Der Mann hat zwei Eigenschaften, die einer Karriere bei den baden-württembergischen Sozialdemokraten eigentlich entgegenstehen: Optimismus und gute Laune. Bewahrt hat er sie auch deshalb, weil er für den sattsam bekannten Blues der Südwest-SPD nichts kann – noch nicht. Dazu ist Nils Schmid zu jung und noch zu kurz an der Spitze. Wer weiß, vielleicht wird er derjenige sein, der den Landesverband auf Dauer aus seiner Misere herausholt. Denn eines steht ja nun mal fest: Kaum führt dieser freundliche 37-Jährige die Partei, seit 16 Monaten erst, schon regiert die SPD das Land – diese fast 60 Jahre lang uneinnehmbar geglaubte schwarze Festung Baden-Württemberg.
Um genau zu sein: Die SPD regiert es mit. Und das nach einem historisch schlechten Landtag
en Landtagswahlergebnis von 23 Prozent auch bloß als Juniorpartner der Grünen. Und selbstverständlich erst, wenn die in dieser Woche begonnenen, durchaus kniffligen Koalitionsverhandlungen der beiden Parteien Ende des Monats zum Erfolg geführt haben werden. Woran allerdings kaum einer zweifelt.Juniorpartner – ganz fremd ist den Sozialdemokraten in Baden-Württemberg das Gefühl ja nicht. Schon zweimal seit 1952 brauchte die Haupt- und Staatspartei CDU die SPD zur Mehrheit – zuletzt Anfang der neunziger Jahre, als die Asyldebatte zehn Prozent Rechtsradikale in den Landtag spülte. Zwar ließen die Unionsgranden um Erwin Teufel den Partner stets wissen, dass das Ganze nur ein Betriebsunfall sei, und bremsten die roten Minister aus. Dennoch schien die SPD mit dieser Konstellation gedanklich besser klar zu kommen als mit der – seit vergangenen Herbst sich abzeichnenden – Möglichkeit von Grün-Rot.Belehrungen im WahlkampfWas musste Nils Schmid sich da nicht alles an Belehrungen anhören im Wahlkampf, auch von den eigenen Leuten: das Schröder’sche Koch- und Kellner-Theorem, oder der Hund, der mit dem Schwanz zu wedeln habe statt umgekehrt. Und noch am Wahlabend wunderten sich Beobachter und Genossen angesichts der Kräfteverhältnisse: Wie kann der Mensch nur so fröhlich sein?Opposition sei Mist, hat weiland Franz Müntefering gesagt, regieren sei besser, und deshalb sieht Schmid keinen Grund zur Verzagtheit. Gewiss, die Grünen stellen den Ministerpräsidenten und die SPD nur den Vize, das ist die Sensation der Republik. Aber davon abgesehen ist das Bündnis eines „auf Augenhöhe“, wie vor allem Schmid nicht müde wird zu betonen. Sein grüner Kompagnon Winfried Kretschmann ist so klug, ihm da nicht zu widersprechen. Dass der künftige stellvertretende Ministerpräsident auch der wichtigste Minister im Kabinett sein wird, war rasch klar. Der Jurist Schmid hat sich als Finanzpolitiker der SPD-Fraktion einen guten Ruf erarbeitet. Wenn er das Finanzministerium übernähme, würde das niemanden überraschen.Dort warten auf ihn allerdings zwei Großbaustellen, die jedem Haushaltsplaner den Schweiß auf die Stirne treiben: der keineswegs geschlichtete Großkonflikt um das Tiefbahnhofprojekt Stuttgart 21 und der – dank dem Ex-Ministerpräsidenten Stefan Mappus – neuerdings wieder volkseigene Betrieb Energie Baden-Württemberg (EnBW). Beim Bahnhof kommen aufs Land, je nachdem, wie die von Schmid forcierte Volksbefragung ausgeht, gigantische Regresskosten für einen Ausstieg oder aber Nachrüstkosten zu. Und die Aktien des Atomstromkonzerns EnBW sinken schon jetzt rapide, Folge der Energiewende weg vom Atom nach dem Fukushima-Schock.Paradoxerweise müssten Grüne und Rote im Land entgegen ihren Glaubenssätzen an den Atomkraftwerken der EnBW festhalten, damit die Rendite nicht allzu tief in den Keller rauscht, und an einen profitablen Weiterverkauf des Unternehmens erst recht nicht zu denken ist. Und wird sich der Konzern – wie überhaupt die schwarz geprägte Verwaltung – von der neuen politischen Führung in Stuttgart hineinreden lassen oder heimlich Obstruktion betreiben?Kein CDU-AllergikerSchmid selber ist kein CDU-Allergiker. Studiert und promoviert hat der gebürtige Trierer und heutige Nürtinger 2006 beim unionsnahen Tübinger Ordinarius Ferdinand Kirchhof, mit summa cum laude. Als im Februar die Guttenberg-Plagiatsaffäre hochkochte, stellte Nils Schmid seine Arbeit mit demonstrativer Gelassenheit den Rechercheuren von Wikiplag zur Verfügung – ohne Befund. Das sei, schmunzelt er, auch kein Wunder angesichts des wenig abschreibefreundlichen Themas „Staatliches Liegenschaftsmanagement, Staatsverschuldung und Staatsvermögen“.Diese Art von Humor schätzen die Genossen an ihrem neuen Star. Unterscheidet sich das doch erheblich von früheren Vorleuten der Landes-SPD wie Erhard Eppler, Ulrich Maurer (inzwischen Linkspartei) oder Ute Vogt, die – jede und jeder auf seine oder ihre Art – vor allem bemüht waren, innerparteiliche Gegner ausfindig zu machen und die Schuld an ihrer Oppositionsmisere mal der Union, den Grünen oder den Medien zuzuschreiben.Parteifreunde, die ihm nahestehen, sehen in Schmids Ehefrau Tülay einen begünstigenden Faktor seiner Ausgeglichenheit. Die Mittdreißigerin mit türkischen Wurzeln, die ein Kind mit in die Ehe brachte und ein weiteres mit Schmid gemeinsam hat, ist für ihn „mein angeheirateter Migrationshintergrund“, wie er im Wahlkampf sagte. Als einer der ersten gratulierte ihm am Wahlabend in der Landtagslobby denn auch der türkische Generalkonsul – Nils Schmid bedankte sich, in fließendem Türkisch.