Die Berufsjugendlichen

Vom sprechenden Totenkopf zum Hexenhandy Seit den sechziger Jahren erlangen die Kriminalhörspiele "Die drei ???" zunehmend Kultstatus

Einen großen, populären Mythos zu schaffen, bedeutet, einen Kult oder ein Ritual zu kreieren, das der Leser ungeduldig erwartet, auf das er sich mit wachsender Lust freut, jedes Mal bezaubert von einer neuen Wiederholung mit leicht veränderten Worten, die er als eine neue Vertiefung empfindet." Michel Houellebecq hat dies zwar über Conan Doyle geschrieben, doch wäre es für Die drei ??? wohl angemessener. Denn als Sir Arthur starb, ging eine "Welle resignierender Trauer um die ganze Welt": "Man würde sich nun mit den knapp sechzig vorhandenen Sherlock Holmes begnügen müssen, sie lesen und immer wieder lesen." Doch die Drei Fragezeichen leben immer noch - seit über einhundert Folgen. Vor allem die Hörbuchversionen ihrer Kriminalfälle erfreuen sich derzeit einer Beliebtheit, für die das Wort Kult fast zu tief gegriffen scheint. Obwohl ihr "Schöpfer" Alfred Hitchcock seit 1980 tot ist.

Dieser Name umrankt als prominentestes, wenn auch plumpes Geheimnis die drei Junior-Detektive, deren zunächst nur in Büchern und etwa zehn Jahre später erstmals auch in Hörspielen aufgezeichnete Schritte die Fans jedes Mal neu in ihren Bann ziehen. Der Vögel-Regisseur hat nämlich niemals eines der Vorwörter zu den Abenteuern verfasst und genauso wenig dem Kassetten-Zuhörer während der Geschichte Tipps und Anregungen zum Lösen der Rätsel gegeben. Vermutlich hat der Altmeister des Thrillers nie ein Wort über diese kindlichen Verbrecherjäger verloren oder auch nur gehört. Ein großes Verlagshaus bezahlte einfach nur eine Lizenzgebühr, um den berühmten amerikanischen Namen verwenden zu dürfen: Random House.

So ist der Ursprung U.S.A. wenigstens richtig. 1964 veröffentlichte hier ein gewisser Robert Arthur - nur klein als "Erzähler" unter der großen, bekannten Person vermerkt - ein Buch namens The Three Investigators in The Secret of Terror Castle. Bis zu seinem frühen Tod fünf Jahre später schreibt er noch neun weitere Bücher. Ein Jahr zuvor, 1968, erscheint das erste ???-Buch in Deutschland: Das Gespensterschloss. Dass der Schöpfer der drei Detektive, der in der Fan-Gemeinde heutzutage einen Übervater-Kultstatus genießt, verstarb, war im Gegensatz zu Doyle kein unlösbares Problem. Andere Kollegen sprangen einfach für ihn ein - natürlich ebenfalls nur klein unter dem prominenten vermeintlichen Autor Hitchcock angegeben. Kaum ein Kind dürfte den Unterschied je bemerkt haben.

Was die Reihe in Deutschland zum wirklichen Verkaufsschlager machte, waren aber weniger die ???-Bücher als die Hörspiele in Form von Kassetten in der charakteristischen roten Hülle oder gar als tiefschwarze Schallplatten. Am 12. Oktober 1979, so auf der nach dem irgendwo an der kalifornischen Küste gelegenen ???-Heimatort benannten Fansite www.rocky-beach.com, brachte das Label "Europa" die erste Hörspieladaption eines Abenteuers mit den Junior-Detektiven heraus. Die ???-Sprecher Oliver Rohrbeck, Jens Wawrczeck und Andreas Fröhlich sind damals noch Kinder.

Vor sechs oder sieben Jahren gab es einen entscheidenden Einschnitt, erzählt Oliver Rohrbeck im Interview auf der Bonus-DVD Das Museum, die im Vorjahr zur Feier der 100. Folge herausgekommen ist. Die Sprecher kamen mehr und mehr dahinter, dass es Tausende von Fans gibt, die die Hörspiele ganz genau anhören, inhaltliche und akustische Fehler bemängeln oder sich in Internet-Foren darüber austauschen, wo etwa die Toteninsel liegen oder welche Kassette einen am besten in den Schlaf wiegen könnte (beruhigend: Die Silbermine, zu gruselig: Die silberne Spinne). Und sie bekamen nach fast 20 Jahren wieder mit, was es eigentlich für eine Auszeichnung ist, den beliebten Detektiven Leben einhauchen zu können. Man begann, auf die Charaktere Einfluss zu nehmen, sie mit zu gestalten. So ist Andreas Fröhlich stolz darauf, seinen Bob Andrews, der früher nur für Recherchen und Archiv zuständig war und sich fast ausschließlich in Bibliotheken herumtreiben musste, zum vollwertigen dritten Detektiv gemacht zu haben.

Selbst einem ???-Amateur, der nur in ein paar von den Folgen aus den Achtzigern und dann in zwei oder drei CDs aus der Gegenwart hineinhört, muss auffallen, welche Meister da am Werk sind. Männer, die beim besten Willen nicht mehr als jung anzusprechen sind, können Stimmen erzeugen, die im Laufe zweier Jahrzehnte glaubwürdig nur sechs oder sieben Jahre gealtert sind. So wurden in der Fiktion aus den Kindern Teenager, die für die Aufklärung eines Falls schon mal in die Disco müssen, wo ihnen Drogen angeboten werden. Auch die Ausstattung ihrer hinter Bergen von Schrott uneinnehmbar verborgenen "Zentrale" - locus amoenus eines jeden Kindes, das von Eltern und Schule die Nase voll hat - wandelte sich im Laufe der Zeiten: Wo sich früher nur ein altes Telefon, eine Schreibmaschine und ein kleines Labor mit Mikroskop befanden, sind nun ein Anrufbeantworter, ein Faxgerät und ein Computer mit Internetzugang eingezwängt. "Habt ihr zum Beispiel gewusst, dass es sogar eine Rocky Beach-Homepage gibt?" fragt Justus seine Kollegen in Geheimakte Ufo. Kommen die Drei ??? heutzutage durch einen der geheimen Zugänge in ihren Wohnwagen hinein, legen sie ihre Handys auf den Tisch, warten auf eine SMS und reden über Peters Auto, das allzu oft nicht anspringt.

Zweifellos wäre die Bücherserie ohne das Hörspiellabel "Europa" niemals so kultig geworden, wie sie es heute ist, viel erfolgreicher übrigens als im Heimatland der Three Investigators. Wenn nun etwa auch in Polen eigene Autoren ???-Abenteuer auf den Markt bringen, so darf Deutschland doch bislang unangefochten den ersten Beliebtheits-Platz für sich beanspruchen. Seit Jahren haben die besseren Flohmärkte zwischen Flensburg und Augsburg eigene Stände für die roten MCs: Manche der alten mit der ersten Intro-Musik - auf die man später wegen eines Rechtsstreits verzichten musste - kosten beeindruckende Summen. Ein Stück Hörspielgeschichte wird hier verkauft oder getauscht, die aber immer noch lebt. Im Januar ist Folge 107 (Der Schatz der Mönche) erschienen und seit April geht die ??? live and unplugged-Tour weiter.

Bleibt die Frage, was gerade diese Serie eigentlich so beliebt macht, dass in den Siebzigern sogar dtv ???-Bücher herausbrachte und in der Schweiz 1989 mit der Produktion von Mundart-Hörspielen begonnen wurde. Was lässt zum Beispiel einen nachnamenlosen Pepe im Internetforum grübeln, er könne sich "zwar vorstellen, dass Bob und Elisabeth auseinander sind und er jetzt was an Jelena findet, aber was ist mit Lys und Kelly"? Und wieso fordert "Fusti" zustimmend und voller Hörer-Eifer: "Wir wollen lediglich endlich Erleuchtung finden, wollen wissen, welche Paare faktisch noch existieren und welche unglücklicherweise in die Annalen der Geschichte eingegangen sind!"

Rocky Beach ist eine beschauliche, fast dörfliche Welt. Alles hat hier seinen festen Platz. Beinahe immer sind Schulferien, hinter jeder Ecke lauert stets etwas Spannendes, kein Rätsel bleibt undurchschaubar, kein Fall unlösbar. Für die älteren Fans, die 1979 so alt waren wie die Sprecher damals, ist in den Geschichten eine melancholisch-behagliche Erinnerung an die Kindheit eingespeichert. Früher mögen sie verschämt die Tapes in den Kassettenrekorder gelegt haben, um gut zu schlafen oder die Langeweile einer Grippe zu überdauern. Heute schlägt das Internet Brücken: "Viele ältere Fans erkennen: Ich bin nicht allein", vermerkt www.rocky-beach.com selbstbewusst. Die Seite zählte seit 1998 1.326.187 Besucher. Allein sind wahrscheinlich auch viele Menschen nicht, in denen zumindest auf kleiner Flamme eine gewisse Sehnsucht nach Kontinuität lodert, nach einer Welt, die einerseits immer noch voller Geheimnisse ist und in der man andererseits im Abenteuer-Taumel aber immer weiß, auf wen man sich verlassen kann - ohne Wenn und Aber. Und auf wen nicht. Der ???-Erzfeind Skinny Norris fehlte zwar viele Folgen lang, feierte in Nummer 100 aber ein von Fanseite lang ersehntes Comeback.

Seit diesem Frühjahr schreiben wieder vier deutsche Ghostwriter für Alfred Hitchcock und sorgen dafür, dass Rocky Beach behutsam mit der Zeit geht. Und nebenbei auch dafür, dass der Regisseur als Autor unsterblich bleibt. Schließlich ziert sein Konterfei bei uns heute noch jedes Cover.

Die ??? live and unplugged-Tour in Ostdeutschland: Berlin, 10. 5. 2003, Museumsinsel. Jena, 13.5., Volkshaus

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