Es ist schon spät. Die Straßen sind mit dünnem Eis überzogen und glitzern, als seien winzig kleine Sterne vom Himmel gefallen.
Ich bin auf einer Party. Dorit und die Frau mit den Zöpfen tanzen und kreischen ausgelassen zur Musik. Dorit kenne ich von irgend einem anderen Fest, und heute sehe ich sie aufgedonnert für diesen Abend, für diese Nacht mit dieser Frau, die ich nicht kenne. Sie sind hübsch anzusehen, wie sie gemeinsam scherzen, wie sie sich mit ihrem Lachen im Takt bewegen, während die Lautstärke zunimmt und sich alles mischt, die Gespräche untermalen die Musik, schwingen in ihrem Rhythmus mit. Ich gehe in die Küche hinüber, dort ist es leiser, hier muss ich nicht tanzen, nicht kreischen, nicht lachen, nicht reden, und
reden, und niemand wird bemerken, dass ich mich nicht amüsieren will.Ich höre ein paar langweilige Gesprächsfetzen vorbeifliegen. Immer das gleiche. "Wie heißt du, was tust du, in welchem Bezirk wohnst du, mit Balkon, Stuck und Holzboden, Süd- oder Nordseite?"Die zwei vergnügten Mädchen tanzen immer noch. Ich sehe sie von meinem Platz, wie sie ihre Hüften zwischen anderen schwingen. Ich bewege mich nicht, stehe still an die Wand gelehnt, ich will weg hier, raus aus der Küche, raus aus der Wohnung.In dem Moment, als ich mir die Frage stelle, warum ich eigentlich hier bin, sehe ich in zwei grüne Augen. Erst als er sich mit Johannes vorstellt, sehe ich sein ganzes Gesicht, sehe, dass es nicht nur die Augen sind, die vor mir stehen und mich regelrecht an die Wand drängen; den Zeitpunkt zu gehen hatte ich verpasst. Jetzt war es zu spät, das begreife ich in jener Sekunde, als diese Augen vor mir auftauchen, die Johannes heißen und die mich nicht gehen lassen, die sich auf angenehme Weise an einem Teil von mir festklammern.Draußen ist es noch dunkel, obwohl es schon Morgen ist. Es ist bitterkalt. Ich steige zu Johannes in den Wagen. Mein Kopf ist schwer, es braust, doch ich denke an nichts. Er parkt in die einzig freie Parklücke vor meinem Haus ein und steigt mit mir aus. Es ist egal, es ist unwichtig, warum er mit mir aussteigt und wohin er will. Es ist auch egal, ob die Straßen spiegelglatt sind oder nicht und es ist egal, ob der Mann, dessen Augen Johannes heißen, sich neben mir in mein Bett legt.Als ich erwache und die schlafende Gestalt neben mir sehe, wird mir übel, der fremde Geruch stößt mich ab. Alles hatte seine Ordnung, die Ordnung der Nacht. Man hat zusammen getrunken, geraucht und vielleicht auch gelacht. Aber nun ist die Ordnung zerstört, dadurch, dass der Fremde mit in den nächsten Tag geschlittert ist. Ich habe den einfachen Wunsch, dass dieser Mensch sich einfach auflöst oder verschwindet, was er dann auch tut. Allerdings hinterlässt er seinen Geruch in der Wohnung. Ich reiße die Fenster weit auf und die Kälte kommt schnell herein, legt sich über die Bücher, den Schreibtisch und auf die Couch, hängt an den Wänden, kriecht den Fußboden entlang und breitet sich schleichend weiter aus. Nur in dem Bettzeug hält sich der fremde Schlafgeruch eisern fest, verbündet sich mit jeder Faser.In Windeseile überziehe ich das Bett neu und werfe die schmutzige Bettwäsche in die Waschmaschine, stelle sie auf 90° mit Vorwäsche. Nichts darf von dieser Nacht übrig bleiben, jeder kleine Krümel, jedes Haar, jede Schuppe muss verschwinden und dann nicht mehr daran denken, dann hat es nie stattgefunden.Als ich in den Spiegel schaue, hängt die Wimperntusche verschmiert unter den rot unterlaufenen, trüben Augen. Vergraben in den rissigen Lippen sitzt noch etwas Lippenstift. Ich fühle ein letztes Mal die Länge der letzten Nacht, sie steht in meinem Gesicht, in jeder Falte sitzt eine vergangene Stunde und brüllt mich an.Wie lange soll das noch so weiter gehen? Mein Waschpulver ist bald verbraucht, denke ich und gieße mir eine Tasse Kaffee ein. In dem Moment klingelt schrill das Telefon. Ich will nicht dran gehen, aber ich kann den aufdringlichen Ton nicht ertragen, also nehme ich den Hörer und melde mich mit einem unpersönlichen "Hallo".Es ist Johannes, dessen Name ich doch schon vergessen und dessen Geruch ich gerade erfolgreich vernichtet habe und damit auch jede Erinnerung.Jetzt vernehme ich die Stimme an meinem Ohr und mir kommt es so vor, als müsste ich meine Waschmaschine noch einmal starten."Ich habe mein Handy bei dir vergessen, kann ich gleich vorbeikommen?"Ich will ihm etwas erwidern, ich will ihm sagen, dass er gar nicht mehr existiert, dass er bei 90° liquidiert worden ist. Aber ich sage nur "Ja, natürlich" und hänge den Hörer auf.Simone Rothweiler, 1969 in Überlingen/Bodensee geboren, arbeitet im Kulturmanagement und schreibt an ihrem zweiten Roman.
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