Zugewinngemeinschaft

Eventkritik Auf allen Kanälen vermarktet Katja Kessler ihr Buch über „Bild“-Chef Kai „Schatzi“ Diekmann und ihre Zeit im Silicon Valley. Nur wer will das eigentlich alles wissen?
Ausgabe 36/2014

Es gibt Bücher, die wirken, als hätte man eine Mischung aus Blindtext und Post-it-Weisheiten zwischen zwei Buchdeckel gepresst. Es ist egal, ob man sie von vorn oder von hinten liest oder einfach irgendwo in der Mitte anfängt, weil man auf jeder Seite das Gleiche serviert bekommt. Meist sind diese Bücher allein aus Gewissensgründen schon auf dem Cover klar gekennzeichnet. Boris Beckers Gesicht ist so ein Warnhinweis.

Andere Werke sind da geschickter verpackt. Pünktlich zur Herbstgrippe erscheint das neue Buch von Katja Kessler, mit bonbonfarbener Krakelschrift und familiärer Collagenoptik. Silicon Wahnsinn. Wie ich mal mit Schatzi auswanderte. „Nach Kalifornien“ ist noch zwischen „Schatzi“ und „auswanderte“ gekritzelt, damit auch ja jeder begreift, was für ein verflixt ausgetüfteltes Wortspiel „Silicon Wahnsinn“ ist. Bild-optimiert eben. Mit „Schatzi“ meint Kessler ihren Ehemann, Bild-Boss Kai Diekmann, der vor einiger Zeit für Springer zur Fortbildung nach Amerika gefahren ist.

Kessler kennt sich aus mit, nun ja, niedrigschwelligen Texten, die den Leser nicht mit weiterführenden Gedanken belästigen. Als die Bild noch nackte Mädchen auf der Seite eins platzierte, betextete sie die angemessen schlüpfrig. Später brachte sie als Ghostwriterin die überschaubare Welt von Dieter Bohlen in Buchform.

Das T-Shirt zum Buch

Es ist Donnerstagabend, ich stehe im Untergeschoss einer großen Berliner Buchhandlung. Stapel von Silicon Wahnsinn liegen auf einem Tisch, die Sitzplätze sind restlos belegt. Scott McKenzies Hippiesong San Francisco dudelt aus Lautsprechern, Silicon Valley meets Sixtieshymne. Katja Kessler trägt keine Blumen im Haar, dafür aber ein goldenes Bändchen. Dazu ein weißes Oberteil mit pinkfarbenem Silicon-Wahnsinn-Schriftzug auf der Brust. Das Buch zum Film kenne ich, das T-Shirt zum Buch ist mir neu.

Sie wolle heute das ganze Ding lesen, sagt sie und lässt offen, ob das ein Witz sein soll, aber lange würde es sowieso nicht dauern – die Story ist schnell erzählt: „Schatzi“ zieht in eine hippe Männer-WG, weil Männer das so machen, Frau und vier Kinder wohnen in einem behüteten Hotelzimmer, weil Frauen das so machen. „Schatzi“ und seine Bild-Kollegen siffen in der WG vor sich hin, Frau ist allein („Profi-Strohwitwe“) und spielt desperate housewife. Dabei erwartet sie zu ihrem zehnten Hochzeitstag eigentlich einen schicken Ring, eine Reise oder neue Brüste. Wichtig: Schule und Kita für die Kinder, wichtiger: einen Friseur finden, der neue L’Oréal-Strähnchen macht.

Ich spiele tatsächlich kurz mit dem Gedanken, mich über derart altertümliche Ansichten aufzuregen, aber die Handlung ist hier ohnehin komplett nebensächlich. Denn seit das Buch erschienen ist, spielen Kessler und Diekmann mediale Flitterwochen. Twitter, Facebook, Radio, Fernsehen – Silicon Wahnsinn auf allen Kanälen. Es gibt kein Entkommen. „All across the nation, such a strange vibration“, würde Scott McKenzie singen.

Das Wichtigste, was „Schatzi“ in Silicon Valley gelernt hat, ist wohl, wie man ein Smartphone benutzt. Das tut er zumindest pausenlos. Er retweetet Kommentare verzauberter Leserinnen, fotografiert Spiegel-Bestsellerlisten oder die ihm bartverwandten Ziegen im Garten. Stolz signiert er das Buch seiner Ehefrau mit: „Viel Spaß bei Katjas Lästereien – Kai ‚Schatzi‘ Kessler“, aber nicht ohne es mit einem „Ätsch, Katja!“ auf Facebook zu teilen. Währenddessen sitzt Kessler im Frühstücksfernsehen und erzählt, ein Croissant mampfend, von kalifornischen Träumen (Sonne, Strand) und Ängsten (Erdbeben, Amokläufe), garniert mit Brotkrumen aus dem Springer-Universum und verfeinert mit einer Prise „Schatzi ist ein fauler Sack“.

Als wäre das nicht genug, hat sie auch noch ein Promovideo gedreht, um zu erzählen, wie spannend und schön und furchtbar es in Silicon Valley war. Sie sagt dann so tiefsinnige Sachen wie: „Amerika war mein innerer Jakobsweg.“ Oder: „Man kann von den Amerikanern halten, was man will, aber die Landschaft hamse gut hinbekommen.“ Worüber die Leute bei Mario Barth halt auch so lachen.

Die meiste Zeit sagt Kessler in dem Video aber gar nichts, sondern sitzt schüchtern lachend neben ihrem Buch auf einer Couch, spielt sich in den Haaren oder wird von der Kamera beim Schminken erwischt. Manchmal murmelt sie einfach stummgeschaltet vor sich hin, während auch im Video Scott McKenzie San Francisco plärrt.

Sie ist ein Event

Wenn Kessler im Offlineleben wirklich so schrecklich allein ist, wie sie als Profi-Strohwitwe in ihren Lesungen behauptet, überkompensiert sie das aber durch eine öffentliche Beziehung in den sozialen Medien, wo sie und Schatzi ständig für die ganze Welt nachlesbar Komplimente und Neckereien austauschen. Privatleben und Buchmarketing fallen bei dem Paar Kessler-Diekmann so in eins.

Katja Kessler ist nicht einfach eine Autorin, sie ist ein Event. Aber kein Rock am Ring, sondern eher Musikantenstadl. Genau wie dieser ist sie schon lang dabei. Und man kann sich nicht richtig erklären, woher eigentlich ihr Publikum kommt und was all diese Menschen in ihr sehen.

Silicon Wahnsinn hat jedenfalls weder etwas mit Silicon Valley noch mit Wahnsinn zu tun. Es könnte genauso gut in Miami oder Springfield spielen, Hauptsache, die Sonne brennt und die Leute benehmen sich, wie sich Deutsche vorstellen, dass sich US-Amerikaner benehmen müssten. Wahnsinn ist es sowieso nur für Leute, die schon beim Pilates Adrenalinstöße kriegen.

Am nächsten Tag erfahre ich, dass auch Kai Diekmann bei der Lesung im Berliner Buchladen vorbeigeschaut hat. Das teilt er über seinen Twitter-Account mit. Wenn er nicht irgendwo als Yuccapalme verkleidet in der Ecke stand, muss ich ihn verpasst haben. Schade. Andererseits: Mir ist schon die mediale Nähe Diekmanns mehr als genug. Allein dadurch habe ich den Eindruck, ihn besser kennengelernt zu haben, als ich das jemals wollte.

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