Sammler aller Länder, vereinigt euch ... in Berlin. So könnte der Wahlspruch des Gallery Weekend lauten. Das alljährliche Treffen im Frühjahr hat sich zum wichtigsten kommerziellen Termin der Kunstszene in der Hauptstadt entwickelt. 51 Galerien sind offiziell bei der neunten Auflage dabei, also nur ein kleiner Teil der Berliner Galerien. Hunderte andere können oder wollen sich das Weekend nicht leisten. Denn wer mitmachen will, muss gut 7.000 Euro zahlen, obwohl nur die eigenen Räume geöffnet werden. Ein kleiner Messestand kostet nicht sehr viel mehr, an der Art Cologne etwa ab 11.000 Euro. Die teilnehmenden Galerien erhalten dafür einige Privilegien. Jede hat einen Wagen, um Sammler, Kuratoren, Museumsleute oder andere sehr wichtige Menschen umherzukutschen. Es gibt einen großen Empfang zur Eröffnung am Donnerstagabend in der französischen Botschaft und wie üblich das Dinner am Samstagabend.
Die große Frage ist wie jedes Jahr, ob tatsächlich genügend Sammler kommen und ob sie in Kauflaune sind. Vor ein paar Jahren, als die Kunden sich rar machten, wurde die ABC – eine Art von kuratierter Verkaufsausstellung im Herbst und der andere wichtige Termin der Berliner Kunstwelt – schon als Abkürzung für „All but Collectors“ („Alles außer Sammlern“) verspottet.
Keine Ärzte
Die Kunstszene ist ein kleiner Markt. Wirklich potente Käufer gibt es vielleicht ein paar Hundert. Insgesamt kann man von wenigen Tausend wichtigen Sammlern weltweit ausgehen. Man kennt sich. Von der Wirtschaftskrise 2008 wurden sie zwar aufgeschreckt, allerdings nur kurz. Da die Politik alles unternimmt, um Banken und Vermögen zu erhalten, bleiben die Verluste in Grenzen. Die großen Vermögen haben die Krise gut, wenn nicht sogar bestens überstanden.
Daher funktioniert der Kunstmarkt nach wie vor. Aber er hat sich verändert. Die gehobene Mittelklasse macht sich rar. Anwälte, Zahn- und Irrenärzte oder Kleinunternehmer, die sich die großen Werke bekannter Stars nicht leisten wollen und lieber kleinere Formate auch unbekannter Künstler kaufen, bleiben aus.
Das überträgt sich auf die Künstler. Entweder das Auskommen ist prekär. Oder man ist am Markt etabliert und macht einen guten Schnitt. Nicht wenige Großkünstler blähen ihr Atelier zum Kleinbetrieb auf und lagern die Kunstproduktion aus, um die Warteliste der Kunden schneller abzuarbeiten. Oft nehmen die Sammler die Werke unbesehen ab. Denn in der Zeit des Netzwerkens zählt der richtige Name im Portfolio. Wie das Produkt aussieht, bleibt demgegenüber zweitrangig. Der Kennerblick hat ausgedient. Wer viel Geld verdient, hat in der Regel keine Zeit, sich um Details zu kümmern. Er lässt sich von Kuratoren oder gleich vom Galeristen beraten.
Das Geschäft des Galeristen hat sich ebenfalls verändert. Galerien sind keine Läden, die statt Möbel oder Autos Kunst verkaufen. In den Ausstellungsräumen wird vergleichsweise wenig Umsatz gemacht. Events wie das Galerienwochenende sind die Ausnahme. Ansonsten gibt es den Ausstellungsraum nur noch, weil ohne Raum keine Galerie und ohne Galerie-Status keine Teilnahme an einer Messe. Denn das meiste Geld wird heute auf den Messen verdient. Und das Ansehen einer Galerie bemisst sich daran, wo sie präsent ist. Wer es auf die Art Basel, deren Ableger in Miami oder die Frieze in London geschafft hat, spielt in der höchsten Liga. Die meisten Händler klappern noch etliche kleine Plätze ab, um dort den Umsatz zu machen, der zu Hause fehlt – Mailand, Brüssel, Madrid, Paris, New York, Turin, Hongkong. Galeristen sind ein fahrendes Volk geworden. Rund um den Globus folgen sie ihrer internationalen Kundschaft.
Dabei sind auch die Messen nicht billig. Besonders für kleine Galerien kann ein Auftritt ruinös werden. Standmiete, Transport und Unterkunft sind unter 15.000 Euro kaum zu haben. Zwei Messe-Beteiligungen ohne nennenswerte Verkäufe können das Grundkapital auslöschen.
Benchmark Basel
Dadurch sind die Eintrittsbarrieren zum Kunstmarkt hoch. Zwar ist es formell jedem erlaubt, sein Glück zu versuchen. Jeder kann seine kleine Galerie eröffnen und versuchen zu verkaufen. Aber der große Markt schottet sich ab. Teurere Werke von anerkannten Stars verkaufen sich in letzter Zeit besser als Ware von jungen Künstlern. Wer einmal einen Großkünstler aufgebaut oder den begehrten Großsammler im Schlepptau hat, will sich ungern das Geschäft verderben lassen. Deshalb sind Gegen- oder Parallelveranstaltungen zum Gallery Weekend unerwünscht. Natürlich kann niemand den weniger exklusiven Galerien verbieten, an dem Wochenende ihre Räume zu öffnen. Aber was sind schon Räume ohne Aufmerksamkeit? Und vielleicht sorgt der VIP-Shuttle-Service auch ein wenig dafür, dass sich die Sammler nicht an die falsche Adresse verfahren.
Vor Jahren gab es eine kleine Ausstellung am Sonntag des Galerienwochenendes, die sich passenderweise Sunday nannte. Sie findet nicht mehr statt. Ein Blick auf die Berliner Galerienlandschaft hilft zu verstehen, wie es gelingen konnte, so etwas zu unterbinden.
Gerade in Berlin bestimmen einige wenige Akteure das Feld. Das Gallery Weekend wurde zusammen mit der ABC von neun Galeristen gegründet. Viele der Gründer haben dort nach wie vor das Sagen, darunter die international wichtigen Akteure Mehdi Chouakri, Klosterfelde, Meyer Riegger, Galerie Neu, Neugerriemschneider oder Esther Schipper. Seit es keine Kunstmesse mehr in Berlin gibt, dominieren sie den Betrieb in der Hauptstadt, aber nicht nur dort. Etliche von ihnen sitzen auch in den Jurys anderer Messen. Mehr als jedes andere Gremium zählt dabei das sechsköpfige Komitee der Art Basel. Weil einige zugleich in Berlin und in Basel mitmischen, vermeidet man tunlichst, von der jeden Herbst in Berlin abgehaltenen ABC als einer Messe zu sprechen oder sie wie eine Messe aussehen zu lassen. Denn die Statuten der Art Basel verlangen, dass die Mitglieder der Jury nicht bei einer zweiten Messe entscheidungsbefugt sind.
Was es heißt, sich gegen das Komitee von Basel zu stellen, dem zur Hälfte in Berlin ansässige Kunsthändler angehören, bekamen schon etliche Galerien zu spüren. Die einen hatten nie eine Chance, in Basel aufgenommen zu werden. Und andere wurden geradewegs rausgeworfen. Darin liegt im Übrigen auch der banale Grund, warum es keine ernst zu nehmenden Parallelveranstaltungen zum Gallery Weekend mehr gibt. Wer auch immer als Galerist Ambitionen hat, auf dem großen Parkett zu reüssieren, will früher oder später zur Basler Messe zugelassen werden. Dabei ist es nicht sonderlich hilfreich, die Berliner Mitglieder der Jury gegen sich aufzubringen.
Die Galeristin Giti Nourbakhsch flog 2011 aus Basel raus, nachdem sie sich 2010 vom Gallery Weekend zurückgezogen hatte. In einem offenen Brief beklagte sie danach die zunehmende Verfilzung der Berliner Kunstszene. Mittlerweile gibt es ihre Galerie nicht mehr.
Insgesamt ist die Lage in Berlin von einem grundsätzlichen Widerspruch gekennzeichnet. Auf der einen Seite sollen Künstler und Kunstwerke stets neu und aufregend und „contemporary“ sein. Ein ständiger Nachschub an jungen Künstlern und neuer Kunst muss her. Dazu passen die festgefahrenen Machtstrukturen nicht wirklich, genau so wenig wie der Hang zur Zwei-Klassen-Kunstgesellschaft.
Das betrifft auch das Publikum. Sammler und normale Betrachter mischen sich immer seltener. Auf der einen Seite gibt es neben allerlei Extra-Touren für Sammler die Limousinen, VIP-Dinner, VIP-Empfänge und die Hinterzimmer der großen Galerien, wo ihnen auf Mega-Bildschirmen die Kunst frisch aus dem Atelier angeboten wird. Die meisten Künstler und alle, die sonst noch zur Szene gehören, ohne wichtig zu sein oder sich wichtig zu nehmen, sind mit dem Bier zur Eröffnung glücklich. Und der Rest vom Volk darf den VIP-Shuttles hinterherschauen, ganz wie im wirklichen Leben.
Das Gallery Weekend findet vom 26. bis 28. April 2013 zum neunten Mal in Berlin statt. Mehr Informationen zu den teilnehmenden Galerien unter gallery-weekend-berlin.de
Stefan Heidenreich ist Autor der Bücher Mehr Geld und Was verspricht die Kunst? Er arbeitet und forscht am Centre for Digital Cultures der Universität Lüneburg
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