Ausgerechnet die Bild war es, die sich nach Rechercheerfolgen in Sachen Kunduz und Wulff die Vergangenheit des BND vornahm und vom Geheimdienst wissen wollte, welcher braune Parteigenosse nach dem Krieg in der Zentrale in Pullach Unterschlupf fand. Als die Geheimen die Aussage verweigerten und auf die tätige Historikerkommission verwiesen, rief Bild das Bundesverwaltungsgericht an. Die Richter wiesen die Klage ab. Die Begründung hatte Chuzpe: Die Presse werde über Landesgesetze geregelt, Bundesbehörden seien also nicht betroffen. Immerhin befand das Gericht, dass Behörden nach Artikel 5 des Grundgesetzes einem „Minimalstandard an Auskunftspflichten“ genügen müssen.
Bild-Kolumnist Ernst Elitz feierte das als Sternstunde für die Pressefreiheit: „Das ist ein Urteil, bei dem allen staatlichen Geheimniswächtern die Ohren schlackern. Sie müssen Auskunft geben. Da hilft keine Eierei.“ Journalistenverbände und der Verband Deutscher Zeitungsverleger sahen sich dagegen auch in seltener Einmütigkeit um das Wohl der Pressefreiheit besorgt.
In Wirklichkeit hat sich überhaupt nichts verändert. Die Behörden dürfen mauern wie eh und je. Das zeigt: Das Presserecht ist zu einem stumpfen Schwert geworden. Dass die Länder die Sache regeln, hat sich nicht bewährt. Wir brauchen ein Bundespressegesetz. Es ist gut, wenn es findigen Journalisten gelingt, den Mächtigen ein Schnippchen zu schlagen, indem sie Fakten offenlegen, die andere lieber unter der Decke gehalten hätten. Aber die Regel sollte das nicht sein. Denn die Bürger haben einen Anspruch darauf zu wissen, was die Politik in ihrem Namen so anstellt.
Schon das 2006 in Kraft getretene Informationsfreiheitsgesetz, mit dem die Befürworter einst etwas vorschnell den Abschied vom obrigkeitsstaatlichen „Amtsgeheimnis“ feierten, hat wenig geändert. Nach diesem Gesetz hat grundsätzlich jede Person einen Rechtsanspruch auf Zugang zu amtlichen Informationen von Bundesbehörden. Aber natürlich sind Ausnahmen die Regel: „Der Anspruch auf Informationszugang besteht nicht“, so das Gesetz, „wenn das Bekanntwerden der Information nachteilige Auswirkungen haben kann“ auf internationale Beziehungen, militärische und sonstige sicherheitsempfindliche Belange der Bundeswehr, Belange der inneren oder äußeren Sicherheit ... und so weiter und so weiter ...
Geheim sind die Verträge zur LKW-Maut auf Autobahnen ebenso wie die Informationen über CIA-Flüge mit Islamisten an Bord oder die Controlling-Berichte zum Katastrophenflughafen Berlin-Brandenburg.
Während der Staat immer mehr Daten über seine Bürger sammelt, gibt er sich selbst sehr verschlossen, wenn es um die Herausgabe wichtiger Informationen geht. Selbst Akten, die nach 30 Jahren offen sein müssten, sollen nicht selten auf Ewigkeit verschlossen gehalten werden, weil ihr Bekanntwerden angeblich staatliche Belange gefährdet. Gern wird auch auf den Daten- oder Persönlichkeitsschutz hingewiesen.
Ein Beispiel aus jüngster Vergangenheit: Für ein Fernsehprojekt zum rechtsradikalen Terror-Trio NSU bat ich das Innenministerium, mir die Namen und vorgeworfenen Delikte der 110 Rechtsextremisten zu nennen, die in diesem Zusammenhang mit offenen Haftbefehlen gesucht werden. Das Ministerium lehnte ab, aus „Datenschutzgründen“, es sei auch „nicht erkennbar, dass das Informationsinteresse das schutzwürdige Interesse dieser Dritten am Ausschluss des Informationszugangs überwiegt“. Im Klartext: Der mit offenem Haftbefehl gesuchte mutmaßliche Straftäter hat das schutzwürdige Interesse, anonym zu bleiben. Absurder geht es kaum. Dann kann man sich die Fahndung auch schenken – und erlebt im Extremfall das, was gegenwärtig verschiedene Untersuchungsausschüsse vergeblich aufzuklären versuchen: das mörderische Versagen diverser Geheimdienste und Polizeibehörden bei der Ermittlung im rechtsterroristischen Umfeld.
Das Recht auf Information ist ja nicht primär das Recht der Journalisten. Es ist das Recht der Bevölkerung zu erfahren, was in ihrem Land gespielt wird. Wer sich im Dickicht der Gesetze und Verwaltungsvorschriften nicht auskennt, hat als Privatperson ohnehin keine Chance, jemals an staatliche Informationen zu kommen. Vielleicht ist das auch der Grund, weshalb nur eine sehr kleine Minderheit von Bundesbürgern das Recht auf Informationsfreiheit überhaupt in Anspruch nimmt. Im Jahr 2010 wurden 1.557 Anträge gestellt, 2011 waren es immerhin schon 3.280. Zum Vergleich: In den USA haben 2011 650.000 Bürger Akteneinsicht nach dem Freedom of Information Act beantragt.
Gerade das, was Akten für die kritische Öffentlichkeit interessant macht, ist für deutsche Behörden oft Grund genug, sie geheim zu halten. Das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts zementiert diesen Zustand. Eine gesetzestreue „Minimalauskunft“ dürfe zum behördlichen Standard werden. Ein Journalist muss wissen, wonach er sucht: Akten. Und die darf man ihm nicht vorenthalten. Ein solches Gesetz muss her. Und nicht ein vages Auskunftsrecht, gepaart mit dem frommen Wunsch, dass die Behörden die Arbeit des Journalisten machen und sich am besten selbst entlarven. Denn das werden sie nie tun.
Stefan Aust war von 1994 bis 2008 Chefredakteur des Spiegel.
AUSGABE
Dieser Artikel erschien in Ausgabe 9/13 vom 28.02.20013
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