»Wenn wir Worte wie Emanzipation, Geschlechterkampf und Feminismus laut aussprechen, dann kommen wir uns vor, als ob wir einen dicken Döner mit ordentlich Tsatsiki gegessen hätten. Es müffelt übel, abgestanden, unappetitlich, peinlich«, schreibt Katja Kullmann in ihrem Bestseller Generation Ally (2002), der die Befindlichkeit der Frauen, die heute zwischen 25 und 40 sind, exakt auf den Punkt zu bringen scheint. Frauen kennen ihre Probleme. Wie sie sie heute artikulieren, hängt eng mit der in den neunziger Jahren geführten Debatte um Political und Sexual Correctness zusammen.
Zeiten verschärfter Verteilungskämpfe um Arbeitsplätze und Sozialetats sind ein guter Nährboden für konservative Geschlechterbilder. Neoliberale Wirtschafts- und neokonservative Geschlechterideologie reichen sich gerne die Hände. Heute, da das Gleichberechtigungsgebot des Grundgesetzes weitgehend in konkrete Gesetze gegossen ist, findet die Auseinandersetzung um Geschlechtergerechtigkeit hauptsächlich auf der Ebene der Bewertungen statt. Dabei werden wichtige Begriffe besetzt und die Bedeutung von Ausdrücken strategisch verschoben. In diesem Definitionskampf sind antifeministische Positionen auch im gehobenen journalistischen Diskurs wieder konsensfähig geworden. Selbst extrem sexistische Positionen gelangen so in den Mainstream der Medien. Ähnliches hatte in den achtziger Jahren nur die Neue Rechte geschafft, indem sie zum Beispiel die Wortschöpfung »Überfremdung« im politischen Diskurs etablierte und den alten Begriff des Gastrechts ausländerfeindlich umdeutete.
Der angebliche Tugendterror
Wesentlich beigetragen zur heutigen Hoffähigkeit des Sexismus hat ein publizistischer »Import« aus den USA der neunziger Jahre: Die Debatte um »Sexual Correctness«. Mit dem auflagenstark geführten Kampf gegen einen »politisch korrekten« Feminismus verschafften die Medien alten frauenfeindlichen Positionen einen neuen, spektakulären Artikulationsrahmen. Zwar haben die »Political Correctness« (PC)- und »Sexual Correctness« (SC)-Themen aus den USA keine genaue Entsprechung im deutschen Kontext, doch wurden seit den neunziger Jahren hüben wie drüben ähnliche Inhalte und Formen emanzipatorischer Politik als »politisch korrekter« Nonsens lächerlich gemacht oder zur Gefahr stilisiert. Dazu gehört vor allem die mediale Konstruktion, es gebe einen fest institutionalisierten, zensorischen und mächtigen Feminismus. Gegen dieses Feindbild wird dann aus vorgeblich unterlegener Position eine Art Verteidigungsdiskurs geführt: für die Meinungsfreiheit, die sexuelle Freiheit, die Freiheit der Wissenschaften oder der Kunst. Besondere Schärfe gewann der publizistische Kampf gegen die »feministische Political Correctness« dort, wo er sich mit neoliberaler Anti-Sozialpolitik-Rhetorik verbinden ließ. So forderte zum Beispiel Bassam Tibi in einem Focus-Artikel 1996, Europa solle nicht »Deformationserscheinungen der amerikanischen Gesellschaft in übertriebener Form kopieren, wie zum Beispiel die Hysterie um die political correctness und den multikulturalistisch-feministischen Schwachsinn des Kulturrelativismus«.
Hierzulande wurde ein ähnlich gelagertes Thema zum Schauplatz des mittels »PC/SC«-Rhetorik geführten Kampfes um die »richtige« Politik: die Position von Männern und Frauen in der Erwerbsarbeit. Das zeigten insbesondere die öffentlichen Debatten über das Beschäftigtenschutzgesetz. Die Medien stellten das 1994 eingeführte Gesetz gegen sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz vielfach so dar, als sei es eine Art »feministischer Allzweckwaffe« gegen Männer, Heterosexualität und die Liebe überhaupt. Beim Thema sexuelle Belästigung bedienen sich Autorinnen und Autoren jeder politischen Couleur seither regelmäßig vermeintlicher Defensiv-Argumente gegen »feministische Zensorinnen«, »Sauberfrauen« und »Tugendwächterinnen«. Durch das Szenario eines »freiheitsberaubenden Feminismus« können Autorinnen und Autoren von der extremen Rechten bis zur marxistischen Linken weibliche Emanzipationsansprüche zurückweisen - ohne selbst in größere Argumentationsnöte zu geraten.
Fragwürdiger US-Import
Ein kleiner Rückblick auf den großen Konsens: In der (vor allem west-) deutschen Presse ist der Ausdruck »Political Correctness« über das Feuilleton schließlich auch in die Rubrik »Politik« gelangt. Ausgangspunkt dafür, die entsprechenden US-Debatten hierzulande zu übernehmen, war das Jahr 1991: Die Presse berichtete über den Vorwurf der sexuellen Belästigung gegen den designierten US-Verfassungsrichter Clarence Thomas. Schnell legten deutsche Journalisten weitere amerikanische »PC«-Themen nach, wie die Revision der Lehrinhalte an US-Hochschulen oder Verhaltenskodizes zur Verhinderung von Vergewaltigungen. Prominentestes Beispiel hierfür ist das Antioch College. Dessen Verhaltenskodex für die etwa 650 Studierenden beschrieben die Medien wie das Ende der Freiheit in der westlichen Welt. Dabei gingen sie mit den Fakten oft mehr als locker um. Das gilt auch für die meisten anderen Beispiele für den »feministischen Tugendterror«: Viele der immer wieder zitierten Beispiele für angebliche »pc«-feministische Übergriffe sind fiktionalen Ursprungs. Sie entstammen Filmen, Theaterstücken oder satirischen Wörterbüchern über »Political Correctness«. Die Medien übergingen die Grenze zwischen Fiktion und Fakten jedoch großzügig. Gerade diese »Beispiele« sind es aber, die den »Sexual Correctness«-Diskurs über den Wiedererkennungseffekt beim Publikum zusammenhalten.
Zu einem Wendepunkt für den Umgang mit dem Thema »PC/SC« hierzulande wurde die Reaktion auf die Kritik am CDU-Kandidaten für das Bundespräsidialamt, Steffen Heitmann. Dieser hatte in einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung 1993 ein extrem traditionalistisches Frauenbild propagiert. Dafür erntete er zum Teil heftige Kritik. In Reaktion darauf kamen konservative Medien dem Kandidaten zu Hilfe, indem sie behaupteten, er sei Opfer einer »totalitären«, links-feministischen Zensur in der Medienlandschaft. Mit dieser Kampagne zur vermeintlichen Rettung der Meinungsfreiheit mutierte »PC-Feminismus« von der amerikanischen Kuriosität zum scheinbar realen Problem hiesiger politischer Auseinandersetzungen. Die entsprechenden Schlagworte - »Tugendterror«, »Gesinnungspolizei«, »Political Correctness« - konnten damals bereits als allgemein verständlich vorausgesetzt werden.
Das Politische als Moralisches
Genau hier liegt auch die Antwort auf die Frage nach der Ursache des Erfolgs der antifeministischen Klischees. »Sexual Correctness« als Feindbild wirkte so nachhaltig, weil die Medien das Konstrukt einer »tabubrecherischen« Kritik am angeblichen Tugendterror überhaupt erst hergestellt hatten. Durch die Artikel zu den Themen Feminismus, sexuelle Belästigung und »PC« in den USA war ein dichtes Netz aus Argumenten, immer wiederkehrenden »Beispielen« und bestimmten Metaphern entstanden. Dieses Netz bildet bis heute das Koordinatensystem einer themenspezifischen Deutungskompetenz zu »PC«-Feminismus. In dieser selbstreferenziellen Struktur gibt eine frauenfeindliche Perspektive die Interpretation des Themas Feminismus insgesamt vor. Dabei ist in der Regel der politische Charakter von Diskriminierungen aufgrund des Geschlechts ausgeblendet. Insbesondere sexuelle Belästigung und Gewalt werden ausschließlich unter dem Gesichtspunkt moralischen Fehlverhaltens behandelt, sowohl in Bezug auf die Täter als auch auf die Opfer. Auch Gegenmaßnahmen und Kritik werden als moralisch motiviert dargestellt und sprachlich zum Beispiel mit viktorianischen Sittlichkeitskampagnen zusammen gespannt. Oder sie werden als gegen die von Frauen erst mühsam erkämpfte sexuelle Freiheit gerichtet dargestellt. Oder es wird sogar die von homophoben Klischees unterstützte Behauptung aufgestellt, entsprechende Maßnahmen seien Ausdruck eines feministischen Projektes zur Trennung der Geschlechter - und dienten letztlich dazu, heterosexuelle Beziehungen zu unterbinden.
Sexistische Verhaltensweisen hingegen werden regelmäßig erotisiert: Sexuelle Belästigung wird zu »Erotik im Büro« umgemünzt, sexualisierte Gewalt als Sex interpretiert oder gar als der »sensible Bereich der Liebe« in Schutz genommen - vor einer »feministischen Regelungswut«, die angeblich bis ins Schlafzimmer reiche. Auf diese Weise gelang sexistischen Positionen die Inszenierung als scheinbar subversiver Kampf gegen die Einschränkung von Sexualität und Meinungsfreiheit durch einen vorgeblich hegemonialen Feminismus.
Der Campus
Festzuhalten bleibt daher: Bei Anti-»Sexual Correctness« handelte es sich nicht um den Defensivdiskurs, den eine liberale Minderheit gegen einen »radikalfeministischen Apparat« führte. Anti-»SC« war vielmehr ein sich lediglich als Defensivdiskurs gebender, hegemonialer Offensivdiskurs. Der Erfolg dieses modernisierten Sexismus zeigt sich nicht zuletzt darin, dass eine Geschichte wie Der Campus von Dietrich Schwanitz (1995) heute längst ihren spektakulären Charakter verloren hat. Schwanitz´ Roman war Mitte der neunziger Jahre Teil einer Welle gegen »PC« und Feminismus gerichteter Werke in der Literatur, auf der Bühne und im Kino. Gerade deshalb konnte die eher einfach gestrickte Geschichte von Der Campus (und deren Verfilmung) seinerzeit großes Lob einstreichen: als »bravouröse Uni-Satire« und »tabubrechender Uni-Roman«. In Der Campus wird »PC«, und was der Autor darunter versteht, nämlich vor allem Feminismus und Emanzipation, als zentrales Problem (nicht nur) der Universitäten behauptet. »PC« könne angeblich zur Durchsetzung jeglicher persönlichen und politischen Interessen vereinnahmt werden. Auch in den Medien lautete das aus der fiktionalen Vorlage übernommene Urteil: Wer »nicht politisch korrekt ist, etwa vor der Großen Femi-Göttin nicht niederkniet und Multikulti nicht romantisch findet, dem droht Ausgrenzung« (Der Spiegel, 6/98). Journalisten und Journalistinnen reproduzierten die stereotypen Feindbilder und Geschlechterklischees der Geschichte massenhaft in ihren Rezensionen und Artikeln. Schwanitz konnte sogar in einem »Dossier« der Zeit über Frauenbeauftragte als Experte gegen den »Quotenterror« auftreten und berichten: »Die Frauenbeauftragten schaffen erst die Probleme, die sie lösen wollen.« Und selbst noch Kritik an den Strickmustern von Der Campus blieb auf der gleichen Linie: Sie wurde verpackt in ein Lob für David Mamets Theaterstück Oleanna und Barry Lewinsons Verfilmung von Michael Crichtons Bestseller Enthüllung. In diesen amerikanischen Werken aus den frühen neunziger Jahren sind dieselben Stereotypien über »PC«-Feminismus angelegt wie in Schwanitz´ Roman. Antifeminismus unter dem Banner des Kampfes gegen »PC« war offenbar Konsens - er sollte lediglich nicht zu klischeehaft daherkommen.
Der ganz normale Anti-Feminismus
Inzwischen gehört die stigmatisierende Verknüpfung von »PC« und Feminismus so sehr zum kulturellen Allgemeinwissen, dass dieses Erzählmotiv gar nicht mehr mit dem »tabubrecherischen« Impetus eines David Mamet oder Dietrich Schwanitz vorgetragen werden muss. Ablesen lässt sich diese »Normalisierungsleistung« zum Beispiel an Jonathan Franzens Roman Die Korrekturen oder J. M. Coetzees Schande: Das Erzählmotiv vom universitären Lehrer, der von seiner Studentin wegen einer gemeinsamen Affäre denunziert und dann von einem »politisch korrekten« Umfeld ruiniert wird, ist nur noch ein Element unter vielen. Und auch in den Rezensionen zu diesen Werken bildet der Kampf gegen die »feministische Political Correctness« nicht mehr das Leitmotiv. Gerade in dieser erfolgreichen Normalisierung sexistischer Positionen liegt die Gefahr für Emanzipation und Feminismus. Denn der allgemein verbreiteten Fremd-Apostrophierung als »politisch korrekt« können sich Feministinnen heute nicht mehr entziehen. Einmal etabliert, sind die entsprechenden negativen Konnotationen schwer zu durchbrechen. Zumal in der Realität feministischen Positionen der Zugang zu den Massenmedien weitgehend verwehrt ist.
Auch die Neue Rechte versuchte sich in den neunziger Jahren an einer Anti-»PC«-Kampagne: gegen das, was sie als »historische Korrektheit« in Bezug auf die Bewältigung der deutschen Vergangenheit empfand. Symptomatisch ist, dass in diesem Fall der Verfassungsschutzbericht von NRW bereits 1995 vermerkt: »Die angebliche Abwehr von political correctness soll die eigenen extremistischen Auffassungen gegen Kritik immunisieren.« Die entsprechende Immunisierungsstrategie im Feld der Geschlechterpolitik scheint jedoch erst wenigen aufgefallen zu sein. Gerade diese »Unsichtbarkeit« markiert den breiten Erfolg des zugrunde liegenden patriarchalen Konsenses. Nicht zuletzt deshalb beginnt heute manches emanzipatorische Argument mit den Worten: »Ich bin ja keine Feministin, aber ...«
Simon Möller ist Politologe. Von ihm erschien das Buch Sexual Correctness: Die Modernisierung antifeministischer Debatten in den Medien. Leske + Budrich, Opladen 1999
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