Friedrich von Borries, Designer und Professor in Hamburg, hat einen Roman mit dem Titel RLF geschrieben. Aber das ist untertrieben, denn das Buch zielt auf mehr. Es will eine Art von Programmschrift sein für eine Protestbewegung, Konzeptkunstwerk und Lifestyle-Unternehmen. RLF steht für Adornos Zitat „Es gibt kein richtiges Leben im falschen“. Das Buch ist eingebettet in eine Medienumgebung, die fast alles bereitstellt, was man heutzutage für eine „Revolution nach den Regeln des Marktes“, wie es online heißt, benötigt. Es gibt ein Twitter-Profil namens @RLFpropaganda und einen tumblr-Blog, rlf-propaganda.tumblr.com. Anfang Mai hat jemand eine ganze Reihe von Einträgen online eingestellt. Ein Bild zeigt den Autor am Rand der Kundgebung zum 1. Mai vor der Berliner U-Bahn-Station Kottbusser Tor. Er steht vor einem mit schwarz-weißem Linienmuster gestalteten Plakat und bemüht sich, recht revolutionär dreinzuschauen. Ziel ist, „das kapitalistische System mit seinen eigenen Waffen zu schlagen“.
Mit diesem Vorhaben steht RLF nicht alleine. In jüngster Zeit machten unter anderem mit dem Manifesto for an Accelerationist Politics die Philosophen Alex Williams und Nick Srnicek von sich reden. Allgemeine Beschleunigung, so deren Ansicht, sei der schnellste und durchaus revolutionäre Weg aus dem ökonomischen und politischen Dilemma unserer Gegenwart. Das Manifest geht auf eine längere Debatte zurück, die bei dem französischen Denker Gilles Deleuze ihren Ausgang nahm und von dem englischen Punk-Philosophen Nick Land und seinen Schülern weitergeführt wurde. Das Ergebnis ist ein durchdachtes programmatisches Statement zur Lage, das im Netz auf breiten Widerhall trifft.
Die ganz große Nummer
Auch Friedrich von Borries hat sich bemüht, sein Projekt intellektuell zu unterfüttern. Alle paar Seiten des Buchs sind kurze Einschübe eingefügt, um den einen oder anderen Namen und Begriff zu erläutern. Man erfährt zum Beispiel, warum Gil Scott-Heron erwähnt wird und was ein Dazzle-Muster ist. Dazu gibt es eine Reihe durchaus aufschlussreicher Interviews mit mehr oder weniger bekannten Designern, Aktivisten, Theoretikern und Künstlern.
Aber es macht eben doch einen gewaltigen Unterschied, ob man ein Marketing-Konzept mit ein wenig Hintergrund-Information unterfüttert oder eine politische Diskussion mit historischer und theoretischer Tiefe vorantreibt. Von Borries Projekt bleibt in der Schwebe zwischen Pennäler-Witz, Marketing-Gimmick und Konsumkritik. Dazu trägt auch die Form und Ausführung als Roman bei.
Wie schon sein erster Roman 1WTC ist auch dieser von einer ausgesuchten Schar sehr cooler Hipster bevölkert. Da gibt es Jan, den Werber mit revolutionären Ideen. Erneut tritt auf Mikael Mikael, weitgereister, wenig bekannter und nun ganz im Verborgenen hausender Künstler. Slavia, die Aktivistin, kommt aus Belgrad und lebt im Occupy-Camp in New York. In Nebenrollen kommen vor: ein ungenannt bleibender französischer Kunstsammler, dessen Assistentin sowie die Ehefrau, griesgrämig und kompliziert, wie könnt’s auch anders sein. Außerdem noch Dating-Mieze Angélique und Praktikantin Laura. Selbstverständlich darf der Protagonist, wie es sich für einen Trashroman gehört, über alle frei verfügbaren Frauen mal rüber. Ausgenommen natürlich die Ehefrau, aber dafür interessiert sich ohnehin keiner. Jeanette, die Assistentin, muss er wegen Zeitmangel auslassen, auch wenn sie sich anbietet („eine halbe Stunde aufs Meer raus?“). Ansonsten braucht es nicht viel, um zur Sache zu kommen. Angélique („Komm, nimm mich!“), Slavia („greift ihm zwischen die Beine“) und Laura („trägt keine Unterhose“) können einfach nicht anders, so hammergeil ist der Held dieses Romans. Am Schluss setzt von Borries noch die ganz große Nummer drauf. Unter welchen spektakulären Umständen der Held auf den finalen Seiten zum letzten Mal abspritzt, soll nicht verraten werden. Sonst wäre noch das bisschen Spannung, mit dem der Autor seine Story aufzupeppen versucht, perdu.
Im Übrigen kommen so gut wie alle Stilmittel des Trashromans zum Einsatz. Ein Todesfall, der auf den letzten Seiten aufgeklärt wird. Eine Geschichte, die sich gradlinig von Anfang bis Ende abspult, ohne dass der Leser durch Überraschungen oder Unvorhersehbares aus der Bahn geworfen würde. Eine lange Reihe von Dialogen im Echo-Stil. „Sagt dir Adorno irgendetwas?“ – „Ja, der Philosoph.“ Jede Menge an Agentur-Präsentationen, die nicht nur für den Protagonisten ermüdend werden, sondern auch für den Leser.
Vom Hotel Bauer zu Occupy
Die Handlung streift in einem weiten Parcours durch ausgesuchte Hipster-Locations an den verschiedenen Standorten, vom Hotel Bauer, Venedigs Künstler-Treffpunkt bei den Eröffnungen der Biennale, über das Londoner Viertel Islington pünktlich zu den Straßenschlachten. Dann zum Occupy-Camp in New York und ins Café Bravo in Berlin. Zu letzterem lässt der Autor seinen Helden anmerken, „eine richtige coole Location ist es nie geworden“, als müsse er sich für den Fauxpas entschuldigen, Schauplätze derart minderer Szene-Reputation überhaupt anzusteuern. Aber das hätte leicht anders gelöst werden können, zumal er nicht davor zurückschreckt, die Wirklichkeit je nach Bedarf umzubiegen. Kein Taxifahrer würde je vom KW Institute for Contemporary Art in Berlin-Mitte zu irgendeinem der drei Marriott-Hotels in Berlin den Umweg über die südliche Friedrichstraße machen. Aber im Roman muss es eben sein, damit der Werber noch an einem Highlight der Biennale vorbeikommen kann, um sich von seiner schönen Begleiterin sagen zu lassen: „Das ist kein Scheiß, das ist Kunst.“ Dann gleich weiter, husch, husch, ins Hotel, denn „kaum im Hotelzimmer, beginnt Slavia, Jans Hemd aufzuknöpfen.“
Es ist nicht alles Gold, was glänzt. Wer den Trash und die Klischees aushält, erfährt durchaus einiges in dem Buch, über die Gepflogenheiten und Denkweisen der Szene oder die Art und Weise, wie Ideen entstehen und Projekte durchgezogen werden.
Es ist ein wenig schade, oder ums genauer auszudrücken: eher uncool, dass von Borries zwar auf der einen Seite für sein Buch tatsächlich eine aufregende und neuartige Form erfindet, verschiedene Medien geschickt miteinander zu verbinden, aber auf der anderen Seite nicht davor zurückschreckt, die abgegessensten Abziehbilder, Nullfiguren und Klischees aneinanderzureihen.
Formal gelingt sein Expriment. Er bricht die Genregrenzen von Roman und Sachbuch, Programmschrift und Erlebnisbericht ohne Zögern auf, um halb Erdachtes, halb Wirkliches, halb Versponnenes und halb Ernstgemeintes miteinander zu verknüpfen.
Wie sehen nun die Waffen aus, mit denen das kapitalistische Wirtschaftssystem sich selbst marktkonform schlagen soll? In der Praxis bleibt das Projekt in einem wenig revolutionären Design-Stadium stecken. Es gibt ein Bild von einem mit schwarz-weißen Camouflage-Linien verzierten Teeservice. Zusammen mit einer Serie von Produkten wird es am 23. August in der ehemaligen Kirche St. Agnes in Kreuzberg präsentiert. Im weiteren Verlauf werden die Objekte in ausgewählten Luxusboutiquen vertrieben werden. Jeder Einkauf macht den Kunden zum „Shareholder der Revolution“. So einfach geht das. Aber man darf nicht vergessen, dass Adornos Satz vom richtigen Leben im falschen nicht auf die Weltrevolution gerichtet war. Er findet sich in den Minima Moralia in einem Kapitel übers Wohnen. Und dazu passt das Teeservice.
RLF: Das richtige Leben im falschen Friedrich von Borries Suhrkamp 2013, 252 S., 13,99 €
Ausstellung der RLF-Produkte ab 23. August in St. Agnes in Berlin-Kreuzberg
Stefan Heidenreich ist Medientheoretiker und Kunstkritiker und lebt in Berlin
Was ist Ihre Meinung?
Kommentare einblendenDiskutieren Sie mit.