr nacktes Fleisch zeige? Vergil wird kleinlaut. „Okay, da war ich ein bisschen vorschnell“, schreibt er. „Nur sollte man Spieler nicht gleich als Frauenverachter hinstellen.“

Ein so friedlicher Austausch wie der auf ING ist selten, aber er zeigt, welche typischen Mechanismen in der Debatte greifen. Gamer und Feministinnen trauen sich selten über den Weg, beide meinen bereits zu wissen, was die Kritik des anderen zu Tage fördert. Gamer verlangen (zu Recht) Differenzierung. Aber weil sie sich oft persönlich beleidigt fühlen, machen sie, statt auf Kritik einzugehen, einfach „das falsche Fass auf“, wie Vergil zugibt. So reflexartig wie sie sich gegen Stereotypisierung wehren, so empfindlich reagieren sie auf Sexismusverdacht. Da ist zudem die Angst vor der Zensur, vor pädagogisch wertvollen, aber langweiligen Einheitsfiguren.

Das Beispiel Rae/Vergil zeigt jedoch, dass es sich lohnt, die gängigen Trugschlüsse über Geschlechter zu entlarven.

Trugschluss eins: Computerspiele werden für Männer gemacht. Hierzu gehört die Vermutung, für „scharfe Mädels“ gebe es eine starke Nachfrage. Charlott Schönwetter „möchte niemandem vorschreiben, wen er begehren soll“. Für sie zeigen solche Argumente jedoch, dass Spiele für eine männliche, heterosexuelle Zielgruppe produziert werden.

Stimmt ihre Vermutung, dann geht das Kalkül der Entwickler klar am Markt vorbei. Nach Angaben des Bundesverbands für Interaktive Unterhaltungssoftware sind 44 Prozent der Gamer weiblich. Laut Geschäftsführer Maximilian Schenk gibt es keine strenge Geschlechtertrennung nach dem Motto: Farmville für die Frauen, Counterstrike für die Männer. Beispiel: Susanne Wahl. Wie Schönwetter ist sie mit Videospielen groß geworden, sie liebt „Ballerspiele“, zockt als junge Mutter auch gern mit Sohn auf dem Schoß und leitet Online-Rollenspiele. Allerdings hätte sie für ihre Kriegerin statt Metallstrapse gern eine Rüstung wie die Jungs.

Trugschluss zwei: Die wollen nur spielen. Mit dieser Ausrede schieben Entwickler gern die Verantwortung an den Markt ab. Sie behaupten, Spiele seien absichtlich surreal, verwischen jedoch die Frage, was hier eigentlich als real empfunden wird. Eine Studie der österreichischen Forscherin Doris Allhutter vom Institut für Technikfolgen-Abschätzung zeigt, dass bei männlichen und weiblichen Figuren unterschiedliche Vorstellungen von Realismus herrschen.

Grafischer Realismus bestimmt das technische Ideal, und der Held soll „anatomisch korrekt“ wirken, um eine Identifikation mit dem Charakter zu ermöglichen. Bei der Heldin ist Realismus unerwünscht. „Wir wollen ja keine dicken Beine sehen“, wird eine Grafikerin zitiert.

Ein Kampf und ein Weib

Trugschluss drei: Geschlechter müssen eindeutig sein. Viele Spiele beginnen mit der Wahl des Charakters. Lila Haut, Fell, Zauberkräfte – alles kein Problem. Beim Geschlecht sind die Spiele weniger flexibel. „Ich finde es schwierig, dass man sich überhaupt entscheiden muss“, sagt Schönwetter. „Die denken sich wer weiß was für Welten aus, aber es gibt immer brav männlich und weiblich. Ich meine, das sind doch Orks!“ Trotzdem wählt sie Frauencharaktere. „In Büchern und Filmen kriegen wir ständig männliche Helden vorgesetzt. Wenn ich eine Frau spielen kann, dann mach’ ich das auch.“ Christian Wopen, ehemaliger Moderator des Computerspiel-Senders ESL, bestätigt, dass hinter Frauencharakteren meist weibliche Spieler stecken. Er selbst hat noch nie eine Frau gespielt.

Dass Geschlecht jedoch nicht eindeutig sein muss und mit Fantasie zu tun hat, erfährt Susanne Wahl gerade in ihrer Rolle als männlicher Troll. „Es ist super. Er ist ein richtiger Macho. Sein Spruch ist: Zu jedem guten Tag gehört ein Kampf und ein Weib.“ Vor allem Online-Rollenspiele bieten den Spielern große Freiheit. „Wenn wir im Team spielen, blenden wir manchmal einfach aus, dass ein Haus eine Tür hat“, erzählt Wahl. „Wir schaffen uns eine Welt fernab der vorgefertigten Mechanik.“

Technik ist nie asexuell. Sie kann aber nur umsetzen, was man sich vorzustellen bereit ist. Das gilt auch für Geschlechterrollen. Manche Figuren wechseln zwischen den Geschlechtern. In Skyrim können gleichgeschlechtliche Charaktere heiraten. Wahl beobachtet, wie sich Figuren mit der Zeit verändern. „Die Trolle waren früher total patriarchalisch“, sagt sie. „Die Orks haben ihnen die Gleichberechtigung gebracht.“

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