Die Sache mit den Seerosen

Update Dennis Meadows´ "Grenzen des Wachstums - Teil drei": Überarbeitet, aktualisiert und - alles beim Alten

Dass es in einer endlichen Welt Grenzen wirtschaftlichen Wachstums gibt, dass nichterneuerbare Ressourcen irgendwann zur Neige gehen, dass die ökologische Belastbarkeit der Erde Grenzen kennt, das alles zweifelt heute niemand mehr ernsthaft an.

Aber das war nicht immer so. Erst das Buch die Grenzen des Wachstums verhalf diesen Einsichten 1972 zum Durchbruch im öffentlichen Bewusstsein. Mit Hilfe des Computerprogramms World3 erstellte ein 17-köpfiges Forscherteam um den gerade mal 28 Jahre alten Systemanalytiker Dennis Meadows im Auftrag des Club of Rome, einer nichtkommerziellen Organisation, die sich mit globalen Fragen auseinandersetzt, zwölf Szenarien globaler Entwicklung bis zum Jahr 2100.

Das Ergebnis der meisten war erschreckend und zutiefst beunruhigend: Die Grenzen des wirtschaftlichen Wachstums werden irgendwann im 21. Jahrhundert erreicht werden, da die nichterneuerbaren Ressourcen zur Neige gehen und das globale Ökosystem überbeansprucht wird. Und das mit verheerenden Folgen: Durch Nahrungsmittelknappheit schrumpft die Weltbevölkerung, der Lebensstandard wird erheblich sinken. Nur rechtzeitige, tiefgreifende Veränderungen auf allen Ebenen - politischen, institutionellen, kulturellen und technischen - könnten dem, so Meadows, entgegenwirken. Veränderungen hin zu einer zukunftsorientierten, nachhaltigen Gesellschaft. Die Grenzen des Wachstums wurde schnell zum viel- und kontrovers diskutierten Bestseller, in 37 Sprachen übersetzt und weltweit über 12 Millionen Mal verkauft.

20 Jahre später erschien Die neuen Grenzen des Wachstums (1992), der zweite Band des Meadowschen Projekts. Sah das Forscherteam noch 1972 einen gewaltigen Spielraum menschlichen Handelns, um ein Überschreiten der "natürlichen Tragfähigkeit der Erde" zu vermeiden und dem drohenden "Zusammenbruch der Gesellschaft" zu entgehen, so formulierte es jetzt weitaus alarmistischer. Meadows analysierte zusammen mit seinem Team die globale Entwicklung der letzten zwei Dekaden, aktualisierte das Computermodell World3 und kam zu dem schockierenden Ergebnis, dass die Grenzüberschreitung nicht mehr zu verhindern - sondern bereits Realität sei. Das Ziel könne also nunmehr nur noch Schadensbegrenzung sein, die mit gewaltigen politischen und sozialen Anstrengungen einhergehe.

Und heute, über 30 Jahre nach Erscheinen des ersten Bandes? Der so genannte "ökologische Fußabdruck", also die Fläche, die der Mensch zur Befriedigung all seiner Bedürfnisse benötigt, übersteigt die Tragfähigkeit der Erde um 20 Prozent, die Getreideproduktion pro Kopf ist seit 1985 rückläufig, die gegenwärtige Konzentration von Kohlendioxid und Methan in der Erdatmosphäre ist weitaus höher als in den letzten 16.000 Jahren. Und das sind nur einige wenige Grenzen, die der Mensch bereits überschritten hat. Nach wie vor ist die Nutzung fossiler Brennstoffe nicht nachhaltig, ebenso die Grundwassernutzung, der Umgang mit dem tropischen Regenwald und überhaupt dem gesamten Ökosystem. Dies alles konstatiert Meadows, inzwischen Leiter des Instituts für Politik und sozialwissenschaftliche Forschung an der University of New Hampshire, in seinem Grenzen des Wachstums - Das 30-Jahre-Update.

Als treibende Kraft der Überbeanspruchung globaler Kapazitäten entlarvt er erneut das exponentielle Wachstum der Menschheit und damit einhergehend auch der Weltwirtschaft. Das ist zwar richtig, heute aber wahrlich kein neuer Gedankengang mehr. Um die Schnelligkeit dieses verheerenden Wachstums zu verdeutlichen, wirft Meadows mit Beispielen und graphischen Darstellungen nur so um sich. Das berühmte Gleichnis von den Seerosen geht dabei leider beinahe unter: "Eines Tages bemerken Sie, dass auf Ihrem Teich eine einzelne Seerose wächst. Sie wissen, dass die Seerose täglich ihre Blattfläche verdoppelt. Sie erkennen auch, dass die Pflanze in 30 Tagen den gesamten Teich bedecken und dadurch alle Lebensformen im Wasser ersticken würde, falls Sie nicht eingreifen ... Am 29. Tag wäre der Teich zur Hälfte bedeckt und am nächsten - nach einer letzten Verdopplung - völlig zugewachsen." Wie einfach und schnell die große Gefahr exponentiellen Wachstums unterschätzt werden kann, verdeutlicht kein Beispiel besser als eben dieses. Da wirken die vielen anderen einfach nur wie ein unnötiger Anhang.

Nachdem Meadows eingehend auf die fehlende Nachhaltigkeit und ihre Ursachen eingegangen ist, befasst er sich in einem weiteren Kapitel ausgiebig mit World3, dem besagten Computermodell, mit dessen Hilfe die Szenarien globaler Entwicklung erstellt werden. Als hätten ihm die Kritiker zu sehr zugesetzt, muss er ein ums andere Mal gebetsmühlenartig wiederholen: Nein, World3 hat nicht den Anspruch, das Weltgeschehen vorherzusagen, mit seiner Hilfe werden lediglich Szenarien erstellt, die zur "Grundlage für Diskussionen" dienen sollen, "Bilder, wie die Entwicklung im 21. Jahrhundert ablaufen könnte".

Das Verwunderlichste an dem Systemanalytiker ist sein ausgeprägter Optimismus in Bezug auf die Zukunft der Menschheit. Obwohl die Mehrzahl der nur halbwegs realistischen Szenarien auf einen Zusammenbruch, gar einen Kollaps der Gesellschaft hindeuten, hält Meadows, ungeachtet seiner Erfahrungen der zurückliegenden Jahrzehnte, an einem schier unerschütterlichen Glauben an den Menschen und das jetzige sozioökonomische System fest. Aufgrund seiner Strukturen, seines Wachstumsstrebens und kurzfristigen Denkens wird es zwar als verantwortlich für die zerstörerische Nicht-Nachhaltigkeit gezeichnet. Trotzdem hält Meados einen Strukturwandel für möglich: dazu müssen sich die Menschen einfach nur freiwillig dazu entschließen, weniger Kinder zu bekommen und aufhören, nach mehr und mehr Wohlstand zu streben, nein, ganz im Gegenteil, sogar auf Wohlstand verzichten. Wie gesagt: Freiwillig. Auch hierfür entwickelt das Team mehrere Szenarien. Die Grundprämisse für den bereitwilligen Selbstverzicht ist natürlich nichts weniger als eine gigantische Umverteilung zwischen Nord und Süd, um die Armut zu bekämpfen, denn: "Mehr Menschen, mehr Armut, noch mehr Menschen". Nur leider scheint die Staatenwelt des 21. Jahrhunderts genau so wie die der vorigen Jahrhunderte nicht annähernd an einer Umverteilung interessiert zu sein, ein winziges Problem, das Meadows schlicht und ergreifend ausklammert.

Es ist zum Haare raufen: Da kämpft dieser Mann seit über 30 Jahren für einen tief greifenden Sinneswandel der Menschheit und muss aufgrund zunehmend alarmierenderer Daten in jedem aktualisierten Band immer dringlicher warnen - und versteift sich dennoch darauf, das herrschende System könnte die menschlichen Probleme am besten lösen. Das hat etwas von blinder Sturheit, von einem Festhalten, um nicht verzweifeln zu müssen. Meadows will nichts vorhersagen, tritt aber wie ein Prophet einer ungeheuren Umwälzung auf: "Wie die anderen großen Revolutionen wird auch die bevorstehende Revolution zur Nachhaltigkeit das Antlitz der Erde und die Fundamente menschlicher Identität, Institutionen und Kulturen verändern."

Trotzdem: Die große Leistung Meadows besteht in der beharrlichen Warnung der Menschheit vor den Folgen ungezügelten menschlichen und wirtschaftlichen Wachstums, die er mit Hilfe seiner Szenarien und Graphiken eindringlich demonstriert. Nur ist diese Warnung eben nicht mehr neu und das Wissen um die begrenzte Tragfähigkeit der Erde längst teil gesellschaftlichen Bewusstseins. Wahrscheinlich hatte Prinz Hassan von Jordanien, der Präsident des Club of Rome, recht, als er in einem Interview auf die Frage, ob es denn noch einen dritten Band der Grenzen des Wachstums geben werde, antwortete: "In den letzten Jahrzehnten sind viele Zukunftsszenarien entworfen worden, die einen "Wachrütteleffekt" zum Ziel hatten. Das meiste, was es in diesem Kontext zur Zeit zu sagen gäbe, ist inzwischen schlichtweg schon gesagt worden."

Donella Meadows, Dennis Meadows, Jorgen Randers: Grenzen des Wachstums: Das 30-Jahre-Update. Signal zur Umkehr. Hirzel, Stuttgart 2006, S., 29 EUR


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