Flöten mit E-Gitarre Ägypten ist ein streng geführtes Regime. Dennoch gründen sich seit einigen Jahren unabhängige Kulturzentren. Das Egyptian Center for Culture and Art ist eines davon
Paris, Sommer 2001. Ahmed el Maghraby verlässt die ägyptische Botschaft und macht sich auf den Heimweg ins nahe gelegene 14. Arrondissement. Wie so oft in letzter Zeit beschäftigen ihn die Gedanken an seine Zukunft. Sicher, er ist Kulturattaché, einer der jüngsten hier in Paris. Und demnächst würde er ein Büro in Washington oder Rom beziehen können. Italien! Für einen in Neapel studierten Doktor der italienischen Literatur eine verlockende Vorstellung.
Doch so paradox es klingt, die Liebe zu Kultur, Literatur und Musik macht ihm in seiner Position zu schaffen. Schon als Beamter im Kulturministerium in Kairo war es ihm über ein Jahr lang nicht gelungen, auch nur ein einziges Konzert auf die Beine zu stellen. Obwohl es von oben
n oben gewünscht worden war. Nein, über die ägyptische Kulturverwaltung lässt sich nichts anderes sagen, als über das gesamte Land am Nil, eines der am strengsten geführten Regime der arabischen Welt. "Zu viel Bürokratie, zu viel Korruption", schimpft Maghraby. Er hatte es satt. "Ich wollte aus allem Offiziellen heraus und mein eigener Boss sein", rekapituliert er seine Entscheidung, die diplomatische Karriere an den Nagel zu hängen und den Anzug gegen Jeans und Windjacke zu tauschen.Zurück in der Heimatstadt Kairo begann er, so schnell wie möglich in die Tat umzusetzen, wovon er schon länger geträumt hatte. Ahmed el Maghraby wusste genau, was er wollte. Er gründete ECCA, das Egyptian Center for Culture and Art. Seine Kulturinstitution sollte das vielfältige musikalische Erbe Ägyptens zurück ins Bewusstesein der Menschen holen. Der Schreibtisch in el Maghrabys kleinem Büro ist unübersichtlich. In einer Ecke stapeln sich Zeitungen, daneben liegen Zigarettenblättchen, CDs, Schokolade und Mikrofone. Ein rundes Messingtablett mit leer getrunkenen Gläsern steht auf dem Teetischchen. Der Ventilator läuft. Just in der Straße, in der er aufgewachsen war und ein Leben lang gelebt hatte, hat Maghraby ein Domizil für seine Arbeit gefunden. Mitten im Zentrum Kairos, nahe dem Tahrir-Platz zwischen der begrünten Garden City und dem quirligen Downtown-Viertel. Makan, wörtlich "ein Platz", nannte er die Adresse in einer alten Druckerei schlicht, wo das ECCA nun residiert. Die nötigen Umbauarbeiten hatten es in sich, und heute noch versprüht das Gebäude ein wenig von seinem damaligen Charme des Verfalls. Über der gusseisern gefassten Eingangstür ist das gelbe Schild mit arabischem Schriftzug angebracht. Auf den Bürgersteig vor dieser Tür werden am frühen Abend vor den Konzerten Stühle geräumt. Dann wird Tee gereicht und geraucht, die Zeit des Schwätzchens nutzen die Musiker, um an alten Heizspiralen die Felle ihrer Trommeln anzuwärmen. Während sich Musiker und Publikum draußen entspannen, erfolgt drinnen der letzte Mikrofon-check, Sitzkissen und Stühle werden arrangiert, der Teeboiler brodelt. Oben, wo Ahmed el Maghrabys Büro an die Galerie anschließt, sitzen die Zwillinge Achmed und Mustafa hinter zwei großen Mac-Bildschirmen und machen alles dafür bereit, die Session für das Audioarchiv aufzunehmen. Regelmäßig tritt die Formation Mazaher auf, eine Gruppe von Musikern mindestensgesetzten Alters. "Zar" nennt sich ihre Musik, die in Trance versetzen soll. Traditionell war sie häuslichen Ritualen vorbehalten, bei denen die Hörer von einem Problem oder einem Geist befreit werden sollten. Entsprechend sahen sich die Musiker eher in der Rolle von "Dienstleistern" als von Künstlern, wie Maghraby erzählt. "Ich habe die Gruppe erst formiert. Die meisten Musiker haben ihre Kunst gar nicht mehr ausgeübt, sie überhaupt aufzuspüren, war nicht einfach." Den Stolz, nun regelmäßig vor einem applaudierenden Publikum aufzutreten, sieht man den Mitgliedern von Mazaher an. Ihre Zar-Rituale waren nicht nur fast in Vergessenheit geraten, sondern auch nicht wohl gelitten, weil sie in einer zunehmend religiös traditionalistischen Gesellschaft als unislamisch und heidnisch gelten. Pünktlich um neun Uhr beginnen die Konzerte. Das Publikum ist gemischt, neben Arabisch hört man englische, französische, manchmal auch deutsche Gesprächsfetzen. Madiha, die füllige Sängerin der Gruppe, begrüßt das Publikum. Ein durchsichtiger schwarzer Schleier umhüllt ihr Haar, ihr roter Lippenstift leuchtet. An Hals und Ohren trägt sie üppigen Goldschmuck. Sie entzündet Weihrauch und nachdem die Musiker ihre Hände in den wohlriechenden Dunst getaucht haben, beginnen sie zu spielen. Mit wehmütigen Melodien von Flöte und Gesang beginnt der Abend, ein dumpfer Trommelschlag im Viersekundentakt gibt bald den Beat dazu und über vier, acht, zwölf Minuten steigert sich das ganze fast zur Ekstase. Der Rhythmus wird schneller, die Chöre lauter und mehrstimmig, die Trommeln unruhiger und dröhnend. Bis am Ende drei Frauen mit Rahmentrommeln in der Hand in die Mitte tanzen und sich alles fast zu überschlagen droht. Mit sichtbarem Kraftaufwand setzen sie ihr wuchtiges Tak-Tak, Tak-Tak-Tak fort, bis zwei Schläge mit hochgestreckten Armen den Schluss markieren.Die Zwillinge wechseln sich derweilen an der Videokamera ab. Unzählige Terrabyte an Daten haben sie in ihrem Audio- und Videoarchiv gesammelt und auf Festplatten eingelagert - die meisten türmen sich einige Blocks weiter bei Maghraby zu Hause. Nicht nur die Mitschnitte der eigenen Konzerte sind dabei, sondern auch dokumentarisches Material, das sie in ganz Ägypten aufgenommen haben. Darunter traditionelle, dem ursprünglichen Blues vergleichbare Arbeitsgesänge von nubischen Bauern, vergnügte Lieder von Zigeuner-Nachfahren auf dem Sinai und Volksweisen der Bewohner des Nildeltas. Vieles von dem, was Ahmed el Maghraby auftut, steht kurz vor dem Verschwinden. In der arabischen Musik hat es nie ein Notationssystem gegeben, Repertoire und theoretisches Wissen wurden über Jahrhunderte mündlich weiter gegeben. Insbesondere die zahlreichen lokalen Ausprägungen der Volksmusik sind, wenn überhaupt, häufig nur noch wenigen Alten bekannt. Das will Maghraby ändern, ständig ist er dabei, den Wirkungsradius von ECCA zu vergrößern. Ein Atelier für Instrumentenbau ist in Planung, in der Oase Fayoum südwestlich von Kairo wird eine zweite ECCA-Residenz gebaut. Weitere Konzerte und Workshops wird es hier geben, schon jetzt improvisieren sie vor Ort Veranstaltungen. Neulich hat eine Gruppe Beduinenmusiker aus der Weißen Wüste Ägyptens die Feriengäste von Maghrabys ortsansässigem Freund in wilde Tanzlaune getrommelt. Bekannte und Kollegen Maghrabys wirken als ein Netzwerk von Talent Scouts. Hört er von einem 90-jährigen Gypsy-Musiker, einem vereinsamten Instrumentenbauer oder einer Zar-Truppe, die Abseits der Öffentlichkeit spielt, begibt er sich auf die Spur. Er sucht die Betreffenden auf, dokumentiert ihr Wissen und Können. Im günstigsten Fall lassen sich Konzerte oder Tourneen auf die Beine stellen und Nachwuchsmusiker motivieren. Der junge Amin Shahin ist ein solcher. Er stammt aus einer Musikerfamilie und erlernte mehrere klassische Instrumente, doch zu den musikalischen Traditionen seiner Heimat fand er erst vor wenigen Jahren. Heute ist Shahin einer der letzten überragenden Arghoul-Spieler Ägyptens. Die Arghoul ist eine Flöte aus dem Bambus vom Nilufer, ihr Klang erinnert an den sandigen Hauch des Wüstenwinds. Ihr Spiel hat Shahin von seinem Vater gerlernt. Den Anstoß gab Shanin die Arbeit Magh-rabys im Makan, genauer, die Gruppe Nas Makan. "Nas" heißt soviel wie "Leute". Die Formation vereint in wechselnder Besetzung mindestens 20 Musiker, die auch in anderen Gruppen spielen. "Ich bin auch Produzent", meint Maghraby, und mit Nas Makan gelingt es ihm wie mit kaum einem anderen Projekt, das ägyptische Musikerbe mit der Moderne zu verbinden. Flöten neben verstärkten Gitarren, modernes Schlagzeug und traditionelle Trommeln. Viele hätten ihm schon gesagt, die Band sei das Wichtigste, Bedeutendste und Beste, was die ägyptische Musik seit den siebziger Jahren zu bieten hätte, bemerkt Maghraby nicht ohne Stolz. Mindestens zweimal in der Woche finden offizielle Konzerte im Makan statt, doch das Haus ist fast rund um die Uhr für Proben, Jam-Sessions oder geselliges Beisammensein geöffnet. Hier trifft man Dr. Omran, der die Ein-Personen-Fakultät der Kairoer Musikwissenschaft repräsentiert. Oder Adel, Bass-Spieler sudanesischer Abstammung bei Nas Makan. Oder Abdel Menem, pensionierter technischer Angestellter des Arabischen Musikinstituts und Spezialist für veraltete Aufnahme- und Abspieltechniken. Gerade wieder überspielt Menem antiquierte Tonbänder ins digitale Format. "Old, old" kommentiert Dr. Omran die Aufnahmen, obwohl sie vor nur rund zehn Jahre gemacht wurden, doch das gilt schon als steinalt. Es sind Mitschnitte aus dem Iran, ein ägyptischer Sänger trägt den Koran vor, Tajoued nennt sich dieser Stil. Ein für europäische Ohren arabischer Singsang, doch Adel erklärt, der Künstler singe nicht, er lese lediglich vor. Diese Interpretation hat ihren Grund: Singen und Tanzen gelten als Dinge "aus der anderen Welt" und sind als Grundlage eines Koranvortrags für streng Gläubige schlichtweg Blasphemie. "Perfect music", freut sich Dr. Omran, während Adel darauf beharrt, dass es eben doch nur eine Stimme sei an Stelle von Gesang. Aber weshalb soll die Stimme kein Gesang sein, wenn die Instrumente doch Musik sind? Adel lacht, sehenden Auges ist er in die Falle getappt. "Trotzdem", meint er fröhlich und greift nach dem Teeglas. Die Runde sitzt noch lange zusammen, Kollegen und Freunde kommen und gehen und Ahmed el Maghraby macht sich erst spät in der Nacht auf den Heimweg. "Beautiful shit", beschreibt er ironisch seinen Laden, mit Betonung auf beautiful. Er ist glücklich. Seinen Posten als Kulturbeamter möchte er nicht zurück haben.
×
Artikel verschenken
Mit einem Digital-Abo des Freitag können Sie pro Monat fünf Artikel verschenken.
Die Texte sind für die Beschenkten kostenlos.
Mehr Infos erhalten Sie
hier.
Aktuell sind Sie nicht eingeloggt.
Wenn Sie diesen Artikel verschenken wollen, müssen Sie sich entweder einloggen oder ein Digital-Abo abschließen.