Endsieg über die Christen

Kulturkampf In Schlüchtern will eine Moslemgemeinde ein Gebetshaus errichten - doch einige Bürger wollen das Abendland retten

Irgendwann hat Susanne Weider-Herr genug. "Schluss, aus, ich hab jetzt keine Lust mehr", sagt sie. Frau Weider-Herr war Lehrerin. Und so hört sie sich jetzt an. "Haben sie sich eigentlich mal persönlich prinzipiell mit dem Islam auseinandergesetzt?", fragt sie den Reporter, ihren Zeigefinger in die Höhe reckend. Aufgepasst!, heißt das wohl. Jetzt spricht Frau Weider-Herr, blonde, schulterlange Haare, große, braune Augen, dunkel lackierte Fingernägel, mit weicher Tremolo-Stimme. Sie sitzt gerade im Café Egner an der Obertorstraße in Schlüchtern, einer 17.000-Seelen-Stadt in Hessen, genauer: im Main-Kinzig-Kreis. "Ich beschäftige mich seit eineinhalb Jahren mit dem Islam", sagt sie, der Finger ist wieder erhoben.

Einige andere Männer und Frauen sitzen dabei. Sie gehören der Initiative Pro-Schlüchtern an, die den Bau einer Moschee in ihrer Stadt verhindern will. Einer Moschee, so sagen sie, die von einer verfassungsfeindlichen "Sekte", den "Ahmadiyyas" errichtet werden soll, die von hier aus missionieren, Staat und Gesellschaft unterwandern, das Christentum verdrängen wolle.

Frau Weider-Herr, die Vorstandsmitglied der Pro-Schlüchtern-Initiative ist, sagt: "Der Islam ist eine kämpferische Religion, und die wollen das Christentum besiegen. Verstehen Sie? Für die sind alle anderen Ungläubige." Während sie einen kurzen Vortrag über den Unterschied von Mohammed und Jesus hält, streicht sie über das bunte Tischtuch, als wollte sie auch die feinsten Fältchen ausbügeln und greift dann zur Zigarettenschachtel, um sich etwas zittrig einen Glimmstängel anzuzünden. Einst hat sie Germanistik und Latein in Frankfurt am Main studiert, als die Spontis und andere Gruppen für mehr Freiheit und eine gerechte, tolerante Gesellschaft kämpften. Lange her.

Neben ihr sitzt der Pressesprecher der Initiative Hans-Konrad Neuroth, ein Jurist. Er springt "Susanne" bei und erzählt etwas über Holland und dass man sich dort seit langem frage, ob denn die Multi-Kulti-Gesellschaft wirklich so das richtige sei. Es könne doch nicht sein, dass Minderheiten mehr Kraft und Macht hätten als die Mehrheit. Schließlich redet er über "Erkenntnisse", die Pro-Schlüchtern vorliegen, über Sozialhilfegelder der Ahmadiyyas, die Mohammedaner, und, und, und. Neuroth sagt "Mohammedaner", nicht Muslime. Doch zitiert werden will er lieber nicht. Neuroth, der Pressesprecher, ein schlanker Mann im Jeanshemd mit vier weißen Sternen auf der Brust, holt ein Taschenbuch von J.R.R. Tolkien heraus, steht hektisch und schnaubend auf, setzt sich wieder und liest fortan.

"Ja, was hat denn der Hohmann eigentlich gesagt?"

Draußen in der Einkaufsstraße spazieren die Leute von Geschäft zu Geschäft. Die Obertorstraße ist Mittelpunkt des Örtchens. Hier unterhält die CDU eine Geschäftsstelle. Im Schaufensterkasten neben dem Eingang hängt ein Porträt von Martin Hohmann, dem Bundestagsabgeordneten und ehemaligen CDU-Fraktionsmitglied, der im vergangenen Jahr mit einer antisemitischen Rede zum 3. Oktober für Schlagzeilen sorgte. Hohmann kommt aus Neuhof, das nur wenige Kilometer von Schlüchtern entfernt ist. Hohmann ist so etwas wie ein Star in dieser Gegend.

Auf der anderen Straßenseite steht "Langer. Das freundliche Einkaufshaus in Schlüchtern", wie auf Tüten und Schaufenstern zu lesen ist. Der Inhaber des Geschäfts entließ vor einigen Jahren eine türkische Verkäuferin, weil sie ihr Kopftuch während der Arbeitszeit nicht ablegen wollte. Die Geschichte erregte bundesweit Aufsehen, und es kam zum ersten berühmten Kopftuchurteil in der Geschichte der Republik. Das Bundesarbeitsgericht gab der Türkin recht. Sie arbeitet inzwischen wieder in der Süßwarenabteilung bei Langer, dem freundlichen Kaufhaus. Schon damals debattierten in Schlüchtern die Menschen über "deutsche Leitkultur" und die "Anpassung" der Fremden.

"Wir wollen einfach nicht, dass das Stadtbild in Zukunft von den Minaretten einer Moschee verändert und beherrscht wird", hat sich zwischenzeitlich im Café Egner Ernst Müller-Marschhausen, pensionierter Lehrer und Vorstandsmitglied von Pro-Schlüchtern, ins Gespräch eingeschaltet. Dann bittet er, das Aufnahmegerät auszuschalten, um "mal offen" sprechen zu können. Beim Thema Hohmann rebelliert der gesamte Tisch. "Ja, was hat denn der Hohmann eigentlich gesagt?" fragt Marschhausen, zieht seine buschigen Augenbrauen hoch und beugt sich weit vor. Im Café Egner scheint eine Prüfungsstunde angebrochen.

Neben Marschhausen sitzt Rainer Egner, Vorstandsmitglied und Präses der Evangelischen Kirche, aber der will sich nicht prüfen lassen. Sein Beruf habe nichts mit dem Engagement gegen den Bau der Moschee zu tun, sagt er. Egner ist ein ruhiger, älterer Herr mit weißen Haaren und feiner Rasur. Er hält einen Artikel aus einer Tageszeitung hoch - Überschrift: "Moscheebau spaltet Schlüchtern". "Das ist nicht wahr", sagt Egner und schüttelt den Kopf. "Wir spalten nicht, wir sind pro Schlüchtern."

Die Obertorstraße beginnt mit der Hausnummer 1 und die trägt das Rathaus. Falko Fritzsch, SPD, ist der Bürgermeister und bittet einzutreten. Drinnen bestaunen Besucher das Modell ihrer Stadt aus dem Mittelalter. Die drei Türme, die das Stadtbild prägen, sind das Wahrzeichen, auf das die Gemeinde stolz ist. Fritzsch, ein Mitfünfziger mit ergrautem Schnauzer, zeigt, wo das Rathaus steht. Wo die Moschee in Zukunft ihren Platz haben soll, kann er nicht zeigen, dieses Grundstück ist mit dem Modell nicht erfasst. "Das liegt zu weit außerhalb", sagt er. Überhaupt, diese ganze Geschichte mit Pro-Schlüchtern, hängt ihm ein bisschen zum Halse raus. Das sagt er so nicht, aber man merkt es. "Wissen Sie, zu deren Veranstaltungen gehe ich nicht mehr. Was die machen, ist nicht Information, sondern Hetze." Fritzsch kennt die Leute, die gegen die Ahmadiyyas sind. Er kennt sie gut, mit einigen ist er befreundet. Doch bei diesem Thema verstehen sie sich nicht mehr.

Irgendwann landet Hübsch in Berlin bei Rainer Langhans in der "Kommune 1"

Die Moslemgemeinde Ahmadiyya gehört zur Stadt, sagt Fritzsch. "Sie fällt besonders dann auf, wenn sie am Neujahrstag in einer Großaktion die Straßen kehren. Sozialaktion für die Bürger. Doch die Gegner ignorieren das."

Dass Schlüchtern bald Zentrum einer islamischen Missionsbewegung werde, glaube er nicht. "Die Moscheegegner sind ja der Überzeugung, das Abendland retten zu müssen." Ausgerechnet in Schlüchtern. Vielmehr spiele die Direktwahl des Bürgermeisters am 13. Juni eine Rolle in dem Konflikt um die Moschee, die Raum für 200 Gläubige bieten soll. Grundriss: 14 mal 20 Meter, mit zwei Minaretten, von denen kein Muezzinruf erschallen soll. Die CDU und die Reps hätten den Konflikt angeheizt. In der Stadtverordnetenversammlung sitzen auch drei Republikaner.

Die Gefahr, die nach Meinung der Pro-Schlüchtern-Initiative für die Stadt, ja die gesamte Region ausgeht, sitzt derzeit in einem Häuschen an der Hanauer Straße, die aus dem Ort hinausführt. Vor der Tür zum Gebetsraum liegen Schuhe im Regal. Drinnen laufen die Besucher strumpfsockig durch die Räume. An den Wänden hängen eingerahmte Koransuren und von Kindern gemalte Bilder. Auf einem sind Fotos von der letzten Stadtreinigungsaktion am 1. Januar zu sehen.

Der Ahmadiyya-Sprecher trägt ein Topi auf dem Kopf und einen angegrauten Bart im Gesicht. Sein Name ist Hadayatulla Hübsch (58). So heißt er seit 34 Jahren in seinem Leben als Moslem. Früher einmal hieß er Paul-Gerhard. Hadayatulla lächelt etwas linkisch und erzählt seine Lebensgeschichte, die 1946 in Chemnitz als Sohn eines ehemaligen AEG-Direktors begann. Als Paul anderthalb ist, geht die Familie nach Frankfurt am Main. Als er ein Teen ist, schreibt er Gedichte, gewinnt einen Poetry-Preis, bewegt sich im linken Milieu, marschiert auf Demos. Irgendwann landet er in Berlin bei Rainer Langhans in der "Kommune 1". Immer wieder raucht er Hasch, wirft sich LSD-Trips ein - und ist bald am Ende. Zu viele Drogen. Er will etwas anderes, sucht nach einem neuen Lebenssinn, unbewusst, wie er erzählt. Auf einer Reise in Marokko erreicht ihn so etwas wie ein Zeichen, und er fleht zum Himmel: "Oh, Allah, bitte reinige mich."

Zurück in Frankfurt, führt ihn in seinem alten Kinderzimmer ein Lichtstrahl zu einem Buch im Regal. Er liest den Koran. "Und ich wusste: Ich bin ein Moslem." Er sucht nach einer Moschee, bittet bei arabischen Konsulaten um Auskunft. Und tatsächlich, nach einem Tipp der libanesischen Vertretung gelangt er in eine Ahmadiyya-Moschee. "Dort wurde ich so herzlich aufgenommen - wie ein verlorener Sohn." Das ist die schnelle Version seines Lebens, das er auch in einem vierstündigen Hörspiel verarbeitet und in einem Radiosender veröffentlicht hat. Ab und an fasst Hadayatulla sich an den Kopf und sagt, wie verrückt sich das alles anhört. "Aber, so war es." Immer noch schreibt er, veröffentlicht Sachbücher über den Islam, tritt in Frankfurter Kleinkunstbühnen auf und liest aus seinen Werken. Hadayatulla ist auch Imam. Seit 18 Jahren arbeitet er als Sprecher der Gemeinde und predigt und betet den Männern in seiner Gemeinde vor, von denen die meisten aus Pakistan kommen. Dort haben die Ahmadiyyas ihren Ursprung. Hadayattulas Frau trägt ein Kopftuch und seine fünf Töchter auch. Sie hätten sich "ganz allein" dafür entschieden. Zwang sei im Islam nicht erlaubt. Und wenn die Töchter irgendwann kein Kopftuch mehr tragen wollten? Er streicht über den Bart. "Das wäre schon ein großer Kummer für mich, denn im Koran steht: Frauen sollen ihre Haare mit einem Tuch bedecken."

"Das ist Takkiya, die Kunst der Verstellung, zu der die Muslime verpflichtet sind"

Zwei Männer decken den Tisch, es gibt scharfen Rinderhack mit Kartoffeln, Salat und süßem Reis. Gäste sollen nicht hungrig das Haus verlassen. "Immer wieder laden wir die Bürger aus Schlüchtern zu Veranstaltungen ein, um mit ihnen zu reden", sagt Hübsch, als er nach dem Essen durch die vier Räume führt. Büro, Männergebetsraum, Frauengebetsraum, eine Küche. An einer Wand hängt das Bild des ersten Kalifen, dem Gründer der Ahmadiyyas. Auf der Homepage der Ahmadiyya-Gemeinde steht: "Liebe für Alle, Hass für Keinen." In seinem Leben als Moslem habe er nie eine solche Feindseligkeit erlebt wie in Schlüchtern. "Wir bauen auch Moscheen in Usingen und Münster, doch dort gibt es keinen solchen Hass." Zu Beginn der Auseinandersetzung mischte auch Martin Hohmann mit, erinnert sich Hübsch. "Der kam auf unser Grundstück und hielt eine Brandrede gegen uns, den Islam und so. Ein anderes Mal schlugen die Gegner unserer Moschee ein Kreuz auf unserem Grundstück ein."

Hadayatulla redet viel und schnell, verheddert sich in langen Stories und lustigen Anekdoten. "Entschuldigung, so bin ich", sagt er dann. Er legt einen Packen Papier auf den Tisch, will beweisen, dass seine Gemeinde nichts Böses im Sinn hat. Der Verfassungsschutz bestätigt dies und bescheinigt, die Ahmadiyyas seien ungefährlich. Dennoch argumentiert und redet Hadayatulla, um von den guten Absichten seiner Gemeinde zu überzeugen.

Aber diese Masche hat Frau Weider-Herr längst durchschaut, sagt sie im Café Egner. "Das ist Takkiya, die Kunst der Verstellung, zu der die Muslime verpflichtet sind." Demnach müssten sie Freundlichkeit vorspielen, den Gegner in Sicherheit wiegen, aber tatsächlich ihre eigentlichen Ziele verfolgen. Und Rainer Egner weiß, worin dieses Ziel bestehen soll: "Letztlich zählt für die Ahmadiyyas nur der Endsieg über die Christen."


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