Keine Pirouetten und Kapriolen mehr

Deutschlands Präsidentschaft im UN-Sicherheitsrat Die Zeit für eine wenig professionelle Diplomatie sollte vorbei sein

Im Herbst wurde Deutschland für zwei Jahre in den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen gewählt. Schöner - so fanden manche - wäre nur noch ein permanenter Sitz in diesem erlauchten Gremium. Helmut Kohl lacht sich vielleicht ins Fäustchen, wenn er Gerhard Schröder und seine Crew heute in der Irak-Debatte lavieren sieht: Der UN-Sicherheitsrat erschien Kohl schließlich so suspekt, dass er Mitte der neunziger Jahre Geheimverhandlungen mit den fünf Vetomächten über einen permanenten deutschen Sitz platzen ließ.

Der Sicherheitsrat ist tatsächlich eine Schlangengrube. Jagdish Koonjul, der Botschafter des Inselstaates Mauritius, erklärte im November einigen Journalisten, sein Land habe sich noch nicht für oder gegen die amerikanische Irak-Resolution entschieden. Er wurde sofort abgezogen. Offenbar hatte er das Abkommen seiner Regierung mit den USA aus dem Auge verloren. Darin steht, dass Mauritius »keine Aktivitäten unternimmt, die den außen- und sicherheitspolitischen Interessen der USA zuwiderlaufen«. In Washington nimmt man das wörtlich: Als Jemen 1990 im Sicherheitsrat gegen den Militäreinsatz der Golfkriegsallianz im Irak stimmte, strichen die USA dem arabischen Staat umgehend 70 Millionen Dollar Hilfsgelder.

Die Bundesrepublik Deutschland, die im Februar den Vorsitz des Sicherheitsrats inne hat, ist aus anderen Gründen erpressbar. Ihre Diplomaten in New York stehen vor einer scheinbar unlösbaren Aufgabe: Man erwartet von ihnen, dass sie sich gegen einen voreiligen Kriegsbeschluss einsetzen. Zugleich soll die deutsche Diplomatie die Beziehungen zu Washington wieder auffrischen helfen. Den USA fällt es entsprechend leicht, Kanzler Schröder innenpolitisch unter Druck zu setzen.

Glücklicherweise deckt Frankreich vorerst den größeren europäischen Bruder, doch vor einer Überbewertung dieser Haltung sei ausdrücklich gewarnt, das deutsch-französische Passspiel ist in New York bei weitem weniger druckvoll als in Brüssel. Frankreich hielt es zum Beispiel nicht für nötig, Deutschland davon zu unterrichten, dass es den Auftritt der Außenminister am 20. Januar im Sicherheitsrat als Plattform für einen Frontalangriff auf die amerikanische Irak-Politik nutzen würde. Auch wenn Jacques Chirac und Gerhard Schröder derzeit vereint auftreten: Paris hat andere Interessen als Berlin, zum Beispiel an den irakischen Ölfeldern. Niemand im UN-Hauptquartier würde Wetten abschließen, wie sich die Franzosen verhielten, sollten ihnen die USA eine Frist setzen, um sich letztlich doch einem Militärschlag anzuschließen.

Bisher lässt sich der deutschen Politik im Sicherheitsrat wenig handwerkliches Geschick bescheinigen - das gilt für die Diplomaten vor Ort, aber noch mehr für ihre Vorgesetzten in Berlin. Wer sich in dieses Gremium wählen lässt, sollte einige Regeln beachten. Der Sicherheitsrat hat nichts mit dem Deutschen Bundestag zu tun. Wer mit viel Getöse, großen Versprechen und Vorwürfen auftritt, erreicht am East River nichts, vor allem, wenn man die eigene Position ständig ändert. Die Uhren im Sicherheitsrat gehen anders als die in der Europäischen Union.

Ein Grundprinzip, das nie übersehen werden sollte, ist die Eitelkeit und Arroganz der fünf Vetomächte. Deutschland kann sich als Mitglied auf Zeit keinen Frontalangriff leisten, sondern muss Vorschläge einbringen, bei denen alle das Gesicht wahren können. Die Resolution 1441 war in dieser Hinsicht ein Meisterwerk. Vielleicht gilt es bald - und nach der Zwischenbilanz von Hans Blix über die Waffeninspektionen im Irak ist das nicht auszuschließen - den USA eine Lösung anzubieten, bei der George Bush nicht das Gesicht verliert, wenn er seine Truppen wieder vom Persischen Golf abzieht. Das ist keine attraktive Mission, doch die Alternative könnte Krieg heißen. Ein Angriff auf das Machtmonopol der fünf Großen im Rat ist legitim und nötig. Aber Deutschland sollte diesen Streit nicht dort suchen, wo es um Krieg und Frieden geht.

Eine zweite Regel ist die Verschwiegenheit. Das Auswärtige Amt kündigte im Herbst an, Deutschland werde sich für mehr Transparenz im Sicherheitsrat einsetzen. Es hätte kaum ein anderes, von Botschafter Gunter Pleuger öffentlich artikuliertes Ansinnen geben können, um sich mehr Ablehnung und Vorbehalte zu verschaffen. Es ist leider so: Wer will, dass ein Vorstoß im Sicherheitsrat sofort abgeschmettert wird, verbreitet ihn zuerst in der Presse. Während der Verhandlungen über die Irak-Resolution 1441 schwiegen sich die Franzosen und Russen öffentlich bis zuletzt aus, damit die Amerikaner am Schluss behaupten konnten, die Resolution wäre ihr Verhandlungserfolg und zu ihrem Vorteil. Wenn die Syrer, Chinesen oder Russen nichts sagen, bezwecken sie damit etwas: sie wollen verunsichern, überraschen oder die anderen unter Zugzwang setzen. Deutschland hat die Kunst des Schweigens und Understatements noch nicht gelernt.

»Die Sache ist zu ernst, um zu spekulieren«, meinte Außenminister Fischer in New York einen Tag, bevor Bundeskanzler Schröder an einer Wahlveranstaltung in Niedersachsen allen Spekulationen ein Ende setzte. Die Phase der Kapriolen und Pirouetten ist jetzt vorbei. Die Bundesrepublik sollte ihre Rolle im Sicherheit langsam finden. Die Sache ist zu ernst, um gleichzeitig den Rebellen, Untertanen und Entertainer zu spielen.

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