Das Beben der Jüngeren

Lauschangriff Die einen sagen, im Jazz geben seit einem halben Jahrhundert dieselben Namen den Ton an. Die anderen sagen, stimmt nicht. Am Ende ist alles eine Frage der Intensität

Sonny Rollins, Herbie Hancock, Wayne Shorter – immer wieder dieselben Namen, seit einem halben Jahrhundert. Von alten Männern ist die Rede, wenn es um Jazz geht, oft auch von solchen, die lange tot sind: John Coltrane, Charlie Parker, Miles Davis, Chet Baker, Duke Ellington, gar Louis Armstrong.

Daneben gibt es eine große Zahl an früh vergreisten Kunstwärtern, Heerscharen von Absolventen der Jazzstudiengänge von Berklee bis Weimar, die – wie Pat Metheny gerne anmerkt – zwar „die Vokabeln des Jazz gelernt haben, aber in dieser Sprache nichts zu sagen haben“. Alte Männer versus begabte, aber kantenlose Eleven – so könnte man den Jazz sehen.

Aus der Ferne.

„Jazz is not dead, it just smells funny.“ Frank Zappas Bonmot über den Zustand der Kunstform verströmt längst selbst ein reichlich unfrisches Aroma. Denn es gibt eben auch noch die anderen, die jungen, die frischen Musiker. Es gibt sie dort, wo die Musik entsteht, wo kein teures Studio-Equipment auf die Uhr weist, keine berühmten Produzenten Renditen kalkulieren und keine Gastsolisten über die ausstehende Miete sinnieren. Und allen Unkenrufen zum Trotz ist noch immer New York der Ort, wo diese Musiker aufeinander treffen – damit es zu den musikalischen Reaktionen kommen kann, die Wirkung hinterlassen.

So wie vor 40 Jahren in Sam Rivers’ Loft in Manhattan sind es auch heute eher kleinere, eher unscheinbare Orte, in denen sich diese Musiker treffen. Mal ein Club, mal ein Proberaum, mal ein Wohnzimmer, mal eine Werkstatt, mal auch bei einem kleineren Festival. Im Untergrund hat sich diese Szene auf eine Weise konsolidiert, dass die Frage nach ihrem Geruch fast zu vergessen ist.

Die Musik ist das Ziel

Das musikalische Niveau dieser Musiker ist so hoch, wie das wirtschaftliche Potenzial ihrer Musik gering ist: Musiker wie die Saxofonisten Steve Lehman und Jon Irabagon, die Trompeter Peter Evans und Taylor Ho Bynum, die Gitarristin Mary Halvorson, der Bigband-Arrangeur Darcy James Argue – sie alle beherrschen ihr Handwerk und lassen keinen Zweifel an der Berechtigung von technischer Brillanz. Sie haben von der Verbreitung der Jazzpädagogik profitiert, an Musikhochschulen eine erstklassige Ausbildung genossen und durch die Begegnung mit Protagonisten der verschiedenen Avantgarden wie Anthony Braxton oder Jackie McLean etwas aufgenommen, das sie weitertreibt.

Der Jazz ist hier nicht mehr der eine zentrale Referenzpunkt. Im Gegensatz zu früheren Generationen von Erneuerern, die sich von den Verfechtern der reinen Lehre in fruchtlose Debatten um Stilfragen verwickeln ließen und ihre Improvisationsmusik immer stärker von den Dramaturgien des Jazz abgrenzten, sehen diese Jüngeren den Jazz als ein historisches Modell unter anderen. Er liegt ihnen besonders am Herzen, und sie erkennen seine Errungenschaften neidlos an. Doch das Ziel ist eine Musik, in der Platz ist für die verschiedenen Einflüsse, die sich in jeder musikalischen Persönlichkeit amalgamieren – dazu mag der Rock eines Jimi Hendrix gehören wie der Swing eines Duke Ellington, das Experimentieren mit Schichten von Obertönen oder abstrakten Zahlensystemen, die Kinetik von Tanzmusik oder kammermusikalisches Spiel. Alles ist möglich für diese Musiker – innerhalb der Formensprache des Jazz, jenseits dieser Formensprache und an ihren Schnittstellen zu anderen Bereichen der Musik.

Und möglicherweise ist die Intensität, die sie über alle Szenenwechsel hinweg tragen, das Merkmal, an dem abzulesen ist, dass die Sparte der Musik, die man Jazz zu nennen gewohnt ist, vital ist wie selten zuvor.

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