In seiner Herbstvorschau 1998 war es dem Kleinverlag »Schwarzkopf Schwarzkopf« - ansonsten eher auf biedere »Männer aus dem Volke« spezialisiert, vom Baggerführer bis zum Bundeskanzler - gelungen, mit einer mittleren Sensation aufzuwarten: Unter der Überschrift Ich bin kein Lump wurden dort 480seitig die Memoiren Wolfgang Harichs angekündigt, an denen dieser (wie das Lektorat verlauten ließ) »mit dem Berliner Journalisten Thomas Grimm bis zu seinem Tode im Jahre 1995 gearbeitet« hätte.
Mit fast neunmonatiger Verspätung liegt jetzt das Ergebnis jenes merkwürdigen Teamwork vor, als »Ahnenpaß. Versuch einer Autobiographie«; um rund 100 Seiten erleichtert, dafür um eine Co-Autorin reicher: Marianne Harich,
r: Marianne Harich, die letzte Witwe des Philosophen, zeichnet mitverantwortlich für den Inhalt des Bandes. Offenbar hat die prozeßerprobte Dame, als sie von dem Projekt Wind bekam,dem prospektiven Herausgeber und seinem Verleger prompt mit dem Kadi gedroht - mit Erfolg. Man wird daher nicht fehlgehen in der Annahme, daß die »vielen wertvollen Hinweise«, für die sich Grimm nun artig bei ihr bedankt, im wesentlichen juristischer Natur waren, denn produktiv hat die Gute nicht das Geringste beizusteuern - im Gegenteil: In dem gemeinsam signierten Vorwort werden alle vier in den 60er und 70er Jahren publizierten Bücher ihres verstorbenen Gatten entweder im Titel nicht korrekt oder mit unrichtigem Erscheinungsdatum zitiert. Darüber hinaus läßt Frau Anne ihr armes »Wölfchen« ein volles Jahr länger als in Wirklichkeit in Bautzen brummen - eine erstaunliche Fehlleistung, ein gefundenes Fressen für jeden Psychoanalytiker. Des weiteren vermag man sich des Eindrucks gehässiger Regie kaum zu erwehren, wenn man feststellen muß, daß (anders wohl als ursprünglich geplant: Das würde auch den drastisch verminderten Umfang erklären) keine Harich-Äußerungen nach dem 18. März 1990 Bercksichtigung fanden. warum? Grimms Beteuerung einer besonderen Aufgeräumtheit Harichs in der Umbruchphase der DDR, noch kurz vor dem Fall der Mauer, wird niemanden überzeugen, der ihn genau kannte. Ein Motiv für die Aussparung dürfte umgekehrt eher darin zu suchen sein, daß harich sich später zunehmend radikalisierte. Sichtbarstes Zeichen der Wandlung war die Einrichtung der »Alternativen Enquêtkommission«, die unter seinem Vorsitz (nicht mehr jedoch unter dem des Nachfolgers) als gefährlich genug galt, um im Verfassungsschutzbericht des Innenministeriums vorzukommen. Diese Entwicklung bereitete der Witwe (der die Herkunft ihres Gemahls aus »besseren Kreisen« schmeichelte) und ihrer Umgebung nicht unerhebliche ideologische Bauchschmerzen, und so wurde im Frühjahr 1995 das Gerücht ausgestreut, Harich wäre zum Schluß ausgebrannt gewesen, leergeschrieben. In Wahrheit saß er, physisch zwar enorm angeschlagen, aber geistig frisch, zuletzt an einem neuen Buch zur Deutschlandpolitik, das selbstkritischer als bisher auch seine SPD-Kontakte reflektieren sollte. Zu den von ihm damals exzerpierten Materialien gehörten unter anderem Margret Boveris während seiner Haft herausgekommene vierteilige Studie über den Verrat im XX. Jahrhundert, die ihn vor allem die Rolle Ernst Reuters in einem noch ungünstigeren Licht sehen ließ, sowie Erwägungen des von ihm generell hochgeschätzten Wolfgang Abendroth zur völkerrechtlichen Stellung Deutschlands anno 1956, die Harich allerdings diesmal nicht zwingend erschienen.Der Rezensent des Neuen Deutschland hat Thomas Grimm gelobt - für seine Bedenkenlosigkeit. Ein atemberaubendes Kompliment angesichts der sagenhaften Schlamperei, dank derer Harichs fragmentarische Aufzeichnungen zu seiner intellektuellen Vita, von 1972 (die zwei Drittel des Volumens ausmachen), hier durch Hunderte von Druckfehlern entstellt werden. Noch ärger steht es mit den Tonbandabschriften, in denen zuhauf Namen von Figuren der jüngsten Geschichte (angeblich Grimms vermeintlichem Spezialgebiet) abenteuerlich falsch buchstabiert sind, vom polnischen Marschall Pilsudski bis zum jugoslawischen Chefideologen Kardelj. Vollends unerträglich an den Interviewpassagen schließlich ist das verquaste Beinahe-Deutsch, in dem sich der Juniorpartner der Gespräche - mal wichtigtuerisch, mal penetrant ausgewogen, oft versetzt mit spießig moralisierenden Glossen - beständig herumdrückt. Harichs saloppe Charakteristik etwa, im Unterschied zu ihm spiele Walter Janka die »beleidigte Leberwurst«, dolmetscht Grimm wie folgt: »Sagen wir so, Sie sind mehr in der Lage auf Grund Ihrer Vergangenheit, auch Ihres Alters, Ihres Lebensweges, erkenntnistheoretisch (!!!) auch an ganz unmittelbare zeitgeschichtliche, Sie betreffende Probleme heranzugehen, während das vielleicht bei anderen doch mehr mit starken emotionalen Verbindungen zum Beispiel zur kommunistischenmm Bewegung überlagert ist.« Da lachen ja die Königsberger Hühner. Weniger gnoseologische als spiritistische Neigungen demonstriert Grimm auch, wenn er Harich in den Mund legt (oder ihm aus der Nase zieht, wer weiß), Ernst Bloch habe in Tübingen noch »als 99jähriger« »interessante Sachen« von sich gegeben - vermutlich via Kristallkugel, zur »Ontologie des Nicht-Mehr-Seins«.So gerne man also dem windigen Burschen das bedenkenlose Machwerk um die Ohren haugen möchte - es wäre zum Schaden seines prominenten Opfers, das fabulierfreudig wie selten seine Familienchronik ausbreitet. Unverzichtbar außerdem Harichs Erläuterungen zum Verhältnis von Dialektik und formaler Logik, deren postulierte Unvereinbarkeit in der ostdeutschen Diskussion der 50er bestritten zu haben er sich als Verdienst anrechnet. Daß Harich 1993, in Keine Schwierigkeiten mit der Wahrheit, Janka nicht grün war wegen dessen rüder Angriffe auf ihn, ist menschlich verständlich. Umso mehr überrascht deshalb die Entdeckung, daß er zwei Jahrzehnte zuvor seinem nachmaligen Intimfeind ausdrücklich konzediert, die Anti-Ulbricht-Gruppe müßte eigentlich nach ihm, Janka, benannt werden, und auch keinen Zweifel daran läßt, daß sie beide zusammen die nationale Konzeption, mit Kurs auf Wiedervereinigung, verfochten hätten.Nicht von Generosität hingegen, sondern von blankem Opportunismus eingegeben war die Abfassung eines Briefes an Janka am 12. 6. 1993, in Summt, in dem es hieß: »Lieber Walter Janka, unerwartet werden Walter Markov, sein Sohn Helmuth und ich von Wolfgang Harich in den Zeugenstand gegen Walter Janka genötigt.« Der Initiator und Absender des Schreibens nämlich, Herr Thomas Grimm, sah sich zu seinem Mißvergnügen im oben erwähnten Buch des Philosophen zu dessen Entlastung bemüht, und weil Jankas Aktien 1993 noch unvergleichlich viel besser standen als diejenigen Harichs, ging Dokumentarist Grimm schroff auf Distanz: »Es ist wohl die typische Harichsche Art, lose Erinnerungen durch Benennung von Zeugen dieser erinnerten Aussagen zu unumstößlichen Tatsachen zu erheben.« Als Harich, in bedrängter Situation, ein kanppes Halbjahr darauf von jener Aktion erfuhr, empörte ihn am meisten die Hineinverwicklung des bereits todkranken Markov senior in eine Angelegenheit, in welche dieser unter anderen Umständen schwerlich eingewilligt haben würde. Sofort entzog Harich Grimm das Vertrauen. Und dabei blieb es.Wolfgang Harich: Ahnenpaß. Versuch einer Autobiographie. Hrsg. von Thomas Grimm. Verlag Schwarzkopf Schwarzkopf, Berlin 1999, 384 Seiten, 44,- DM
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