Evo Morales hat in zweieinhalb Regierungsjahren die indigene Bevölkerung in das Zentrum des politischen Denkens gestellt und mit der teilweisen Wiederverstaatlichung von Rohstoffen und Telekommunikation Aufsehen erregt. Diesen Politik-Mix aus Sozialismus und Indigenismus wird er - falls er im Amt bleibt - noch ausbauen. Er hofiert mit seinem Politikstil die Jahrhunderte lang geknechteten Indígenas, Ketschuas und Aymaras. In der Region der "Kollas", so werden Hochlandbewohner genannt, dominieren in vielen Bergdörfern indigene Organisationen im Pakt mit der Gewerkschaft der Bauern - den "Sindicatos", ein Erbe der Revolution von 1952, die im Hochland den Großgrundbesitz zerschlug.
Ohne Zweifel sind die Verhältnisse im Hochland das Fundament für Morales´ Macht: Hier versteht man den ehemaligen Gewerkschafter, hier folgt man ihm. Er weiß, wie ein solches Territorium zu regieren ist.
Anders im Departamento Santa Cruz im östlichen Tiefland, wo sich eine mächtige Opposition aufgebaut hat: Sindicatos gibt es kaum, Morales ist hier so gut wie regierungsunfähig. Und die vielen "Kollas", die nach Santa Cruz migrierten, identifizieren sich nicht mehr mit dem Hochland.
Eine bürgerlich geprägte, aber populäre Opposition wirbt dort für eine ganz andere "Neugründung" des Landes. Sie will die indigene Kultur keineswegs zur Staatsräson erheben und an Privatisierung und Exportorientierung festhalten. Im Gegensatz zu den kommunitaristischen Prinzipien der Regierung sind die "Cambas", wie sich die überzeugten Bewohner von Santa Cruz nennen, auf die Freiheit des Individuums in einem klassischen, liberalen Nationalstaat aus. Deshalb auch das Verlangern nach Autonomie, worin Oscar Ortíz, Senatspräsident von der Oppositonspartei Podemos, "etwas ganz Natürliches" sieht. Neben der Zentralregierung soll es eine zweite Regierungsebene in den Departamentos geben wie in einem föderalen System.
Auch in den drei anderen Tiefland-Provinzen haben sich bedeutende Gruppierungen der Autonomie-Bewegung angeschlossen. Zentrale Figur der Autonomistas ist der cruzeñische Präfekt Rubén Costas, der sich wie alle Regionalfürsten der neun Departamentos am Sonntag ebenfalls dem Wahlvolk stellen muss.
Der Separatismus von Santa Cruz hat nicht zuletzt einen historischen Hintergrund. Eine Landreform kam hier nie an. In manchen Gegenden halten Latifundisten ganze Siedlungen in halbfeudaler Abhängigkeit - "gefangene Familien" genannt. Seit sie nicht mehr im Machtzentrum von La Paz präsent ist, will die cruzeñische Oligarchie keineswegs die Kontrolle über den Landbesitz und die rechtsfreien Räume verlieren. Der Gouverneur - so steht es in den aufgestellten Autonomie-Statuten - soll künftig Landtitel vergeben können und der Polizei vorstehen.
Hinzu kommen wirtschaftliche Argumente: War Santa Cruz vor 50 Jahren noch verschlafene Provinz, so ist die Gegend heute eine Boomregion. 30 Prozent des Bruttoinlandsproduktes werden dort erwirtschaftet und 34 Prozent aller bolivianischen Exporte. Der größte Teil der Öl- und Erdgasreichtümer liegt im Südosten.
Das Departamento will künftig vorrangig selbst von den Reichtümern profitieren. Dabei vergessen die "Cambas" gern, wie sehr sie lange Zeit von Zuwendungen der Zentralregierung gelebt haben. Santa Cruz erhielt in den neunziger Jahren rund 20 Prozent aller öffentlichen Investitionen aus La Paz, mehr als jedes andere Provinz. Doch das hindert die Autonomisten nicht daran, das Hochland als Erbe eines überkommenen Zentralstaats zu denunzieren. Santa Cruz dagegen wird als kapitalistisch, modern und demokratisch hofiert, was auch in vielen Armenvierteln ankommt. Präfekt Costas verspricht eigene Sozialreformen, kündigte eine cruzeñische Krankenversicherung und Wohnungsbauprogramme an. Seit Juli gilt in Santa Cruz offiziell ein Mindestlohn in Höhe von umgerechnet 90 Euro, im Rest des Landes beträgt er derzeit 52 Euro.
Evo Morales gibt sich wenig Mühe, Santa Cruz und seine Realität einzubinden. Rafael Puente, ein Vertrauter des Präsidenten, räumt das selbstkritisch ein: Das Regierungsteam stamme aus dem Hochland und habe Schwierigkeiten, das Tiefland und seine Leute überhaupt zu verstehen. Morales Programm trage den "kulturellen Stempel der Anden", so Puente. Jetzt empfehlen sich die Autonomistas über ihren Willen zur Autonomie hinaus als gesellschaftliche Alternative und setzen die Regierung unter Druck. Auch deshalb will Morales das Referendum am Sonntag. Es soll ein Befreiungsschlag werden, womit er sich verkalkulieren könnte. Umfragen zufolge dürften sowohl der Präsident als auch die Präfekten bestätigt werden - es bliebe beim Patt.
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