Ich habe jedenfalls immer das geschrieben, was ich wollte, und ich hätte nie ein Stück geschrieben, wenn man mir gesagt hätte: Du musst das und das ideologisch, wie auch immer verbrämt, reinbringen. Das hätte ich abgelehnt." Wer so spricht, der lässt sich nichts gefallen, der isst lieber trockenes Brot, als sich zu verkaufen. Bis heute geht Christfried Schmidt unverdrossen seinen Weg, was allein Respekt abnötigt, und bis heute hat der Konflikt zwischen Neuer Musik und Publikum, den er an Leib und Werk spürt, sein Künstlertum nicht ernsthaft beschädigen können.
Schmidt fing als Kirchenmusiker und komponierender Autodidakt an. Die ersten Arbeiten waren an die hundert Lieder mit Texten quer durch den Literaturgarten, darunter Hesses Musik des Einsamen. 1965 entstand das große Oratorium Mahnmal wider die Gewalt. Es folgten mehrere Sinfonien: Hamlet-Sinfonie, Michelangelo-Sinfonie, Sinfonie In Memoriam Martin Luther King; alle sind noch ungespielt. Seine gleichfalls unaufgeführte Markus-Passion beendete der Komponist 1970. Zwischen 1965 und 1972 blieb Schmidt in der DDR ohne Aufführung und Auftrag. Stattdessen spielte man ihn fröhlich in Tokyo und verlieh ihm einen Kompositionspreis in Nürnberg. Der DDR-Rundfunk entkrampfte die Situation etwas, indem er 1973 sein Klavierkonzert produzierte. In der Kammermusik ermöglichte die Bläservereinigung Berlin 1974 den Einstieg mit der Uraufführung seines Bläserquintetts (1971).
Nichts liegt näher, als seine bisher elf durchnummerierten, wechselnd besetzten Kammermusiken, erfunden im letzten Viertel des vergangenen Jahrhunderts, neu - oder wiederzuentdecken. Das ganze Konvolut dieser Kammerstücke steht - wie die übrige Musik Christfried Schmidts - im Zeichen der Treue zum seriell variantenreich organisierbaren Material. Auf Mannigfaltigkeit in Harmonik und Rhythmik, auf expressiver Gestik und Gebärde, auf gewichtigen Termini der Polyphonie basiert der Gehalt dieser Musik. Der Künstler, angetreten, über die Möglichkeiten neuer Musik von sich und der Welt aufs Persönlichste Kunde zu geben, verbindet darin Strenge der Formulierung und technischen Anspruch mit spontanem Musizierwillen.
In den Kreis vokal-instrumentaler Kammermusiken gehört der Psalm 21 (Text: Ernesto Cardenal). Das Stück erlebte seine Premiere 1971 in Nürnberg und gehört, wer immer das anders sehen mag, in die Reihe der eindringlichsten engagierte Werke im 20. Jahrhundert. Leider wissen die wenigsten von diesem klangharten, vital-expressiven Anti-Gewalt-Stück.
Als dem Outsider nach der Wende - etwa bei der Uraufführung seines Violinkonzerts 1991 im Schauspielhaus Berlin - heftig akklamiert wurde, hatte bereits die Währung gewechselt. Die Marktwirtschaft, so überhastet wie schlecht installiert und ohnedies kunstfeindlich, desorganisierte nun auch den ostdeutschen Musikbetrieb, und die frisch eingepflockten neuen Eliten, meist zweite Garnitur, schienen im unbekannten Gelände niemand weiter zu kennen als sich selbst und ihre Favoriten aus dem Westen.
Schmidt hat derlei Vorgänge anfänglich begrüßt. Doch bald dämmerte es, denn die neuen Eliten verhielten sich nicht viel anders als die alten. Schmidt wurde wie einst in den Sechzigern wieder geschnitten. Zählte der Mann nach der "Wende" kurzzeitig zu den maßgeblichen deutschen Komponistenpersönlichkeiten, war dieser Ruf rasch wieder verflogen. Die Orchestermusik III, Auftragswerk der Komischen Oper Berlin, liegt beispielsweise seit 1992 in der Schublade. Spätestens Mitte der neunziger Jahre erschien der Komponist wieder ganz auf sich gestellt und fiel, wie viele seinesgleichen, unter neuen Vorzeichen in die alte nonkonformistische Rolle zurück. - Das mag auch daran liegen, dass Künstler wie er, die alles Modische ablehnen und denen der ganze Oberflächenundeutlichkeitskrimskrams der Postmoderne ein Greuel ist, heute so wenig integrierbar sind wie gestern.
Schmidt wäre nicht Schmidt, wenn er nicht schimpfen würde. Verhältnisse unmöglich zu machen, das ist eine seiner kreativen Tugenden. Das geht nicht immer gut aus, sicher. Aber aufregend ist es allemal, wenn er jenes Musikervolk attackiert, das seine Stücke leidenschaftslos und schlampig aufführt. Verhasst sind ihm insbesondere bequeme, generöse Konzerthörer, die, statt mit den Ohren zu begreifen, alle Musik verpennen; nicht minder die Ignoranten, welche an den Pulten stehen und in den Instanzen rumlungern; Personal, das nicht erkennen will, was an Gehalt und Brisanz in seinen Partituren steckt und sie deswegen achtlos beiseite schiebt. Wenn der Fluchende darüber erbost und traurig ist, dann sind die, die mit ihm fühlen, auch erbost und traurig.
Glück? Als Komponist? Durchs Küchenfenster seiner Wohnung in Prenzlauer Berg sieht man auf der gegenüberliegenden Front einen Riesenfleck Weinblätter. Die hat er einst angepflanzt, sagt er stolz, und nun bedecken sie fast die ganze Hinterhofwand, worüber er sich natürlich sehr freue. Seine Orchestermusik I, Beginn einer Serie, die unterdes bei der Nummer V ist, markiert in anderer Art ein weit verzweigtes, wucherndes Gewächs. So war dieser Tage ein Hoffnungsschimmer, dass endlich Memento für Orchester im Gewandhaus Leipzig kam. Dirigent Fabio Luisi, er führte die Partitur mit dem MDR-Sinfonieorchester leidenschaftlich auf, hat erkannt, dass von Schmidt Bedeutendes vorliegt und allemal noch zu erwarten ist.
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