New York, 2017. Kriegsveteran Joe (Joaquin Phoenix) dringt in A Beautiful Day mit einem Hammer in der Hand in ein Bordell ein. Er will die halbwüchsige Tochter eines Senators befreien, die von einem hochkarätig besetzten Menschenhändlerring entführte wurde.
Washington, D.C., 4. Dezember 2016. Der 28-Jährige Edgar Maddison Welch stürmt in die Pizzeria Comet Ping Pong und schießt mit einer halbautomatischen Waffe um sich. Das Restaurant soll laut der im US-Wahlkampf entstandenen Verschwörungstheorie „Pizzagate“ das Hauptquartier eines Kinderschänderrings sein. Der kommuniziere in Pizza-Metaphern und niemand geringeres als Hillary Clinton soll ihm vorstehen. Verletzt wird niemand.
Es ist eher unwahrscheinlich, dass A Beautiful Day direkt vom Zwischenfall in der Pizzeria beeinflusst wurde. Doch die Ähnlichkeit der Ereignisse zeigt einmal mehr, wie sich Film und Realität überschneiden, wenn es um Verschwörungstheorien geht. Wenn aktuelle Konspirationsfantasien wie QAnon und Pizzagate nicht so zerstörerisch in die reale Welt übergreifen würden, wären sie die perfekte Vorlage für einen spannenden Thriller.
Ein Zufall, dass im Englischen das Wort „plot“ nicht nur eine Verschwörung, sondern auch die logische Verknüpfung einer Filmhandlung bezeichnet? Es gibt keine Zufälle, würden Verschwörungsgläubige jetzt entgegnen …
Plot im Plot
In den vergangenen Monaten, in denen im Zeichen von Corona Konspirationsvorwürfe eine neue Sumpfblüte erlebten, wurde die Funktion von Verschwörungstheorien in Forschung und Medien ausgiebig durchexerziert. Es gilt mittlerweile als Gemeinplatz, dass ihre Anhänger mit ihnen die Komplexität einer undurchschaubaren und gleichzeitig entzauberten Welt reduzieren. Durch die Erkenntnis, dass nicht der blinde Zufall, sondern eine kleine Gruppe von Menschen regiert, bekommen Komplottgläubige (die religiöse Metapher passt hier tatsächlich) bei aller hilflosen Wut das Gefühl, die Welt verstehen zu können.
Diese Einsicht liefert einen wichtigen Schlüssel zum Verständnis der Frage, was Verschwörungstheorien für Drehbuchautoren so beliebt macht. Denn Filmerzählungen, gerade im Genrekino, funktionieren auf eine ganz ähnliche Weise. Um komplexe gesellschaftliche Prozesse sichtbar zu machen, werden sie in Figuren verdichtet. Eine anonyme Macht lässt sich schlechter darstellen und greifen als ein finsterer Schurke – vom Auftraggeber des Protagonisten, der sich plötzlich als Drahtzieher der Konspiration herausstellt, über den anonymen Nachbarn, der sich als Terrorist entpuppt (Arlington Road) bis zum Comicsuperschurken, der souverän das Chaos beherrscht. Im Kino deckt der Held stellvertretend für den machtlosen Zuschauer die Konspiration auf und vernichtet die Spinne im Netz.
Nixon und Satan: die 70er-Jahre
Nachdem das Paranoia-Kino der 1950er-Jahre noch vor roten Invasionen zitterte – mal mehr mal weniger verklausuliert vom Mars oder aus dem Sowjetreich kommend –, wandte in den 70er-Jahren die kollektive Ängste verarbeitende Maschine namens Hollywood ihren Blick ins Innere. In den USA gärte es gewaltig in einer Gemengelage aus Watergate-Verunsicherung, Vietnamkriegs-Überdruss, Kennedy-Trauma und Auswüchsen der typisch amerikanischen politischen Kultur, die der US-Historiker Richard J. Hofstadter 1964 in einem einflussreichen Essay als „Paranoid Style“ bezeichnete: „Eigenschaften hitziger Übertreibung, Verdächtigungen und Verschwörungsfantasien.“
1976 beleuchtete Alan J. Pakula in Die Unbestechlichen den Watergate-Skandal, die Mutter aller Verschwörungen, die bekanntlich alles andere als eine Theorie war. Alan J. Pakula zeichnete minutiös und seriös die Recherchearbeit des Reporterduos Woodstein nach. Die Washington Post-Journalisten Bob Woodward (Robert Redford) und Carl Bernstein (Dustin Hoffman) deckten auf, dass Vertraute von Präsident Richard Nixon von dem Einbruch in das Hauptquartier der Demokratischen Partei im Gebäudekomplex Watergate wussten.
Doch Die Unbestechlichen bildet nur den Schlussstein von Pakulas sogenannter Paranoia-Trilogie der 70er-Jahre. Steckte 1971 in Klute noch eine simple Erpressung hinter einem Fall, den Privatschnüffler John Klute (Donald Sutherland) aufklären muss, wird 1974 Journalist Warren Beatty im gleichnamigen Film Zeuge einer Verschwörung und deckt auf, dass nicht ein Einzeltäter, sondern eine geheime Organisation einen Senator ermordete. Ein klassisches Motiv des Paranoia-Thrillers wie auch der Spekulationen rund um den Kennedy-Mord. Schon vor Watergate war in den USA den Autoritäten nicht mehr zu trauen.
1975 gerät Robert Redford in Die drei Tage des Condors als kleiner Fußsoldat der CIA ins Visier seiner eigenen Firma genommen, die hier als Staat im Staat agiert. Für die USA wohl noch ein zu heißes Eisen, bringt der Franzose Henri Verneuil 1979 mit I wie Ikarus die rund um die Ermordung von John F. Kennedy aufkeimenden Verschwörungsgerüchte auf die Leinwand, als Politallegorie in einem fiktiven Staat. Der filmische Verfolgungswahn trieb in den 70er-Jahren jenseits der Politthriller auch kuriose Blüten: In dem Horror-Reißer Vier im rasenden Sarg schrecken vier harmlose Späthippies (u.a. Easy Rider Peter Fonda) beim Campingurlaub Satanisten auf. Sämtliche Personen, die den Vieren in der Folge begegnen, entpuppen sich im Laufe der wilden Jagd als Teufelsanbeter.
In den 70er-Jahren bildete sich das bis heute gültige Strickmuster für Paranoiafilme heraus: Nichts ist, wie es scheint, niemandem ist zu trauen. Das Individuum ist verloren in Strukturen, die unpersönlich und undurchsichtig scheinen. Doch durch die Entdeckung einer Konspiration im Zentrum wird die Welt wieder sinnhaft und bei aller Hilflosigkeit (be)greifbar. Gut gehen allerdings die wenigsten Thriller aus. Der Held fällt meist den Verschwörern zum Opfer.
Milleniumspanik und „Men in Black“: die 90er
In den 80er-Jahren wird der Kalte Krieg durch die Nachrüstung wieder wärmer. Der Feind kommt im Kino wieder von außen. Die rote Flut heißt ein reaktionäres Guerilla-Spektakel aus dem Jahr 1984 von John Milius (Conan der Barbar). Doch nach der Erosion des Eisernen Vorhangs verlagerte sich die Suche nach einem Feind wieder nach innen. Oliver Stone, der heute vor allem mit wenig distanzierten Dokus über US-kritische Politiker (Castro, Putin, Morales) auffällt, aktualisiert 1991 mit JFK den Verschwörungsthriller der 70er-Jahre. JFK ist eine Art Dokufiktion-Version von I wie Ikarus, inszeniert mit aufklärerischem Furor. Kevin Costner beweist als Staatsanwalt, dass hinter dem Mord an John F. Kennedy nicht der Einzeltäter Lee Harvey Oswald stecken kann, sondern eine Verschwörung aus Mafia, Exil-Kubanern und tiefem Staat.
Im Laufe der 90er-Jahren verkommt die Verschwörung dann zu einem Handlungselement unter vielen anderen, das jedem simplen Thriller erzählerische Raffinesse und historische Tiefe verleihen kann. Am Ende der Dekade kommt es zu einem Boom von Konspirationsfilmen, befeuert von Millenniumsangst und „New World Order“-Paranoia, die bis heute bei Rechten nicht nur in den USA kursiert: Die globalisierte „Elite“ des Westens will das „Volk“ austauschen, mit Flüchtlingen oder Außerirdischen, also mit Fremden (Englisch: aliens) aller Art.
Die Sci-Fi-Schnurre Men in Black greift 1997 schon im Titel spielerisch eine populäre Verschwörungstheorie auf. In der US-Folklore tauchen nach jeder UFO-Sichtung Männer in schwarzen Anzügen auf, um Beweise einer geheimen Kooperation von Regierung und Außerirdischen zu vernichten. Auch Fox Mulder (David Duchovny) aus Akte X ist einer dieser schwarzen Männer – obwohl er gleichzeitig versucht, eine Verschwörung aus Aliens und US-Politik aufzudecken, die den großen Bevölkerungstausch planen. 1998 bekam die Kultserie einen Kinoableger spendiert, der die in der Serie als horizontaler Handlungsstrang angedeutete Zusammenarbeit der Regierung mit außerirdischen Kolonisatoren ausbuchstabiert.
Fletcher’s Visionen (Originaltitel: Conspiracy Theory!) ist 1998 der Höhepunkt postmodern-sorgloser Verschwörungsseligkeit. Jerry Fletcher (Mel Gibson) ist ein New Yorker Taxifahrer und Aluhutträger, der heute wohl auf die Hygiene-Demo gehen würde. Doch frei nach dem berühmten Motto „Nur weil ich paranoid bin, bedeutet das noch lange nicht, dass niemand hinter mir her ist“ wird Jerry von Männern in Schwarz gejagt. Denn natürlich ist er nicht (nur) verrückt, sondern ein von der CIA hirngewaschener Profikiller. Was zunächst als Parodie des Paranoia-Thrillers daherkommt, mit dem Wissen um die Geschichte und Ikonografie des Genres im Hinterkopf, wird zu einer Bestätigung des Konspirationsdenken ohne politische Substanz. Jerry ist der schmutzige kleine Genre-Bruder all der kritischen Journalisten, Beamten und Whistleblower der Filmgeschichte, die zuerst verlacht und dann verfolgt werden. Will Smith ist als Der Staatsfeind Nr. 1 in dem Hochglanzthriller von Tony Scott sein etwas ernsthafterer Vetter.
Als Kultfilm gilt seit 1999 bei rechten Verschwörungstheoretikern Matrix. Die Matrix, aus der nur eingeweihte Erlösergestalten wie Neo (Keanu Reeves) ausbrechen können, ist die Supermetapher für eine Welt, in der die Menschen von Politik und Medien im Tiefschlaf gehalten werden und nur am Leben bleiben dürfen, um die Maschine zu füttern. Nur wer die Rote Pille schluckt, erkennt die Wahrheit. Auch das ist eine Metapher, die sich unter Verschwörungsanhängern verselbstständigt hat.
Post-9/11
Spätestens nach den Anschlägen am 11. September 2001 war Schluss mit postmoderner Spielerei. Während Verschwörungen erst einmal aus dem Kino verschwanden, erlebten sie in der Realität eine Hochkonjunktur. Da es nicht sein konnte, dass eine Handvoll Terroristen mit Teppichmessern der einzig verbliebenen Supermacht eine solch monströse Wunde beizubringen vermochten, wucherten bald nach den Terrorakten Verschwörungstheorien: Der tiefe Staat habe die Türme gesprengt, um einen Vorwand für Interventionen im Nahen Osten zu haben.
Hollywood widerstand der Versuchung, Kapital aus den Konspirationsvorwürfen zu schlagen. Auch nach der NSA-Affäre, die tatsächlich so eine Art Verschwörung des Staates gegen die Bürger aufdeckte, kam es komischerweise zu keinem neuen Boom simpler Verschwörungsthriller. Haben uns die inflationär genutzten Bilder all der Überwachungskameras abgestumpft, die in jedem Tatort ohne großen Verwaltungsaufwand von der Polizei angezapft werden können? Nur der unverwüstliche Oliver Stone reagierte und baute dem Whistleblower Edward Snowden ein filmisches Denkmal.
Im neuen Jahrtausend gaben sich Kriegs- und Actionfilme Mühe, stilistisch die Unübersichtlichkeit der neuen, multipolaren Welt abzubilden; mit flirrenden, keine räumliche Orientierung ermöglichenden Handkameras und Epileptikerschnitt. Aber auch hier überlebte unterschwellig das komplexitätsreduzierende Verschwörungsdenken. In Syriana etwa will die CIA einen reformfreudigen Prinzen in einem namenlosen Nahoststaat loswerden, da durch ihn die Ölinteressen der USA in Gefahr sind. In der Bourne-Trilogie, dem Goldstandard der neuen Desorientierungsthriller, entpuppt sich der amnestische Titelheld als Musterschüler einer geheimen CIA-Einheit, die ihn nun ausschalten will.
Nachfolger der klassischen Paranoia-Thriller gibt es im 21. Jahrhundert vereinzelt, zum Beispiel Die Dolmetscherin des Die drei Tage des Condor-Regisseurs Sydney Pollack. Selbst im Marvel-Universum fand die Paranoia-Ästhetik Eingang, etwa in Captain Americas zweitem Abenteuer Winter Soldier mit Condor-Star Robert Redford als Gast. Ein reifer Nachfolger der 70er-Politthriller ist The International von Tom Tykwer, entstanden 2009, kurz nach der Finanzkrise. Eine Bank lässt Whistleblower umbringen, die über die Verwicklungen des Instituts in Waffengeschäfte auspacken wollen. Am Ende wird der korrupte Vorstandsvorsitzende zwar ermordet, die Geschäfte gehen aber weiter. Die Lektion: Das ganze System ist verrottet, nicht nur einzelne Akteure, die diabolisch lachend im Hinterzimmer hocken.
Die Superschurken, die Verschwörungstheoretiker heute hinter jeder Ecke vermuten, haben ihre filmischen Doubles eher im Blockbusterkino. Altgediente Franchises wie Batman oder James Bond orientieren sich zwar bei ihren jüngsten Häutungen – die Dark Knight-Trilogie von Christopher Nolan und Daniel Craigs Amtszeit als 007 – an der neuen Ernsthaftigkeit von Bourne und Co. Doch im Herzen der Story steuern weiter die hyperintelligenten, larger-than-life-Schurken die Ereignisse, vom Dark Knight-Joker bis zum Bond-Widersacher Silva in Skyfall. Sie lenken ihre Operationen mit chaos- und spieltheoretischen Tricks. Wer die hyperkomplexe Welt beherrschen will, muss das Chaos beherrschen, in dem er sich dessen Regeln anpasst und mit ihnen spielt.
Kommentare 23
Interessante Idee. Gesellschaftskritische Filme gehören in den Giftschrank – weil sie den Rechten nützen.
Sicher – man kann den Narrativ, das neoliberal das neue links ist, akzeptieren und sämtliche Abweichungen oder gar Infragestellungen herrschender Doktrinen folgerichtigerweise rechts. Rein logisch gesehen könnte man jedoch ebenso die These aufstellen, dass rechts mittlerweile links ist und links folgerichtigerweise rechts. Die Begründung ergäbe sich nicht nur aus der Feststellung, dass das neoliberale System in den Jahrzehnten seiner Existenz nicht besser geworden ist, sondern auch daraus, dass die Rechten den alten Herrschaftskritik-Narrativ der Linken mittlerweile übernommen haben – während sich die Linke, ein paar Ausnahmen bestätigen lediglich die Regel, durch die Bank herrschaftsaffirmativ verhält.
Noch plausibler erscheint mir allerdings eine dritte Erklärung: Feststellung zwei stimmt lediglich auf der Oberflächenebene. Da der Kern des hier zur Debatte stehenden Problems die links-neoliberale Anmaßung ist, für die gesamte Linke zu sprechen, die Linke umgekehrt mit den Links-Neoliberalen in einem Bündnis gegen Rechts steckt, kann es nur darum gehen, entsprechende Anmaßungen der Links-Neoliberalen zurückzuweisen und auf einer kritischen Sichtweise gegenüber Staat und Gesellschaft weiterhin zu bestehen.
Konkret bedeutet dies: Ein Großteil der hier als Verschwörungswerke hingestellten Filme ist nicht nur fachlich-thematisch herausragend. Die Unbestechlichen, Klute, JFK und weitere Filme des »New Hollywood« waren ursächlich mit daran beteiligt, die Kritik an gesellschaftlichen Zuständen (wie zum Beispiel Watergate) zu formulieren. Darüber hinaus sind sie auch wichtige Dokumente des kulturellen Aufbruchs der Sechziger und Siebziger. Bemerkenswert finde ich einen weiteren Denkfehler: Wenn die filmische Flankierung der Watergate-Aufdeckung (»Die Unbestechlichen«) ein verschwörungstheoretisches Konstrukt ist, ist der von der Nixon-Administration angeordnete Einbruch ins Hauptquartier der Demokraten folgerichtigerweise nicht zu beanstanden. Entsprechend müßte der Autor auch Kritik an der derzeitigen Trump-Gesellschaft (wie sie beispielsweise der Dokumentarfilmer Michael Moore tätigt) über denselben Leisten scheren – was dann allerdings zu der Schlussfolgerung führen würde, dass (vorgeblich) links-neoliberale Kulturkritik selbst extrem rechte Positionen stützt.
Ich glaube nicht, dass der Autor sich dieser Implikation bewusst ist. Vielmehr sehe ich hinter dem Text eine extrem staats-unkritische respektive obrigkeitshörige Grundhaltung – die durchaus auch Wasser auf die Mühlen der Rechten sein kann.
Dem dummen Volk muss man vorschreiben, wie es zu denken hat. Wie sollten es auch richtig wählen. Andersdenkende sind immer Verschwörungstheoretiker, mal von den echten Spinnern abgesehen. Von der Sowjetunion lernen heißt daher siegen lernen (Psychiatrie, siehe Mollath).
Lieber Sebastian Milpetz, "Stockholm Syndrom" ist behandel- und heilbar!
Ich hab das auch schon oft gedacht, wenn ich beim Anschauen einiger der o.g. Thriller war, dass da i.G. Verschwörungstheorien geplottet werden. Ich werde mir aber - falls es ihn jemals geben sollte - den nächsten Jason-Bourne-Film trotzdem angucken, und er wird mir Spaß machen. Und was die geschätzten Vorredner hier so dem Autoren unterstellen (Giftschrank, Denkverbot, Stockholmsyndrom) ist natürlich albern, steht nicht im Text und erinnert an die Worte, die man sich anhören muss, wenn man im öffentlichen Raum jemanden ohne Stoff im Gesicht um etwas mehr Abstand bittet.
Will Smith in "Der Staatsfeind Nr. 1" ist übrigens keine mit Jerry Fletcher vergleichbare Figur. Einen großen Teil der Dauer der Handlung über leugnet er nämlich vehement die Existenz einer Verschwörung. Auch dass der Autor "Fletcher’s Visionen" und "Syriana" in einen Topf wirft, ist nicht unbedingt ein Symptom für "Filmexpertentum". Der Clooney-Film behandelt ein Thema, das nicht ganz so "theoretisch" ist wie suggeriert werden soll. Somoza, Suharto, Pinochet und die afghanischen Warlords waren Schweinhunde - aber "unsere Schweinehunde", wurden also verdeckt bis offen unterstützt. Präsident Patrice Lumumba, der im Kongo die westlichen privaten Bergbau- und Agrargesellschaften enteignen und verstaatlichen wollte, ist unter aktiver Mithilfe belgischer, amerikanischer und britischer Stellen weggeputscht und ums Leben gebracht worden. Derartige Beispiele gibt viele. Über Nawalny könnte man auch einen Verschwörungsthriller drehen, dessen Plot nicht völlig aus der Luft gegriffen wäre.
Der Artikel hier ist viel zu verliebt in die eigene These. Dass auf der Rechten Filme wie Matrix "Kultfilme" werden, tja, shit happens. Denen passt alles, was für ihre Zwecke rundgelutscht verwendet werden kann - sogar Memes marxistischer Kapitalismuskritik. Das kann man in der Popkultur bis in die 1920er oder noch weiter zurückverfolgen.
Ein großer, wenn nicht der größte Bereich genre-film-mäßiger Verschwörungsplots wird leider gar nicht erwähnt: die TV- und Streaming-Serien. Die Bösewichter in diesem Kosmos sind allesamt arabische, chinesische, nordkoreanische, russische, kubanische, gern auch mal venezolanische blutdürstige und hinterhältige Sadisten, deren Auftraggeber daheim nur ein Ziel haben: soviele brave Amerikaner wie nur möglich umzubringen. Manchmal sind es auch feige linke Politikwissenschaftsprofessor:innen, die Student:innen indoktrinieren, mit Bomben im Rucksack loszuziehen.
Mein Lieblings-Verschwörungsthriller ist "2 Guns", eine Comic-Verfilmung. Mark Wahlberg und Denzel Washington juxen und ballern sich durch den Film und sorgen dafür, dass nicht alles so ernst genommen werden kann. Die Bösewichter-Crew setzt sich aus einem Drogen-Baron, einem CIA-Schwarzgeldbeschaffer und einem in die eigene Tasche scheffelnden Militärgeheimdienstmann zusammen. Der CIA-Mann, der direkt der Real-Verschwörung, die zur Iran-Contra-Affäre führte, entstammen könnte, sagt an einer Stelle zu dem Drogenbaron: "Es ist ein freier Markt, Papi, keine freie Welt." Trotzdem wird wohl niemand nach Anschauen des Films der Meinung sein, dass mit Knarren in beiden Fäusten der Kapitalismus wirksam bekämpft werden kann.
++ Als Kultfilm gilt seit 1999 bei rechten Verschwörungstheoretikern Matrix. Die Matrix, aus der nur eingeweihte Erlösergestalten wie Neo (Keanu Reeves) ausbrechen können, ist die Supermetapher für eine Welt, in der die Menschen von Politik und Medien im Tiefschlaf gehalten werden und nur am Leben bleiben dürfen, um die Maschine zu füttern. Nur wer die Rote Pille schluckt, erkennt die Wahrheit. Auch das ist eine Metapher, die sich unter Verschwörungsanhängern verselbstständigt hat.++
Darüber gabs dieses A-Z mal beim Freitag.
Ich hab damals ein paar Zeilen gescshrieben über "Welt am Draht" von Rainer Werner Fassbinder, der ein ähnliches Thema behandelte.
https://www.freitag.de/autoren/der-freitag/a-z-matrix
"Welt am Draht 1973 gedreht von Rainer Werner Fassbinder, entstand nach dem Science-Fiction Roman Simulacron 3 von Daniel F. Galouye. Auf ihn wird oft als Vorgänger der Matrix-Filme verwiesen, die zwar nicht nach diesem Roman entstanden, aber ein ähnliches Thema behandeln.
Als ich die grandiosen Folgen im „Westfernsehen“ sah, beschäftigte mich der „Erkenntnisschrecken“ der digitalen „Geschöpfe“, nichts als Programme zu sein. Die verzweifelte Suche nach Wirklichkeit empfand ich als Gleichnis für reale Ängste in einer unsicheren Welt. Michael Ballhaus führte Kamera und neben Klaus Löwitsch war die Crème de la Crème der deutschen Schauspielkunst zugange. (➝ Hauptrolle) Ein Meisterwerk und sehr kapitalismuskritisch. In der DDR herrschte starker Fortschrittsglaube. Skepsis angesichts mancher wissenschaftlich-technischer Entwicklungen galt eher als destruktiv. Es gab aber Philosophen, die sich mit Erkenntnis und Täuschung beschäftigten. "
Richtig. Die Matrix kann man so deuten. Ich sehe den Fight Club ebenfalls als Schlüsselfilm der 90iger, wo mit einer eingeschworenen Testosterongemeinschaft totalitäre Politik ins Werk gesetzt wird, um die Welt von den Weibern und anderen Weicheiern zu befreien.
Dass sich Fiktion und Realität, bzw. deren Interpretation durch entsprechende Gruppen, gegenseitig befruchten, ist absolut vorstellbar. Das trifft auf verschiedene Genres zu. So wird z. B. die Netflixserie „The Walking Dead“ auch als Allegorie auf den durch die Finanzkrise verursachten, schweren Wirtschaftseinbruch (und damit verbundene Ängste vor einem Zusammenbruch der ganzen Zivilisation) betrachtet. Von einer politischen Zuordnung einzelner Filme, so im Stile von: Den finden natürlich nur Rechte gut- und den nur Linke (z. B. „V wie Vendetta“?)- würde ich absehen. Damit wird nur die Verdachtsgesellschaft gefördert, wo jeder und jede hinter jedem Eck einen politischen Feind wittert. Alle der in den vorangegangenen Kommentaren so bezeichneten Filme waren- bis auf Fight Club, der erst posthum als DVD ein Erfolg wurde- in allererster Linie Blockbuster an der Kinokasse. Das bedeutet, dass sie einem breiten Publikum gefallen haben.
Dass die Filmkunst nur dann Erfolge einfahren kann, wenn sie es versteht, auf der Klaviatur bereits vorhandener Emotionen und Strömungen in der Gesellschaft zu spielen, versteht sich eigentlich von selbst. So wäre es z. B. undenkbar, dass „Easy Rider“ heute an der Kinokasse wieder ein ähnlich durchschlagender Erfolg würde, wie 1969, weil nur schon Verbrennungsmotoren nicht mehr angesagt sind. Und Nonkonformismus schon gar nicht.
"In den vergangenen Monaten, in denen im Zeichen von Corona Konspirationsvorwürfe eine neue Sumpfblüte erlebten, wurde die Funktion von Verschwörungstheorien in Forschung und Medien ausgiebig durchexerziert. Es gilt mittlerweile als Gemeinplatz, dass ihre Anhänger mit ihnen die Komplexität einer undurchschaubaren und gleichzeitig entzauberten Welt reduzieren."
"Es gilt mittlerweile als Gemeinplatz, dass ihre Anhänger mit ihnen die Komplexität einer undurchschaubaren und gleichzeitig entzauberten Welt reduzieren."
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"Es gilt mittlerweile als Gemeinplatz, dass ihre Anhänger mit ihnen die Komplexität einer undurchschaubaren und gleichzeitig entzauberten Welt reduzieren."
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in dem einen satz steckt die ganze, leicht bescheuerte absurdität der antiverschwörungstheorieartikel der letzten monate drin, finde ich! der reduziert etwas komplexes zu einem leicht verdaulichen gemeinplatz, während er genau das dem beobachteten objekt vorwirft.
ansonsten habe ich den artikel ganz gern gelesen. ich hoffe nur, der zweck der übung ist nicht, dass die erwähnten filme nun auf cancel-listen landen oder gar locker flockig zurechtzensiert werden, bis sie gar keine lesart mehr anbieten.
"Als Kultfilm gilt seit 1999 bei rechten Verschwörungstheoretikern Matrix."
ich finde matrix 1 auch kult. vielleicht ist es sogar DER film der 90er für mich. bestimmt aber top 10. und nun krieg das mal mit dem "gemeinplatz" oben in deckung, ohne in bezug auf mich in deiner antiverschwörungstheorie-verschwörungstheorie zu versacken. viel spaß.
Wer „Matrix“ (Teil 1) oder noch viel mehr Finchers „Fight-Club“ in Bezug zum Faschismus setzt und das damit begründet, dass auch Faschisten diese Filme mögen, wird nicht drum herumkommen auch diesen anderen „Lieblingsfilm“ von Faschisten oder diese auch bei Faschisten beliebte Musikcombo, als faschistisch zu denunzieren.
Taxi driver, Ein Mann sieht rot, Der Pate, Apocalypse Now, Deer Hunters, Seven und wie sie alle heißen. Sie alle verströmen ungeachtet irgendwelcher guter Absichten die Faszination der ultimativen Macht und der Anomie. Was auch immer die Autoren damit bezweckten, es hat nie die vielen Jungs erreicht, die bei den einschlägigen Szenen im Kino aufjohlten.
Was haben Ton, Steine, Scherben damit zu tun?
riecht es hier nach der die-pöhsen-computerspiele-machen-amokläufer-debatte von seehofer & co?
und wenn die querdenker, die identitären oder wer plötzlich ein lied der scherben in ihre playlist packen, dann müssen die scherben natürlich auch weg, wenn man sich schon mal eingelassen hat auf diese denke.
ich würde empfehlen, den hier noch schnell zu gucken oder - immer besser - das buch zu lesen:
https://de.wikipedia.org/wiki/Fahrenheit_451
https://www.newyorker.com/news/news-desk/the-shifting-symbolism-of-the-gadsden-flag
es geht in dem artikel nicht direkt um filme, sondern um sich verändernde bedeutungen von symbolen. ich halte "kultfilme" im gegensatz zu gewöhnlichen für solche symbole, deshalb poste ich es hier mal.
ja, da muß man sich laut wehren, bevor die "guten" barbaren eine kulturverbrennung starten.
"Verströmten" Ton, Steine, Scherben ebenfalls "die Faszination der ultimativen Macht und der Anomie", oder war es vielleicht doch der bisexuelle Charme ihers Leadsängers, der ihre Beliebtheit bei Nazis auslöste?
Fragen über Fragen.
Vielleicht argumentierst Du mal an der Sache, anstatt beliebig "verströmen" zu lassen.
Das war nicht meine These sondern die von dem Liberalala.
"Das war nicht meine These sondern die von dem Liberalala."
liberalala? ich jetzt? na, immerhin müssen sie mich nicht rechts nennen, um sich weiter wohl zu fühlen.
Ja aber was haben denn nun die Scherben mit der amerikanischen Lust an der Grausamkeit zu tun? Du hast die doch in diese Reihe gestellt.
das war übrigens zack, der die scherben zuerst erwähnte. die nun wurden genauso im sommer auf querdenkenevents gespielt, wie dort z.b. auch der song bandierra rossa in einer umfta-popversion großen anklang fand. diese kreise versuchen sich - auch in ermangelung einer eigenen - an der übernahme von kultur.
dass, wie die "rechten filme" im artikel hier, auch die scherben und alle musik, die sich die rechten sonst noch borgen zu "rechter musik" umgewidmet werden, liegt leider nahe.
ich finde, dass man seine lieblingsfilme, -bands, -bücher verteidigen muß gegen die übernahme durch rechte, aber auch gegen simplifizierende "rechts"kategorisierungen, wie sie hier im artikel anklingen. denn beides haben die lieblinge nicht verdient.
Bis in die 90iger hätte ich mich selbst als "Cineast" bezeichnet und verstehe was Du meinst. Ich verehre Quentin Tarantino. ABER: all diese Werke waren von Anfang an zweischneidige Schwerter weil sehr viele Menschen kein Verständnis für Arthouse aufbringen.
wer kann schon sagen, dass er "verständnis für arthouse" hat? und würde ich dem- oder derjenigen nach der anmaßung noch irgendetwas glauben?
aber was bedeutet dieses "zweischneidig", du sagst es wiederholt? soll "kunst" also einschneidig sein? korrekt? und wer definiert das dann in einer demokratie? wo ist die grenze, was wird aus dem kram dahinter?
mir fiel noch "der fänger im roggen" ein. john lennons mörder bezog sich auf das buch, der una-bomber und einige amokläufer auch. was macht das aus dem buch? in der logik des artikel ein amokläufer-terroristenbuch. muß es nun bald weg?
das problem ist nicht die vielschneidige kunst! nie gewesen und auch heute nicht. und ein nachdenken über schöne, harmlose kunst und ein verbot der anderen wird gar nichts verbessern. im gegenteil.
Die schiere Masse der Gewaltdarstellungen und Helden-Mythologien ist an uns allen nicht spurlos vorbeigegangen. Wir erkennen das in jedem Bild vom 6. Januar aus Washington D.C. Ich behaupte, dass sehr viele von diesen "Revolutionären" ein Problem mit der Trennschärfe zwischen innerer und äußerer Welt haben.
das mag vielleicht so sein. aber die wachowskis, scorcsese oder tarantino verantwortlich machen zu wollen für die ereignisse am capitol zeugt doch von ganz ähnlichen trennschärfeproblemen, mit verlaub.
genau so wenig wie die scherben verantwortlich sind dafür, dass der bundestag von 3 (drei!) polizisten bewacht wird, während ein mob den sturm auf diesen angesagt hat.