Völlig entnervt schmiss Klaus Preschle vor Monaten seinen Job als politischer Planungschef in der CDU-Zentrale. Beate Baumann (39), Büroleiterin von Angela Merkel, hatte dem erfahrenen Politstrategen den letzten Nerv geraubt. Mitarbeiter der CDU/CSU-Fraktion sprechen gelegentlich von "Rasputina" oder der "Beißzange", wenn von Baumann die Rede ist. Die Abneigung kommt nicht von ungefähr, Baumann ist nicht nur die Bürochefin, sondern auch enge Vertraute "der Chefin".
"Die Gängelei war, nein, sie ist immer noch schrecklich", sagt auch ein Mitarbeiter der Parteizentrale. Der Vorfall wäre nicht der Erwähnung wert, würde er nicht ein Schlaglicht auf den Zustand der Unionsführung werfen. Merkel, die intern etwas abfällig auch die "Chefin" genannt wird, umgibt sich mit nur wenigen Vertrauten und ist gegenüber Außenstehenden eher beratungsresistent. Sie trifft Entscheidungen gern allein und ohne Rücksprache mit den Präsidiumsmitgliedern. Das sorgt in der Christenunion für Verwirrung und Wut. Aber "die Chefin" lässt sich nicht beeindrucken.
Zähneknirschend schauen ihr die "Parteifreunde" zu, wie sie - fast im Alleingang - ein Reformprogramm entwirft und nun gegen den Widerstand der CSU, alten Parteigranden sowie den Arbeitnehmerflügel (CDA) durchsetzen will. Wie sie die Prophezeiung des Christ-Sozialen Horst Seehofer ignoriert, mit dem Thema "Kopfpauschale" werde sie geradewegs "auf eine Niederlage" zusteuern. Vielleicht noch nicht in den eigenen Reihen, aber in der Öffentlichkeit. Heiner Geißler, einst intellektueller Wegweiser der Union, warnt vor Merkels Radikalkurs: "Das von der Putzfrau bis zum Vorstandschef jeder den gleichen Krankenkassenbeitrag zahlen soll, ist unvermittelbar." Doch die Vorsitzende hat das Reformfieber gepackt. Auf dem Parteitag Anfang kommender Woche in Dresden steht Merkel zahlreichen Widerständler gegenüber, die bisher still vor sich hin grummelten.
Nicht zuletzt der Ausschluss des Abgeordneten Hohmann hat die Abneigung gegenüber der Vorsitzenden spürbarer werden lassen. In der Affäre bewies die Unionsführerin, dass ihr Gespür und Durchsetzungskraft fehlen. Sie schloss Hohmann nicht umgehend nach Bekanntwerden seiner antisemitischen Rede aus, sondern erst, als der öffentliche Druck, besonders des Zentralrats der Juden, so groß wurde, dass sie die Flucht nach vorn antreten musste. Roland Koch, ihren Erzrivalen um die Kanzlerkandidatur, ließ sie dabei ins offene Messer laufen. Der verteidigte noch den Entschluss, am Abgeordneten Hohmann festzuhalten, als sich der Wind in der Berliner Parteizentrale schon gedreht hatte.
Eine "miese Stimmung" habe sich ausgebreitet, heißt es nicht nur im hessischen Landesverband. Viele Delegierte würden zum Bundesparteitag nach Leipzig fahren und vielleicht die Gelegenheit nutzen, der Vorsitzenden einen Denkzettel zu verpassen. Zur Abstimmung stehen unter anderem das Herzog-Konzept zur Reform der sozialen Sicherungssysteme, das Merkel schnell übernahm und in ihrer Grundsatzrede am Anfang Oktober ("Deutschland fair ändern") offensiv vertrat. Zentral dabei: Die Krankenversicherung soll umgestellt werden, und jeder die Kopfpauschale von 200 Euro im Monat entrichten. Für die Pflegeversicherung schwebt der Vorsitzenden eine kapitalgedeckte Variante vor. Damit die Umstellung gelingt, soll der Bürger lebenslang monatlich 52 Euro einzahlen. Drittens: die Rente, um die zu retten, schlagen Herzog und Merkel vor, das Eintrittsalter auf 67 Jahre anzuheben. Die heutige Grundsicherung würde es nicht mehr geben, stattdessen aber eine Basisrente. Schließlich die Arbeitslosenversicherung: Merkel will vor allem durch stärkere Leistungskürzungen Ausgaben und Einnahmen einander angleichen.
Freilich sind die Anträge nicht mehr so radikal wie noch vor einigen Monaten. Vieles nahm Merkel unter dem Druck ihrer Parteifreunde zurück. So senkte sie beispielsweise die Kopfpauschale um 64 auf 200 Euro. Zahnersatz und Krankengeld, heißt es plötzlich, sollen weiterhin die Kassen bezahlen. Ursprünglich war daran gedacht, diese Leistungen aus dem Katalog zu streichen. Hämisch meinte Seehofer, vom Konzept der Kopfpauschale seien nur noch "die Gräten" übrig.
Im Kampf um die Macht innerhalb der Christenunion dienen die Reformvorschläge nur noch als Geschosse gegen den Feind. Sichtbar wird dieser Umstand am Verhalten Edmund Stoibers, der mit seinen eigenen Renten-Ideen Front gegen Merkel macht und nun das Umlagesystem retten will. Noch nicht lange ist es her, dass er die Rentenversicherung als "total marode" bezeichnete. Nun aber kehrt er - wie sein strategischer Partner Seehofer - seine soziale Seite hervor. Kein kühler Reformer - ein Macher mit Herz.
Die Vorsitzende muss bald kontern und kann dies nur, wenn sie auf dem Parteitag ihre Konzepte unbeschadet durchbringt. Verwundert reiben sich deshalb viele ihrer Anhänger in der Fraktion die Augen, ob der Lässigkeit mit der Merkel dieser Tage auftritt. Dünnhäutig reagiert auch der sonst joviale CDU-Generalsekretär Laurenz Meyer. Kurz nach einer Präsidiumssitzung zischt er einen Journalisten an, der wissen will, ob die Vorsitzende dem Parteitag mit Bangen entgegen sieht: "So`n Quatsch!"
"Weitsicht" fehle der Chefin bemängeln schon seit langem Alt-Politiker wie Blüm und Geißler. Skeptisch bemerkten sogar Merkel-Anhänger, dass sie die Politikberatungsfirma dimap consult für 120.000 Euro im Jahr beauftragt habe, strategische Analysen zu erstellen. In der Firma arbeiten alte Bekannte, die so mancher aus der Fraktion nicht unbedingt für die besten Ratgeber hält: der ehemalige Kohl-Berater Michael Mertes (Kanzleramt) und Klaus Gotto aus dem Bundespresseamt. Aber eine klare Linie ist bei der Unionsvorsitzenden eben kaum erkennbar. In der Frage der vorgezogenen Steuererleichterung sagte sie zunächst ganz klar: "Nein", Wochen später stimmt sie doch zu, neuerdings gilt ein: "Ja, aber".
Über die diversen Wendungen und Windungen der Chefin herrscht Unmut. Die Hohmann-Sache tat ein Übriges - noch in einem Brief an alle Orts-, Kreis-, Landes- und Bezirksvorsitzenden sowie den Bundesvorstand und die Generalsekretäre versuchte Merkel, die Partei zu besänftigen. Der Ausschluss Hohmanns sei notwendig gewesen, verteidigte sie sich. Doch aus den Diskussionsforen der CDU-Homepage und zahlreichen Briefen, die in der Zentrale an der Berliner Klingelhöfer Straße eingegangen sind, weiß man, dass die Christdemokraten ihr nicht bedingungslos folgen. Zu viele Fehler, heißt es, zu wenig Gespür für diese Partei. Aber noch steht Merkel an der Spitze. Die Frage wer wen, bleibt vorerst (noch) offen.
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