Da ist sie wieder, groß und mächtig, schlagzeilendick: die K-Frage. Es scheint, als ob nun Wolfgang Schäuble, 61, der vorgeblich so nachdenkliche schwäbische Christenmensch, kandidieren wird für das höchste Staatsamt und sich damit eintragen könnte in das Geschichtsbuch der Republik, die er ja 1990 mitgeschaffen hat. Nur ist dies irgendwie von Bedeutung für ein Land, in dem Arbeitslosigkeit und soziale Verunsicherung herrschen? Ja und Nein. Ja, weil durch die Nominierung des Kandidaten die Machtverhältnisse innerhalb der Unionsparteien deutlich und damit die Stärke der politischen Strömungen erkennbar werden, die die Republik in den kommenden Jahren ertragen muss. Nein, weil das Staatsoberhaupt nur das Lametta am Staatsbaume ist, hell glänzend, doch ohne eigenen Wert.
Dennoch blicken die Polit-Feuilletonisten wie gebannt auf Schäuble, den Mann, der als ein Großer gilt und der das nötige Maß an Tragik mitbringt, die nötig ist, für die Geschichte eines Politikers, der oben war und jetzt unten ist.
Im Kriegssommer 1942 kommt Wolfgang Schäuble in Freiburg zur Welt. Sein Vater arbeitet als Steuerberater. Die Nüchternheit, die Fähigkeit zur kühlen Analyse erbt der junge Wolfgang von ihm. Diese Eigenschaften sind ihm nützlich, als er Rechts- und Wirtschaftswissenschaften studiert und sich in der CDU engagiert. Schnell steigt er die Parteileiter hoch, fällt auf als fleißig, ehrgeizig und listig. Vor allem Helmut Kohl weiß das zu schätzen und macht ihn 1981 zum Parlamentarischen Geschäftsführer, drei Jahre später zu seinem Minister für besondere Aufgaben. Und Schäuble ist nicht nur loyal gegenüber seinem Chef, nein, er ist ihm ergeben. Als viele prominente Politiker in die Flick-Affäre gezogen werden, da ist der junge Minister schon zur Stelle und bastelt an einem Amnestiegesetz für Steuersünder. Nur öffentlicher Protest verhindert sein Vorhaben. "Auf den Wolfgang kann ich mich immer verlassen", sagte der Kanzler damals begeistert.
In den Monaten Juli und August 1990 schreibt Schäuble, mittlerweile Bundesinnenminister, Geschichte, denn er handelt mit der DDR-Führung den Einigungsvertrag aus. Die Zeitungen berichten viel über ihn und er posiert auch gerne für Fotos, lächelnd, selbstgewiss. Dann am 12. Oktober schießt ein psychisch kranker Mann auf ihn und verletzt ihn schwer, Schäuble ist vom dritten Brustwirbel an gelähmt. Nur Monate nach dem Anschlag kehrt er in die Politik zurück und wird zum unverzichtbaren Manager der Regierung Kohl. Er setzt auf harte rechte Themen und handelt im Mai 1993 den sogenannten Asylkompromiss aus, bei dem die Verfassung geändert und den Asylbewerbern massiv die Leistungen gestrichen werden. Im gleichen Jahr befördert er Steffen Heitmann zum Kandidaten für das Amt des Bundespräsidenten. Doch Heitmann, ein stramm Rechter, katapultierte sich ins Aus, als er vor ... "Überfremdung" warnte und forderte, dass sich die Bundesrepublik nicht für immer von der NS-Vergangenheit drangsalieren lassen dürfe.
Schäuble gibt weiterhin den rechten Vordenker seiner Partei. Im September 1994 veröffentlicht er ein mit Karl Lamers entwickeltes Konzept über ein "Kern-Europa", dass damals für Aufsehen sorgt und heute, nach dem vorläufigen Scheitern des EU-Verfassungskonvents, wieder im Gespräch ist. Stolz verwaist Schäuble dieser Tage auf diesen Umstand. Im Wahljahr 1998 gilt Schäuble als der geheime Kanzlerkandidat. Aber sein Mentor will nicht weichen und verliert die Wahl. Kurz danach stolpert Kohls erster Streber selbst über die Parteispendenaffäre. Brigitte Baumeister, Schatzmeisterin der CDU, widerspricht Schäubles Version von der Geldübergabe durch den Waffenhändler Karl-Heinz Schreiber. Eine peinliche Geschichte, nach der sich Schäuble zurückzieht und fortan mit Europa beschäftigt.
Seit einigen Wochen nun betreibt er seine stille Kampagne. Er hat ein Buch geschrieben und der Außenminister Joschka Fischer stellte es in Berlin vor. Titel: "Scheitert der Westen? - Deutschland und die neue Weltordnung". Staatstragend, präsidial, eine Haltung, die Schäuble zu spielen versteht. Nun wartet er darauf, dass ihn die Parteichefin Angela Merkel fragt, ob er Bundespräsident werden will. Sie dürfte ihn dann hängen als Lametta an den Staatsbaum, dort könnte er zum Abschluss seiner Karriere glitzern. Sie stünde als makellose Parteiführerin da und die Republik könnte sich schon auf ihre Kanzlerschaft vorbereiten, auf Kopfpauschale und Grundrente. Die Gruppe um Volker Kauder, Roman Herzog und Laurenz Meyer hätte sich endgültig durchgesetzt. Aber bevor dies geschieht, müssen die unionsinternen Kämpfe ausgetragen werden. Denn die Bundespräsidentenkür ist immer auch eine Machtfrage. Wer zu früh auf den falschen Kandidaten setzt, könnte am Schluss als der Dumme, schlimmer noch, als der Schwache dastehen. Zudem könnte es ja sein, dass in letzter Minute Edmund Stoiber Anspruch auf das Amt anmeldet. Deshalb wartet Merkel ab und schaut wie sich die Stimmung entwickelt. Ihr Dauerrivale, der derzeit schwächelnde Roland Koch, puscht dagegen jetzt schon seinen Kandidaten Schäuble, um zu zeigen, dass er noch was zu sagen hat. Er weiß: Entscheidend ist nicht, dass Schäuble ins Schloss Bellevue einzieht, sondern wer ihn dorthin bringt.
Der Kanzler bietet an, das Staatsoberhaupt von der SPD mitwählen zu lassen, sofern die Union eine Frau nominiert. Darin steckt freilich ein gehöriges Maß an Frechheit, denn als Rot-Grün eine Frau aus eigener Kraft hätte zur Präsidentin wählen können, da tat sie es nicht. Und die Union verbrannte die aussichtslose Kandidatin Dagmar Schipanski in einer entwürdigenden Nominierung. Das Amt, das eigentlich Würde ausstrahlen soll, ist längst auch ein bisschen peinlich geworden. Man stelle sich vor, Schäuble wäre Staatsoberhaupt und dann kämen wieder diese Parteispendengeschichten daher. Schreiber hat bereits neue Enthüllungen angekündigt. Brigitte Baumeisters Buch über ihre Version der Geldübergabe erscheint in einigen Monaten. Dann müsste sich der Präsident rechtfertigen, müsste erklären, wie das denn nun genau war mit den 100.000 Mark. Merkel würde sich ärgern. Das Lametta sähe dann nicht mehr sehr schön aus.
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