Der Fallensteller

Kehrseite I Bei jedem schweren Schritt knarren die Holzdielen im Flur. Das Geschirr in der Wohnzimmervitrine gerät in Schwingung und klirrt. Die Nachbarin kommt ...

Bei jedem schweren Schritt knarren die Holzdielen im Flur. Das Geschirr in der Wohnzimmervitrine gerät in Schwingung und klirrt. Die Nachbarin kommt mit einem Tablett aus der Küche, mit Kaffee und selbst gebackenem Blechkuchen darauf. Sie setzt sich auf das Sofa, im Schrank klappert das Porzellan. "Das müssen Sie sich mal vorstellen", während sie Kaffee einschenkt. "Mit einer Sprühdose macht mein Mann sich über die Flecken im Garten her. Stellen, die nicht grün genug sind, jeden braunen Punkt im Rasen übersprüht er mit dem richtigen Grünton." Sie lächelt und sieht aus dem Fenster. "Er hat so seine Freude." "Freude ...", sagt sie erneut. Sie überlegt, den Gedankenfaden hat sie verloren. Freude, wiederholt sie, als habe dieses Wort einen Widerhaken. "Und Fallen. Überall im Garten sind Fallen. Fanggeräte nennt es mein Mann, die hat er aufgestellt. Besonders um den Maulwurfshügel herum, der den Rasen in Unordnung bringt. Mitten drin, im Hügel selbst, ist eine Röhrenfalle. Ich habe gar nicht gewusst, dass es so etwas überhaupt gibt, aber mein Mann hat sich fachmännisch beraten lassen. Die Röhrenfalle hat zwei Eingänge mit Fangklappe und Kontrollloch. Die anderen Fallen sind normal, aus Buchenholz mit Köderhalter, Holzwippe und fangsicherem Schlagbügel. Wenn ich jetzt in den Garten hinausgehe, spannt mir mein Mann einen sicheren Weg mit einem Absperrband", dabei kichert sie, trinkt einen Schluck Kaffee und blickt in den Garten hinaus.

Ein grauer, langhaariger Kater streift um die Ecke. "Herr Meyer!", ruft sie entzückt und schnalzt mit der Zunge. Herr Meyer lässt sich ein paar Mal über das Fell streicheln, bevor er auf das Fensterbrett springt und sich dort lang legt. "Der Kater geht nicht mehr in den Garten", sagt sie. "Ein Mal hätte es ihn beinahe erwischt. Wahrscheinlich wollte er den Köder fressen und zack! Knapp an der Pfote vorbei ist der Schlagbügel heruntergesaust. So eine Katzenpfote ist ja nicht groß, kleiner als eine ausgewachsene Wühlmaus. Dennoch steht auf den Verpackungen der Fallen, dass diese Fangeräte ungefährlich für die Haustiere sind. Pah! Das müssen Sie sich mal vorstellen!"

Nachbars Rücken draußen ist krumm gebeugt. Er sammelt. Drei kleine Eimer stehen bereit, um die Insektenwelt zu teilen. Käfer und Insekten steckt er zusammen in einen Eimer. Nacktschnecken in einen größeren und Würmer ebenfalls separat in ein drittes Gefäß. Auf Knien krabbelt er über den kurz geschnittenen Rasen, bemüht alles zu finden, was nicht hingehört. Alles was sich zwischen und auf den Grashalmen bewegt. Er sieht aus wie ein Forscher, der Erdlinien entziffert, Fossilien nachspürt und freilegt und natürliche Risse kittet. Wenn er genügend eingesammelt hat, verteilt er den Inhalt der Eimer auf die Nachbargrundstücke. Lediglich ein paar Regenwürmer verbleiben in seinem Garten. Er schüttet sie auf den Komposthaufen hinter der Bretterwand und deckt sie danach mit Blättern zu, weil er den Anblick des wuselnden Haufens nicht ertragen kann. Zuletzt schmeißt er abends, wenn es dunkel wird, die Schnecken wie Fluggeschosse einzeln über den Gartenzaun. Manche bleiben in den Ästen und Zweigen der Pappeln hängen, andere klatschen auch mal gegen eine Hauswand, oder landen auf der Straße und werden von dem nächsten Autoreifen in matschige Flecken verwandelt. Am liebsten wäre es ihm natürlich, wenn diese schleimigen Kriecher auch in die aufgestellten Fallen gehen würden.

Sie gießt Kaffe nach und schweigt. Eine Weile starrt sie abwesend auf die Tischplatte. Draußen beginnt es leicht zu regnen. Tropfen rieseln in kleinen Rinnsalen an der Scheibe herab. Ihr Mann hebt den Kopf. Er sieht in den Himmel und streicht sich über die Stirn, die weit in seinen Kopf hineinragt. Dann sieht er blinzelnd zum Haus herüber und fährt dabei mit einer Hand, die noch im Handschuh steckt, über seinen grauen Seehundschnauzbart. Herr Meyer springt von seinem Platz auf, streift der Nachbarin ein Mal um die Beine und läuft in die Küche; den Schwanz wie eine Antenne in die Luft gestreckt. Das Porzellan in der Vitrine bleibt still. Sie lächelt vor sich hin, wischt die Handflächen an der Kittelschürze ab und schiebt sich ein Stück Kuchen in den Mund, kaut langsam, ihre Wangenknochen bewegen sich hoch und runter.

"In der Küche hat mein Mann vor zwei Tagen einen Insektensauger angebracht", sagt sie. "Alle Fluginsekten verbleiben im lebenden Zustand in diesem runden Ding und können so weiter verfüttert werden. Allerdings haben wir dafür keine Verwendung, keinen Teich mit Fischen, kein Aquarium, das verschmutzt viel zu schnell, benötigt Platz und Strom und Wasser. Außerdem habe ich zu Fischen überhaupt kein Verhältnis."

Ich sehe nach draußen, lass sie weiter reden, nicke in Abständen zustimmend und verdrücke ein zweites Stück Kuchen. Über den Kirschbäumen sind Netze gespannt. Die Baumkronen sehen aus wie riesige Frauenköpfe beim Friseur, kurz bevor sie unter die Haube gesteckt werden. Ich stelle mir so eine Haube für die Bäume vor, wie sie darüber hängt, mit einem Stromkabel unten am Fuß, so dick wie ein Wasserrohr. Da ruft die Nachbarin plötzlich. "Meine Azalee!" Ihre Stimme klingt scharfkantig und bleibt auf dem letzten Buchstaben hängen. Ihr Mann hört sie nicht. Ruhig stellt er eine Falle nach der anderen um das Gewächs herum, Schlagbügel gespannt.

Als ich mich verabschieden möchte und die Frau immer wieder beteuert, wie sie sich gefreut habe, dass ich sie endlich besuchte, überlege ich, beim nächsten Mal dem Mann statt einer Weinflasche einen Kamm mitzubringen. Damit er den Rasen durchkämmen und ihm einen ordentlich exakten Scheitel verpassen kann. In diesem Moment läuft er mit einer Schuhschachtel in der Hand über die Veranda und kommt durch die Terrassentür ins Zimmer. Vorsichtig hält er eine Schachtel, mit Löchern im Deckel. Mit einem freundlichen Lächeln reicht er mir die Schachtel und sagt: "Ein Geschenk." Während sich im Innern etwas zu regen beginnt.

Simone Rothweiler ist 1969 in Überlingen/Bodensee geboren. Sie ist Kulturwissenschaftlerin und arbeitet im Architektur- und Kulturmanagement, in der Organisation von Ausstellungen, Wettbewerben, Diskussionen. Sie schreibt an ihrem zweiten Roman.


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