Bei Gefahr des Untergangs

Europa-Parteitag der PDS Noch fehlt die rechte Stimmung, um erfolgreich zu sein

"Klar, wir müssen jetzt gemeinsam hinter dieser Liste stehen und geschlossen in die Wahlauseinandersetzungen marschieren", sagt Benjamin Hoff, seines Zeichens wissenschaftspolitischer Sprecher der PDS im Berliner Abgeordnetenhaus. Er hatte keinen leichten Stand auf dem Europa-Parteitag im Internationalen Congress Centrum (ICC) am Berliner Funkturm. So wie viele PDS-Politiker aus der Hauptstadt, die noch vor zwei Jahren als große Hoffnungsträger der Demokratischen Sozialisten galten. Heute erinnern sie die Bundespartei vor allem an eine Politik fortgesetzter Sachzwänge, die angesichts einer ausufernden Haushaltsmisere im Streichen von Sozialleistungen und kulturellen Angeboten besteht. Dabei will die PDS eine Alternative zu dieser Art von Haushaltssanierung bieten, die unter dem Wort "Reform" vor allem die Schwächsten trifft. Nur, sind die Berliner PDSler für diesen Ansatz noch glaubwürdig?

Dass die Berliner Symphoniker oben auf der Parteitagsbühne musizieren, vor diesem großen, weißen Plakat auf dem "Friedlich, Solidarisch, Gerecht" steht, und an ihre Existenzsorgen erinnern, bekräftigt diese Frage. Mit-Regierender Sozialist zu sein, ist nicht lustig. Nicht in diesen Zeiten. Hans Modrow, der auf Bitten von Lothar Bisky nicht mehr für die Europaliste kandidiert, macht dies deutlich: "Wo nicht die Bereitschaft da ist, andere Überlegungen aufzunehmen, sondern die eigene Politik nur besser zu erklären, bleibt die Gefahr neuer Niederlagen." In diesem Moment müssen die Berliner Delegierten die Ohren gespitzt haben.

Dennoch, die eingangs zitierten Sätze des Benjamin Hoff sollen positiv klingen, nur ist die Stimmung des jungen Mannes mit den blonden Haaren und den runden Brillengläsern eine andere. Kein Wunder, fiel er doch im Kampf um die vierte Position auf der Liste durch. Dafür nominierten die Mitglieder Tobias Pflüger, den parteilosen Friedensaktivisten aus Tübingen, der in seiner Rede der PDS wohl eine "bewusste Öffnung" hin zu den sozialen Bewegungen bescheinigte, damit jedoch zugleich darauf anspielte, dass es namentlich dem Parteichef nicht gelungen war, unabhängige Prominente für die Europaliste zu gewinnen. Auf dem für Pflüger ursprünglich vorgesehenen achten Listenplatz fühlte der sich abgeschoben und verlangte einen Platz weiter vorn. Eine Mehrheit erfüllte ihm diesen Wunsch mit Platz vier - zum Nachteil von Biskys Wunschkandidaten Hoff, der trotz seiner jahrelangen politischen Erfahrung verschmäht wurde.

Wieder einmal zeigte dieser Wahlkongress das alte Problem einer Partei, die sich nicht so recht entscheiden kann zwischen Regierungsverantwortung und ihrem Selbstverständnis als Oppositionskraft. So hält die Debatte über den Kurs der Linkspartei an. Dabei sollte vom ICC doch ein Zeichen des Aufbruchs ausgesandt werden. Schließlich will man mit einem erfolgreichen Europawahlkampf den Grundstein legen für die Rückkehr in den Bundestag 2006.

Zum aussichtsreichen Listenplatz fünf für Sahra Wagenknecht meint Hoff ein bisschen bitter, die Vorzeigefrau der Kommunistischen Plattform sei "doch mittlerweile zur PDS-Folklore geworden". Der Parteivorstand hatte die theoriegestählte Marxistin vorgeschlagen. Sie gilt als integer und unverschlissen, ihre Kritik an den ökonomisch bedingten Verhältnissen ist glaubwürdig und einleuchtend - vor allem bei den PDS-Anhängern im Westen der Republik, die den Regierungsbündnissen in Berlin und Mecklenburg-Vorpommern überwiegend ablehnend gegenüberstehen. Wahrscheinlich - so ein Delegierter - habe der Vorstand "die Sahra" vorgeschlagen, um der ambivalenten Haltung vieler Genossen Rechnung zu tragen.

Bundesgeschäftsführer Rolf Kutzmutz hofft auf ihren Erfolg: "Ich würde mir wünschen, dass Sahra in das Europaparlament einzieht und dann mit Dingen konfrontiert wird, bei denen sie erkennen muss, dass man nicht immer die reine Lehre vertreten kann." Kutzmutz, der zu den erfahrensten Wahlkämpfern der Partei zählt, weiß wie schwierig es sein wird, die Fünf-Prozent-Hürde zu nehmen. "Mit dieser Liste müssen wir nun unsere Leute mobilisieren. Und ich sehe es als meine persönliche Aufgabe an, Einigkeit zu schaffen." Am 13. März treffen sich in Gera alle PDS-Kreisvorsitzenden mit der Wahlkampfleitung und dann "soll die Stimmung erzeugt werden, die wir brauchen, um erfolgreich zu sein".

Die Angst ist groß, nicht alle demokratischen Sozialisten mobilisieren zu können. "Wenn wir nicht ins Europaparlament einziehen, dann ist es mit der PDS vorbei", denkt Wahlkampfleiter André Brie. Für die Partei, die bei der Europawahl 1999 5,8 Prozent errang, geht es um viel. Entsprechend ambitioniert liest sich das Wahlprogramm, mit dem auf sozialpolitische Themen, Friedenspolitik und engere Bindungen an die globalisierungskritischen Bewegungen sowie die Gewerkschaften gesetzt wird. Ebenso fordert die PDS die "umfassende Demokratisierung und Entbürokratisierung der europäischen Institutionen" und eine "europaweite Volksabstimmung" über die angestrebte EU-Verfassung.

In den kommenden Monaten wollen die Sozialisten außerdem ihre "Agenda sozial" - ihren Gegenentwurf zu Schröders "Agenda 2010" - im Lande verbreiten. Bis zum Wahltag soll jeder Eindruck von Zerrissenheit der Partei überwunden sein, verspricht Kutzmutz. Das ist aber leichter gesagt als getan. In Berlin stehen bald neue Sparentscheidungen des rot-roten Senats an, die Symphoniker werden auch betroffen sein. Einer der Beschlüsse des Parteitages vom Wochenende lautet: "Die PDS setzt sich nachdrücklich für den Erhalt der europäischen Orchesterlandschaft ein. ... Orchesterschließungen halten wir ebenso wie die Schließung von Theatern, Museen oder Zoologischen Gärten für ein ungeeignetes Mittel, desolate öffentliche Haushalte zu sanieren."


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