SPD, Grüne und Linkspartei brauchen einen Konsens in der Arbeitsmarkt-Politik als Grundlage für ein Dreier-Bündnis, meint Juso-Chef Sascha Vogt. In der vergangenen Woche hatte Sven Giegold (Grüne) dafür plädiert, die Debatte zu öffnen und die Realos einzubeziehen
Kaum ein Gesetz hat die Gründung und den Aufstieg der Partei Die Linke so begünstigt wie Hartz IV. Und ebenso hat wohl kaum ein Gesetz den Abstieg der SPD in der Wählergunst so beeinflusst. Es ist klar, dass die Hartz-Gesetze inhaltlich wie emotional ein großes Hindernis für eine rot-rot-grüne Zusammenarbeit sein werden. Das betrifft zumindest das Verhältnis zwischen der SPD und der Linken. Die Grünen hingegen haben es anscheinend erfolgreich verstanden, die rot-grünen Beschlüsse zumindest in der öffentlichen Wahrnehmung hinter sich zu lassen. So oder so gilt aber: Will man ein Bündnis der drei Parteien erreichen und eine linke, progressive Politik verfolgen, dann führt kein Weg an einer Analyse der Auswirkungen der Arbeitsmarktreformen auf allen Seiten vorbei. Und außerdem müssen sich die drei Parteien auf einen gemeinsamen neuen Kurs verständigen, der mehr beinhalten muss, als die Gesetze wieder rückgängig zu machen.
Eine ernsthafte Aufarbeitung darf die Debatte nicht allein auf Hartz IV verengen. Oder ist auf dem Arbeitsmarkt etwa alles wieder gut, wenn die Regelsätze erhöht und die Sanktionen zumindest ausgesetzt werden? Gerade in den ersten beiden Hartz-Gesetzen finden sich viele weitere Elemente, die mit auf den Prüfstand müssen. So wurden die Leiharbeit und die Minijobs ausgeweitet, während bei den Weiterbildungsmöglichkeiten gekürzt wurde. Die Hartz-Reformen müssen dabei aus drei Perspektiven überprüft werden: einer arbeitsmarktpolitischen, einer sozialpolitischen und auch einer gesamtwirtschaftlichen.
Aus einer arbeitsmarktpolitischen Perspektive lässt sich nüchtern konstatieren: Die Arbeitslosenzahl wurde auch vor der Krise nicht ansatzweise halbiert. Das konnte auch gar nicht funktionieren. Schließlich war man der Auffassung, dass viele Arbeitslose schlicht zu faul seien. Überdies glaubten die Verantwortlichen, dass die Abstimmung von Angebot und Nachfrage auf dem Arbeitsmarkt nicht optimal funktioniere. Die deutschen Ökonomen und Politiker sind auf der Nachfrageseite eben einfach blind. Das zentrale Problem besteht nach wie vor darin, dass es für viele keine Arbeit gibt.
Ernüchternde Erkenntnis
Befürworter führen die sinkende Arbeitslosigkeit vor der Krise trotzdem als Beleg für den Erfolg der Hartz-Reformen an. Nun mag man dabei mit gutem Recht fragen, ob dieser Rückgang nicht der konjunkturellen Erholung geschuldet war (und dafür spricht einiges), zum anderen ist aber auch unbestritten: In den Fällen, in denen neue Arbeitsplätze entstanden sind, mündeten diese meist in prekären Beschäftigungsverhältnissen. Niedriglöhne, Minijobs, Leih- und Zeitarbeit oder befristete Verträge – die Hartz-Reformen öffneten den Arbeitgebern Tür und Tor für viele „Gestaltungsmöglichkeiten“. Die Hartz-Reformen sorgten dafür, dass prekäre Beschäftigungsverhältnisse massiv ausgeweitet wurden. So hat sich auch der deutsche Niedriglohnsektor an die europäische Spitze manövriert. Nicht selten ist es zudem in den vergangenen Jahren vorgekommen, dass reguläre Arbeitsverhältnisse durch diese neuen, prekären Beschäftigungsverhältnisse ersetzt wurden. Arbeit ist mit den Hartz-Gesetzen also nicht mehr, sondern unsicherer geworden und sie wird zudem für viele schlechter bezahlt – das ist die ernüchternde Erkenntnis aus einer arbeitsmarktpolitischen Perspektive.
Sicherlich ist in der öffentlichen Debatte die sozialpolitische Perspektive der Hauptangriffspunkt an den Hartz-Gesetzen. Die gekürzte Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes I, das eingeführte Arbeitslosengeld II auf dem Niveau der früheren Sozialhilfe und vor allen Dingen die Sanktionsmöglichkeiten haben mit dem sozialpolitischen Konsens gebrochen. Es steht nicht mehr im Vordergrund, Menschen bei Arbeitslosigkeit abzusichern, sondern den Druck auf Arbeitslose zu erhöhen, sich eine nicht vorhandene Stelle zu suchen. Das aber ist nicht nur aus der oben beschriebenen arbeitsmarktpolitischen Perspektive absurd, es offenbart auch ein falsches Menschenbild: Fast alle Arbeitslosen wollen ja einen Job haben und sich eben nicht in der sozialen „Hängematte“ ausruhen. Ein Arbeitsplatz sichert nicht nur das eigene Auskommen, sondern trägt auch zur sozialen Integration in die Gesellschaft bei. Schon längst haben das Studien bewiesen. Auch die so genannten „Aufstocker“ wollen sogar einen Beruf ausüben, der weniger Geld bringt als die Arbeitslosenhilfe, weil ein Job eben mehr ist als nur das monatliche Gehalt.
Geradezu fatal wirken sich die Hartz-Reformen auch auf die gesamtwirtschaftliche Entwicklung aus. Ob gewollt oder ungewollt – die Repressionen gegen Arbeitslose und prekäre Beschäftigungsverhältnisse haben das gesamte Tarifgefüge unter Druck gesetzt. Der Grund ist banal: Wenn die Arbeitgeber die Möglichkeit haben, reguläre Beschäftigung durch prekäre zu ersetzen und wenn die Angst vor Arbeitslosigkeit durch eine geringere Absicherung größer wird, dann sinkt auch die Macht der Gewerkschaften in Tarifverhandlungen. Nicht ohne Grund hinkt Deutschland im europäischen Vergleich in der Lohnentwicklung deutlich hinterher. Nur in Deutschland sinken die Reallöhne. Das ist auch ein Gerechtigkeitsproblem und bewirkt zusätzlich eine schwache Binnennachfrage. Die riskante Exportorientierung und das damit verbundene außenwirtschaftlich Ungleichgewicht führen mit zu den weltweiten Finanzkrisen. Sicherlich, die Hartz-Gesetze sind dafür nicht die einzige Ursache, wohl aber eine wichtige.
Über den Schatten springen
Angesichts der Probleme wird deutlich, dass die Debatte nicht auf die Parole „Hartz IV abschaffen“ reduziert werden kann. Doch kleinere Kurskorrekturen werden ebenfalls kaum ausreichen, um ein Zukunftsprojekt starten zu können. Natürlich wird es in einigen Bereichen nicht anders gehen, als das Rad der Zeit ein Stück zurück zu drehen. Wollen SPD, Grüne und die Linke aber koalitionsfähig werden, dann brauchen sie einen Konsens darüber, mit welchen Leitgedanken eine neue linke Arbeitsmarktpolitik verfolgt wird. Dabei bieten sich vier Punkte an: Erstens muss Arbeit wieder sicherer werden. Zweitens muss die tatsächliche Ursache der Arbeitslosigkeit – nämlich das Fehlen von Arbeitsplätzen – akzeptiert und damit umgegangen werden. Drittens soll eine soziale Absicherung geschaffen werden, die ihren Namen verdient. Und viertens müssen die Rahmenbedingungen verändert werden, um die Gewerkschaften zu stärken, damit sie höhere Löhne durchsetzen können.
Weitgehend unstrittig dürfte zwischen allen drei Parteien mittlerweile sein, dass es wieder zu einer Re-Regulierung des Arbeitsmarktes kommen muss, damit Arbeit sicherer wird. Die Leiharbeit muss eingeschränkt und der Niedriglohnsektor zurückgedrängt werden. An diesen Punkten würde wohl kein Bündnis scheitern.
Schwieriger kann dagegen die Frage sein, wie mit den mangelnden Arbeitsplätzen umgegangen wird. Während die SPD (und auch die Jusos) für das Ziel der Vollbeschäftigung eintreten, fordern einige Vertreter der Grünen aber auch der Linken das bedingungslose Grundeinkommen, mit dem dieses Ziel vernachlässigt werden könnte. Ohne die Debatte an dieser Stelle ausführlich führen zu können, ist klar, dass genau hier eine Einigung erzielt werden müsste. Ist das Ziel eine Gesellschaft, in der es genug gute Arbeit für alle gibt; oder wird kleinlaut akzeptiert, dass ein Teil der Arbeitslosigkeit wohl niemals abgebaut werden kann? Das hat ganz praktische Fragen zur Folge: Soll ein Schwerpunkt auf die Schaffung neuer Jobs etwa durch eine makroökonomische Beschäftigungsstrategie, eine ökologische Industriepolitik, einen größeren öffentlichen Dienst und einen öffentlich geförderten Beschäftigungssektor gelegt werden? Oder ist es mit einem hoch bemessenen Grundeinkommen, das auf Zwangsmaßnahmen verzichtet, getan?
Einigkeit dürfte darin bestehen, dass die soziale Absicherung bei Arbeitslosigkeit verbessert werden muss. Höhere Regelsätze, eine längere Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes I sowie eine Aussetzung der Sanktionen sind kurzfristige Maßnahmen, an denen eine Zusammenarbeit nicht scheitern darf. Zwar müssten hier SPD und Grüne zum Teil über ihren Schatten springen, es wäre aber geradezu absurd, würde deswegen kein Bündnis zustande kommen. Gleichwohl ist klar: Hier müssten dicke Bretter gebohrt werden.
Auch die Feststellung, dass stärkere Gewerkschaften, die höhere Löhne durchsetzen können, nicht nur eine Frage der Gerechtigkeit, sondern auch der wirtschaftspolitischen Vernunft sind, hält mittlerweile wieder Einzug in den politischen Diskurs. Nun muss es darum gehen, aus dieser Einsicht die richtigen Konsequenzen zu ziehen. Doch allein die Reform der Hartz-Reform wird angesichts der Herausforderungen wie etwa einer sinkenden Tarifbindung nicht ausreichen. Und ein Grundeinkommen würde hier im Übrigen sogar kontraproduktiv wirken. Es gibt noch viel zu tun, um ein linkes Projekt auch in der Arbeitsmarktpolitik zu entwickeln. Die Diskussion darüber wird sich aber lohnen und vielleicht dazu beitragen, alte Gräben zu überwinden.
Sascha Vogt ist Bundesvorsitzender der Jusos und arbeitet bei der gewerschaftsnahen Hans-Böckler-Stifung. Der Freitag veranstaltet am 1. Juli im Berliner Ballhaus Ost einen
mit dem Thema: Kommt 2013 Rot-Rot-Grün? Gäste: Sascha Vogt, Katja Kipping und Sven Giegold
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