Der Riese ist erlegt

Schröders Medien-Deal Wie der Kanzler die mächtigen Boulevardblätter des Springer-Konzerns neutralisierte

Die Tür geht auf und der Mann mit weißem Hemd, locker sitzender, dunkler Krawatte und hellgrauer Anzughose tritt ein. Es ist Matthias Machnig, Chef der SPD-Wahlkampfzentrale Kampa. Die vollen Lippen immer zur Schnute gezogen. Die grauen Haare über der hohen Stirn streng zurückgekämmt. Heute besucht er die Redakteure der Financial Times Deutschland (FTD). Thema ist der Bundestagswahlkampf 2002, was sonst. Machnig ist schnell. Schüttelt Hände. Grüßt. "Ach, wir kennen uns", sagt er. Händedruck. Lächeln. "Hallo, na wie geht´s?" Eine Drehung auf dem Absatz. Wo setzen wir uns hin? Wo kann ich euch erklären, wie´s läuft. Mit Schröder, den Sozialdemokraten, der Wahl, dem Gegner, den Umfragen und, und, und.
Machnig ist schnell. Schneller als die Anderen. Mit den Bewegungen und mit dem Mundwerk. Und das besonders heute, denn seit einigen Wochen ist des Kanzlers Partei mit 36 Prozent bei den Wahl-Sonntagsfragen im Aufwind. Welcher Tag heute ist? Nicht wichtig. Es ist Wahlkampfzeit und da ist jeden Tag Jagen angesagt. Jagen nach Stimmen und Stimmungen.
Wenige Tage vor Machnigs Besuch in der Redaktion der Wirtschaftszeitung landete die SPD einen Coup mit den Reformvorschlägen der "Hartz-Kommission" zum Arbeitsmarkt. Schröder hob die Kommission aus der Taufe, kurz nach dem Skandal um die Vermittlungszahlen der Arbeitsämter. Der Spiegel hob die Hartz-Geschichte auf die Titelseite und sorgte damit für jene publizistische Unterstützung, die dem sozialdemokratischen Kanzler Schröder schon fast abhanden zu kommen schien. Die Umfragewerte für die SPD stiegen um drei Prozent. Jetzt seien sie wieder dran an der CDU/CSU, die bei 40 Prozent der Stimmen liegt, sagt Machnig.
Es soll in der Kanzlermaschine gewesen sein, als Schröder auf dem Flug von Berlin zum G-8-Gipfel in Kanada, den Ahnungslosen schauspielerte und sagte: "Na, was steht denn da im Spiegel? Radikalkur gegen Arbeitslosigkeit? Ha, wo die das wohl her haben?"
Wie die Journalisten des Hamburger Magazins an die Reformpapiere gekommen sein sollen, will Machnig nicht sagen. Aber es ist ein offenes Geheimnis, dass aus dem Kanzleramt die Hartz-Papiere dem Spiegel schlicht angeboten wurden. Stefan Aust, Spiegel-Chefredakteur und Freund des Kanzlers, griff nicht nur zu, sondern sekundierte im Kampf um Stimmen und machte Stimmung mit dem Titel: "Schröders spätes Erwachen: Radikalkur gegen Arbeitslosigkeit." Natürlich informierte Aust das Kanzleramt über den Erscheinungstermin. Timing ist wichtig. Da im Juni ein Umschwung in den Umfragen zugunsten der SPD nicht erreicht werden konnte, sollte dies im Juli unbedingt geschehen. Machnig kündigte ja zuvor schon an: "Ende Juli müssen wir zwei bis drei Prozentpunkte an die Union herankommen." Der sorgfältig formulierte PR-Text der Spiegeljournalisten für die rot-grüne Regierung erzielte die erwünschte Wirkung. Seither dröhnt es in den Medien von Hartz und Schröders Wundermitteln zur Schaffung von Beschäftigung.
Mit dieser Geschichte haben sich die Fronten im Wahlkampf aber nicht eindeutig geklärt. Schröder ist es gelungen, einen Großteil der Medien einzuwickeln - und das nicht nur mit Charme und seinen geschickten Umgangsformen, sondern mittels seit langem getroffener Absprachen, mit denen er sogar die Springer-Medien einband.
Auf des Kanzlers Seite stand ohnehin schon die Hamburger Presse unter anderem mit Stern, Zeit und Spiegel. Der Leiter des Stern-Politikressorts Hans Ulrich-Jörges war einst mit Außenminister Joschka Fischer in Frankfurter Spontitagen befreundet. Man kennt sich. Der ehemalige Kulturstaatsminister bei Schröder Michael Naumann leistet Beistand. Er ist neben Josef Joffe einer der Chefredakteure der Zeit. Männer einer Generation, die mit der Unterstützung ihres Kanzlers auch die Geschichte ihrer Generation retten wollen. Was predigt Schröder seinen Genossen? Nicht Episode, Epoche wollen sie werden. Also müssen sie siegen am 22. September.
Doch wie war das mit den Springer-Zeitungen? Standen die nicht immer schon fest an der Seite der Christenparteien CDU/CSU? Die Zurückhaltung vor allem der Boulevardblätter Bild (Auflage 4,1 Millionen), Bild am Sonntag (Auflage 2,4 Millionen) und Welt (Auflage 180.000) erreichte Schröder bereits im Januar dieses Jahres. Er und seine Medienberater - darunter auch Machnig - verhandelten mit Springer zu einer Zeit, als es sehr unübersichtlich aussah, auf dem deutschen Medienterrain. Was war geschehen?
Es war in jenen Monaten, als der Münchner Medienmogul Leo Kirch mit seinem Imperium der Pleite entgegensteuerte. Kirch hielt 40,33 Prozent der Springer-Anteile und übte damit großen Einfluss aus. Die Macht des Münchners wollte aber Mathias Döpfner, seit Anfang dieses Jahres amtierender Springer-Vorstandsvorsitzender und enger Freund der Mehrheitseignerin Friede Springer, seit langem brechen. Als der bayerische Medienmogul schließlich Insolvenz anmelden musste, entwarf Döpfner einen Plan: Kirchs Kreditgeber, unter ihnen Commerzbank, Dresdner Bank, Deutsche Bank und die Bayerische Landesbank sollten den Großteil der Springer-Beteiligungen übernehmen. Döpfner sollte niemand bei der Führung des Konzerns mit 14.000 Angestellten hineinpfuschen. Denn es gab viele Interessenten, wie die Essener WAZ-Gruppe, die fest in SPD-Hand ist, der gefürchtete australische Fernseh- und Pressemagnat Rupert Murdoch, der sich in den größten europäischen Markt einkaufen wollte. Silvio Berlusconi mit seiner Firma Mediaset zeigte ebenso Interesse an den Springer-Aktien wie der Holtzbrinck-Verlag (Handelsblatt, Tagesspiegel), um nur einige zu nennen. Aber dann tauchte Bundeskanzler Gerhard Schröder auf. Die größte Medienpleite der Nachkriegsgeschichte, finanziert mit Geldern der Bayerischen Landesbank, in deren Aufsichtsrat CSU-Minister sitzen, das war die offene Flanke des im Januar gekürten Unions-Kanzlerkandidaten Edmund Stoiber und es war gleichzeitig der schwache Punkt der konservativen Springer-Presse. Am liebsten hätte Schröder natürlich beides nutzen wollen. Den Herausforderer ob dieses Wirtschaftsdesasters desavouieren und vor allem Bild kaltstellen. Ersteres gelang nicht, aber die mächtigen Boulevardblätter einbinden, das schaffte Schröder.
Mathias Döpfner traf sich in jenen Kirch-Pleite-Tagen mit dem Kanzler, um auszuloten, wie der zu ausländischen Investoren stehe. Zu Rupert Murdoch etwa, dem in London die brutale Sun und in New York die derbe New York Post gehören. Springer habe daran kein Interesse, ließ er Schröder wissen. Und der spielte: Vielleicht müsste man das Medien-Kartellrecht ändern, aber sonst? Springer könnte nicht mehr unabhängig agieren, sicher nicht, mit einem Murdoch als 40-Prozent-Beteiligtem ...
Dann bot er Lösungen an: Aber wenn der Herr der größten deutschen Zeitungen im Wahlkampf vielleicht objektiv, vielleicht etwas zurückhaltender berichten würde und nicht nur ins Horn der Union stoßen werde, dann würde die Regierung sicher die Unabhängigkeit der Springer-Presse schützen - vor den ausländischen Radaubrüdern, wie Murdoch oder Berlusconi.
Was genau besprochen wurde, ist nur vage bekannt, und nur hinter vorgehaltener Hand in den Hamburger und Berliner Pressehäusern erzählt man sich diese Episoden. Eines ist aber bekannt. Dass Schröder sich auch mit Rolf E. Breuer traf, dem Vorstandsvorsitzenden der Deutschen Bank. Breuer leitete ja bekanntlich den Sturz Kirchs ein, als er dem Wirtschaftsnachrichtendienst Bloomberg im Januar ein Interview gab und sagte, dass Kirch nicht in der Lage sei, seine Gläubiger zu bedienen. Und als Kirch am Boden war, traf er sich also mit dem Kanzler, um über eine mögliche Neuordnung des deutschen Medienmarktes zu sprechen. All das setzte Springer stark unter Druck. Ein bisschen Entgegenkommen musste man also zeigen. Was folgte, waren die Absprachen über das dreiteilige Rededuell im Berliner Springerhochhaus. Und eine bisher sehr zurückhaltende Bild, deren Chefredakteur Kai Diekmann doch für seine Kampagnen weithin bekannt und gefürchtet ist und der als strammer Unionsmann und Kohlintimus gilt. Man erinnere sich an die Bilder von Jürgen Trittin, der angeblich in einer Horde bewaffneter Demonstranten marschierte. Dieser Tage jedoch ist nichts von einer Anti-Rot-Grün-Haltung der Bild zu lesen. Keine Stimmungsmache für Stimmen bei Springer.
Mathias Machnig sitzt nach vorne gelehnt mit den Ellenbogen auf dem Tisch gestützt im Konferenzraum der FTD. Ein Pulk von Redakteuren sitzt und steht in dem schlichten Raum mit weißen Wänden und hört zu. Mit Zeigefinger und Daumen hält Machnig eine Zigarette, wie einen Taktstock und zeichnet den Rhythmus seiner Sätze in die Luft. "Die Bildzeitung haben wir eingebunden", sagt er. "Einfach mit Verhandlungen." Punkt. "Mit geschickten Verhandlungen." Punkt. "In ein paar Wochen wollen wir noch näher an der Union dran sein." Punkt. "Und", sagt er dann: "Die Deutschen wollen Stoiber nicht als Bundeskanzler." Punkt.
Machnig verabschiedet sich und ist guter Laune. Er lieferte eine beeindruckende Vorstellung und enttäuschte die Erwartungen nicht. Er ist bekannt für seine schnellen Sprüche und seine provokanten Auftritte, bekannt dafür, auf der Jagd nach Stimmen und der richtigen Stimmung zu sein. So wie sein Kanzler, den er bei der Jagd nach den meisten Stimmen zum Sieg führen will. Und ein Großteil der Jagd war bereits erfolgreich, sagt er, denn der Riese Springer ist erlegt.

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