Spix-Aras Der Spix-Ara, die seltenste Papageienart der Erde, ist in freier Natur ausgestorben. Doch jetzt gibt es wieder Nachwuchs: Frieda. Und die lebt in Brandenburg
Diese Vögel haben eine unglaublich hohe emotionale Intelligenz“, sagt Matthias Reinschmidt und öffnet die Sicherheits-Türschleusen zur mehrere Hektar großen, abgeschirmten Papageienstation hoch über dem Loro-Park, im Norden der Kanareninsel Teneriffa. Hier ist Reinschmidts Revier – „ein Mekka für Papageien“ nennt es der 44-jährige promovierte Biologe.
Von hier aus bemüht sich Reinschmidt insbesondere um die Erhaltung der seltensten Papageienart auf der Erde, der Spix-Aras aus Brasilien. Weltweit gibt es nur noch 68 Exemplare, sämtlich in Menschenhand: „Unglaublich emotional intelligent finde ich sie deswegen, weil gerade diese Spix-Aras offensichtlich langfristig Partnerschaften entwickeln, sich auf neuem Niveau auch
iveau auch nach langer Trennung wiedererkennen und ihre Beziehung dann noch viel intensiver fortführen.“ Reinschmidt zeigt auf einem der Überwachungs-Monitore Live-Sequenzen aus der Bruthöhle eines der zwei hiesigen Spix-Ara-Paare. Denn diese müssen aufgrund ihrer extremen Seltenheit auch hier auf Teneriffa ganz besonders geschützt werden, weshalb sie an einem bewachten, gesicherten Ort leben, der auch für Journalisten nicht zugänglich ist. „Das ist der Vater der brandenburgischen Frieda, Zuchtbuch-Nummer 44. Er war zwei Jahre in Deutschland, um dort für Nachwuchs zu sorgen.“Gleichberechtigtes PaarReinschmidt macht keinen Hehl daraus, dass er es „im Interesse der Arterhaltung“ lieber gesehen hätte, wenn seine „Nummer 44“ auch diese 24 Monate hier auf Teneriffa an der Seite seiner eigentlichen Lebensgefährtin verbracht hätte. „Schauen Sie, wie liebevoll die beiden hier bei uns jetzt wieder miteinander umgehen“. Der Wissenschaftler gerät ins Schwärmen: „Als ich mit diesem Spix-Ara vor einigen Monaten und nach manchen Querelen dann wieder zurück aus Deutschland kam, hat es selbst mich überrascht: Diese beiden hier haben sich nach der langen Trennung nicht nur wiedererkannt, sondern sich viel gefühlvoller als zuvor umeinander gekümmert.“ Wenn Menschen eher abfällig von „vögeln“ redeten, müssten sie angesichts dieser Erfahrungen ihren Wortschatz revidieren.Andere Vögel können auch was - zum Beispiel der tanzende und headbangende Kakadu "Snowball":Die beiden Spix-Aras scheinen sich wirklich innig zu mögen: Gerade haben sie ihre wöchentliche frische Kiefernzweig-Ration zum Benagen bekommen, und auch dies tun sie gemeinsam. „Die zwei unternehmen in ihrer Voliere – sofern nicht einer von ihnen gerade in der Nisthöhle sitzt – praktisch alles zusammen, tatsächlich als Paar“, erklärt Matthias Reinschmidt. Wenn zwei Vögel so harmonieren, sei auch keine Hackordnung zu beobachten. Reinschmidt betrachtet sie als gleichberechtigt. Hier in ihrer Voliere herrschen natürlich auch „bestens behütete Bedingungen“. Die artgerechte Haltung der so seltenen Papageien erfordert einen enormen Aufwand.Das dürfte auch Dieter Rinke – um auf der Spur von Friedas „Vater“, dem Spix-Ara Nummer 44 zu bleiben – kaum anders sehen. Der 55-jährige Papageienexperte war 13 Jahre zoologischer Direktor des Vogelparks Walsrode. Und auch jetzt ist der energische Mann nicht nur in Deutschland, sondern auch in Lateinamerika und im pazifischen Raum als wissenschaftlicher Berater im „Verein zur Erhaltung bedrohter Papageien“ unterwegs. Rinke ist besonders stolz auf Frieda, die erste „deutsche“ Spix-Ara. Der genaue Aufenthaltsort von Frieda im Land Brandenburg soll aufgrund ihrer Seltenheit und „manch merkwürdiger Menschen“ auch weiterhin geheim bleiben – so verabreden wir uns gleichsam konspirativ in der Nähe eines Klosters nordöstlich von Berlin. Dieter Rinke zeigt vorsichtig den so seltenen Vogel und erklärt fast schon liebevoll, dass jetzt nur noch der helle First des Oberschnabels, also die äußere Kante, und der fast weiße Augenring den Experten erkennen lassen, dass Papagei Frieda „noch ein Teenager“ ist: „Am 24. November 2008 schlüpfte dieser Jungvogel – das ist ein großartiger Erfolg“. Denn nur drei Jahre zuvor war die hiesige Artenschutz-Organisation in das von Brasilien aus geleitete Rettungsprogramm für den Spix-Ara eingestiegen. Und nun ist Frieda tatsächlich der einzige Vogel seiner Art, der im Jahre 2008 auf diese Welt kam und aufgezogen werden konnte.Frieda gilt ihren Pflegern im Brandenburgischen als ziemlich verspielter Vogel. Mittlerweile bildet sie mit ihrer Mutter und einem Ara einer anderen Art eine kleine Gruppe in der Voliere. Frieda untersucht ausdauernd, was ihr vor den Schnabel kommt: Holzstücke, weiche Weide-Äste, einen festgezurrten Futternapf – doch ebenso intensiv widmet sie sich den anderen beiden Vögeln ihrer „Wohngemeinschaft“. Die Tiere kraulen einander, aber auch Kräftemessen gehört dazu. Die Hackordnung ist nicht zu übersehen – auch deswegen bieten die Pfleger das Futter an mehreren Stellen gleichzeitig in relativ kleinen Portionen an. „Die Nahrung soll sehr vielfältig und möglichst frisch sein“, erklärt Rinke.Zum Frückstück frisches ObstMorgens ab 8 Uhr gibt es hier für Frieda Co. die erste Mahlzeit, nachmittags gegen 16 Uhr dann die zweite und letzte des Tages. Frisches Obst und Gemüse, heute etwa Birnen, Äpfel, Bananen und Mango sowie Gurke, Möhre, Fenchel und Paprika, stehen auf dem Speiseplan. „Hinzu geben wir Vitamin- und Mineralzusätze und auch Sämereien, vor allem eingeweichte oder auch angekeimte Samen von Erbsen und Bohnen wegen deren Eiweiß. So erreichen wir eine ausgewogene und artgerechte Ernährung“, erläutert Rinke.Zwischen den beiden Mahlzeiten halten die Papageien nach tropischem Brauch ihre „Siesta“. Zur heißesten Zeit des Tages ziehen sich die Vögel zurück und dösen. Wobei die Schlafplätze ebenfalls nach Hierarchie vergeben sind: „Das ist für uns Menschen schwer zu durchschauen, welchen Schlafplatz die Vögel aus welchen Gründen für den besten halten. Aber die Tiere haben natürlich das Gespür dafür – auch hier in der Voliere.“ Und können dafür schon mal die Krallen zeigen, wie Frieda gerade andeutet. Extra beschneiden müssen ihre Pfleger diese Krallen normalerweise nicht – denn Naturholzäste, lebende Pflanzen wie Bambus und vor allem die Seile hier im Käfig sollen dafür sorgen, dass sich die Krallen wie in der Natur von selbst abnutzen.Das weltweite Rettungs-Programm für diese Ara-Art Cyanopsitta spixii wird im Nordosten Brasiliens koordiniert. Dort wird auch ein international verbindliches Zuchtbuch geführt. Auch deshalb, weil in diesem typisch trockenen Gebiet am 5. Oktober des Jahres 2000 der letzte wild lebende Spix-Ara von der Bildfläche verschwand. Es war ein Männchen, das über viele Jahre in seinem speziellen Lebensraum beobachtet und geschützt worden war. Seit jenem Oktober 2000 gelten die Spix-Aras in freier Wildbahn als ausgestorben. Elf Jahre zuvor, 1989, hatte die brasilianische Umweltbehörde gemeinsam mit der Loro-Park-Stiftung ein Projekt begonnen, um diese Papageien zu retten und sie dann möglichst schrittweise wieder auszuwildern.Diese Hoffnung bewegt auch Dieter Rinke: Nach seinem Urteil starben die Aras in Brasilien aus, weil ihr Lebensraum dort stark zersiedelt wurde. „Und weil viele Tiere dieser Art, die im 19. Jahrhundert der Wissenschaftler Johann Baptist Ritter von Spix entdeckt hatte, gefangen wurden, um durch den Verkauf Geld zu verdienen“, erklärt Rinke. Heute leben demzufolge diese Vögel nur noch unter menschlicher Obhut, die meisten davon im Emirat Katar, im Nordosten der Arabischen Halbinsel. Spix-Aras sind etwa 20 Jahre lang fortpflanzungsfähig – die robustesten von ihnen können in der Voliere dann sogar über 30 Jahre alt werden.Laut Rinke gilt sein Brandenburger Schützling Frieda nun bis zum fünften Lebensjahr als Jungvogel. „Ungefähr ab diesem Alter werden die Tiere in menschlicher Obhut geschlechtsreif “. Schon vorher wird ihr Blut untersucht, um so einen passenden Partner innerhalb des internationalen Zuchtprogramms zu finden. Sei das gelungen, würden Männchen und Weibchen im Alter von zwei bis drei Jahren aneinander gewöhnt. Der ganze Prozess werde aber durch die kleine Gesamtpopulation von 68 Tieren erschwert – das Problem etwaiger „Inzucht“ sei ein in der Spix-Gemeinde viel diskutiertes: „Zu nahe verwandte Vögel dürfen nicht verpaart werden, weil dann die Jungen Deformationen zeigen können oder die Eier schon vorher absterben. Es kann auch bedeuten, dass die Vögel sich nicht optimal entwickeln“, so Rinke. „Das ist das Problem innerhalb dieses Programms, dass möglichst gute, also verschiedene und dennoch passende Eltern zueinander gebracht werden.“Vier Küken großgezogenMatthias Reinschmidt, seit 2001 Vogelkurator im „Loro-Parque“ und damit verantwortlich für die weltgrößte Papageien-Sammlung mit ihren 4.000 Exemplaren in 350 verschiedenen Arten und Unterarten, ist überzeugt, dass ihm genau dieses An-passen gelungen ist. Und weiterhin gelingt: Seit 2004 hat er bereits vier Spix-Ara-Küken mit eigener Hand großgezogen – Reinschmidt ist zugleich stellvertretender Zuchtbuchführer für alle Spix-Aras auf Erden: „Wir müssen da auf Nummer Sicher gehen. Deshalb nehmen wir das Gelege immer gleich in Obhut, damit da möglichst nichts schiefläuft.“ Generell sei das bei seltenen Papageien bewährte Praxis. „In der Wildbahn läuft das ja oft ganz ähnlich: Wenn ein natürlicher Feind wie zum Beispiel eine Schlange das erste Ei holt, legt das Paar recht schnell noch ein zweites. Das machen wir uns auch hier zunutze.“Spix-Ara „Nummer 44“ und seine Gefährtin zeigen auch jetzt, im Frühsommer, weiterhin lebhaftes Interesse an ihrem Nistkasten. „Doch werden sie vor der neuen Brutsaison, die ab Herbst beginnt, vermutlich nicht zu legen beginnen“, schätzt Reinschmidt. Aber gerade bei den Papageien wisse man das nie ganz genau – es könne auch schon in diesem Jahr wieder frohe Kunde aus der Bruthöhle kommen.Gibt es also Hoffnung für die Spix-Aras insgesamt? Matthias Reinschmidt strahlt zwischen all den Vogel-„Körbchen“, die seinen Schreibtisch im schattigen Büro der Papageien-Zuchtstation umgeben: „Die Perspektiven sind klasse.“ Bei den Spix-Aras könne man ähnlich erfolgreich sein wie beim kalifornischen Kondor: „Zunächst brauchen wir eine kritische Mindestzahl an Spix-Aras, hier mehr als 100 Exemplare.“ Dann ließen sich die Jungtiere über mehrere Generationen hinweg Schritt für Schritt wieder in der freien Natur ansiedeln und perspektivisch auswildern. „Wir glauben an die Liebe der Vögel. Wie gesagt – die beiden hier in der Bruthöhle, der Papa von Frieda und seine Partnerin, die zeigen solch differenzierte und tiefe Gefühle – die sind einfach zu intelligent, um auszusterben. Wir müssen ihnen nur beim Überleben etwas helfen.“
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