Bitte zu Tisch!

Zerfleischeslust Die junge Austro-Literatur übt sich im Heimat-Sezieren

Und damit sie es nur ja nie mehr vergessen, wie schön, schön Österreich ist, müssen schon die österreichischen Schulkinder hundertmal, hundertmal schreiben, Österreich ist schön." Der Eröffnungstext stammt zwar von dem längst etablierten Franzobel. Doch noch den jüngsten der in ihrem Buch versammelten Autoren sei das Streben nach "Wirklichkeitsdeformation" zu eigen, wie sie der Triestiner Dichter Claudio Magris als poetisches Ziel formuliert habe, meint Karin Fleischanderl, Publizistin in Wien und Herausgeberin der Anthologie Zum Glück gibt´s Österreich!.

Zwar verformen und entstellen die insgesamt 25 Schriftsteller häufig mit viel Verve das Selbstbild des Landes, doch die im Titel anklingende Ironie will auf den schmalen Band nicht recht passen. Denn das typisch Biedermeierische der k.u.k.-Glanzzeit des 19. Jahrhunderts mag sich an der Donau bis heute in das gesellschaftliche Leben der Politik, der Universitäten und der Eliten hinein verzweigen, in der Austro-Kunst wird aber schon längst gerne Tacheles geredet. Aggression und hilflos anmutende Wut über das Leben in einem Land, das mit Wörtern wie "untätig", "Ausgeliefertheit" und "ungelüftet" charakterisiert zu werden scheint, spricht etwa aus dem Beitrag von Xaver Bayer: "Wann ist endlich Krieg, bitte schön? Ich kann es nicht erwarten, ins Feld zu ziehen und zu fallen. Alles muss da klarer sein, bedeutungsvoller."

In ihrer Analyse des österreichischen Seins-Zustands sind die besten Texte der Anthologie so schonungslos wie gefühlskalt. Der aus Bosnien-Herzegowina nach Wien gekommene Denis Mikan führt etwa die tranig-gelangweilte Szenesprache der Hauptstadt derart gekonnt vor, dass man sich wirklich wie im typischen Lokal fühlt, in dessen Ecke irgendein DJ mit steinerner Miene irgendwas Elektronisches auflegt, während neben den halbleeren Biergläsern auf jedem Tisch unzählige bunte Flyer liegen. Und trotzdem oder gerade deshalb ist jeder schlecht drauf. Es gilt, "eine Frau aufzutreiben", man will ihr "einfach irgendeinen Blödsinn erzählen", ist ein "mieser Erzähler", der versucht, "irgend etwas Blödes zu untermauern" - und vor dem Gastgarten rast dabei "ein Vollidiot mit seinem billigen Mazda Cabrio" durch die Gasse, aus dessen Wagenlautsprechern "ziemlich laut die neue widerwärtige Single von Eminem" dröhnt.

Die Gesellschaftskritik der Austro-Literatur hat sich offensichtlich endgültig vom Großen ins Kleine verlagert. Thomas Bernhard wurde bis in die achtziger Jahre nicht müde, gegen die "katholischen Nazis" zu Felde zu ziehen, die er überall im Land an den Hebeln der Macht wähnte. Mikan lässt seine abgehalfterte Figur hingegen nur achselzuckend sagen: "Er ist ein echter Nazi, sagt Walter, und ich verstehe ihn nicht ganz, denn ich kann mir nicht vorstellen, was es heißt, heute ein Nazi zu sein, aber wahrscheinlich meint er einfach, dass er ein Schwein ist."

Vom Schwein ist es nur ein Katzensprung zum Fleischer und zum Fleisch, das die Autoren am liebsten beschauen und als Metaphern-Spender nutzen. Es wird dem Leser buchstäblich Seite für Seite fett oder verwesend entgegen gehalten. "Sie ist sehr dick", sagt etwa der Erzähler des bosnischen Autors über seine Freundin, "sie kann einen wirklich befriedigen, mit Sex ist also alles in Ordnung, aber sobald ich glaube, Liebe zu erkennen, stellt sich die fette Fleischmasse zwischen uns". Bei Adolf Rami betritt jemand "wie jeden tag der woche die fleischerei meines fleischers", doch gerät er diesmal in Entsetzen, als der Meister einem seiner Kinder ein "halbes bein" abhackt und es dem Kunden über die Theke reicht. Der Ich-Erzähler aus Bernhard Strobels Text irrt lieber mit seinem Auto durch die schlaffe, träge Stadt, als zu seiner Freundin ins Bett zu kriechen, wo ihr "stinkender, erhitzter Körper" auf ihn wartet. Und Olga Flor führt in ihrer Kurzgeschichte Fleischgerichte die Zubereitung eines Bratens mit der sich anbahnenden Publikmachung der Perversionen des Hobbykochs im Freundeskreis parallel. Die von diesem nicht ernst genommene, fortwährend gedemütigte Freundin zeigt den geladenen Gästen ein Blatt Papier aus seiner Porno-Sammlung und klagt ihn schreiend als "Monster" an, dem sie ausgesetzt sei. Doch keiner nimmt Annegret ernst, man gibt ihr ein paar beruhigende Medikamente und wendet sich dann endlich dem wartenden Essen zu, obwohl das "Fleisch leider ein bisschen kalt geworden" ist. Aber "am Ende haben wir doch noch einen ganz netten Abend, nachdem Annegret eingeschlafen ist".

Die Fleischeslust steht bei den österreichischen Nachwuchsautoren für lustlos-gelangweilten oder brutal unterdrückenden Sex, für degeneriertes Völlern oder ganze vergeudete, dahinvegetierende Lebensläufe. "Mein Leben ist verschissen bis oben hin und ich komm nicht raus", steht da kantig in Peter Landerls "Notizheft", "nichts für Ästheten und Schwärmer, eher für Fleischhauer". "nach getaner arbeit schließen wir uns in der badehütte ein und haben sex miteinander", schreibt Kathrin Resetarits in ihrem Beitrag namens "ich weiß, warum ich so fröhlich bin". Doch die Körper-Freude erlebt nichts als ihre nüchterne Abkanzelung - "heute probieren wir etwas neues aus, und es gelingt." Den bösen Blick auf die Doppeldeutigkeit des sich am Fleische Labens treibt aber Antonia Rahofer auf die Spitze, die in ihrem Text von dem tödlichen Missbrauch einer Frau erzählt: "Eva, wirst von mir zu Boden gerissen, an mich gedrückt", und danach die Täter an die Tafel bittet: "Zu Tisch bitte, nur zu Tische, ihr müden Krieger."

Die in aller Regel mit präziser Sprache ausgeführten Schnitte durch den abgestumpften Körper ihres fleischigen Landes führen die Nachwuchsautoren mit beklemmendem Nachdruck durch. Mehr denn je gilt: Kaum ein Land zerfleischt sich so wütend wie Österreich - und gewiss keines macht daraus eine so hohe Kunst.

Zum Glück gibt´s Österreich! Junge österreichische Literatur, herausgegeben von Karin Fleischanderl und Gustav Ernst. Klaus Wagenbach, Berlin 2003, 137 S., 9,90 EUR

Der digitale Freitag

Mit Lust am guten Argument

Verändern Sie mit guten Argumenten die Welt. Testen Sie den Freitag in Ihrem bevorzugten Format — kostenlos.

Print

Die wichtigsten Seiten zum Weltgeschehen auf Papier: Holen Sie sich den Freitag jede Woche nach Hause.

Jetzt kostenlos testen

Digital

Ohne Limits auf dem Gerät Ihrer Wahl: Entdecken Sie Freitag+ auf unserer Website und lesen Sie jede Ausgabe als E-Paper.

Jetzt kostenlos testen

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Unabhängiger und kritischer Journalismus braucht aber Unterstützung. Wir freuen uns daher, wenn Sie den Freitag abonnieren und dabei mithelfen, eine vielfältige Medienlandschaft zu erhalten. Dafür bedanken wir uns schon jetzt bei Ihnen!

Jetzt kostenlos testen

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden