Die Seele sitzt in den Reifen

Königreich Bahrain Öl und Wasser versiegen - stattdessen schießen Banken und Shopping Malls aus dem Boden

Die Insel zählt nicht einmal eine Million Einwohner, mit ihren 620 Quadratkilometern ist sie gerade so groß wie die zwischen Irland und England liegende Isle of Man. Trotzdem scheint in Bahrain jeder mindestens ein Auto - am liebsten einen Chevy - zu besitzen, mit dem er über eine das ganze Land durchquerende Piste jagen kann. "Busse", sagt eine Touristenführerin auf Nachfrage, "gibt es hier schon, sie kommen auch pünktlich und bringen einen überall hin. Doch wer darauf angewiesen bleibt, ist arm." Fahrräder sind keine zu sehen.

Das Öl ist den Bewohnern von Bahrain vor kurzem zwar ausgegangen, doch erhalten sie es jetzt - angeblich umsonst - vom großen Bruder Saudi-Arabien. Folglich ist eines der Bauwerke, auf das man mit besonderem Stolz blickt, der 25 Kilometer lange King Fahd Causeway, der beide Staaten über das Wasser hinweg verbindet. Vorzugsweise an Donnerstagen kommen die Saudis zum Wochenende scharenweise über die Brücke, denn Bahrain ist liberal, westlich, in Maßen tolerant, nicht nur Alkohol lässt sich umstandslos kaufen, es gibt Kinos und Klubs. Wenn allerdings die kleine Insel mit dem eigenem Königshaus und der großen Autoflotte so sehr von der Geberlaune der Mächtigen und Unnahbaren in Riad abhängig ist, wirft das die Frage auf, ob sich die Spender nur einen Freizeitpark halten oder geneigt sein könnten, irgendwann per wirtschaftlicher Übermacht mehr religiöse Askese zu erzwingen. Auf dass die Regeln des Islam auch in Bahrain so streng befolgt werden wie im Reich der Wahhabiten.

Den Westen sieht man so, wie man sich den Westen vorstellt

In Bahrain freilich scheint man sich diese Frage vorerst so nicht zu stellen. Und wie der Umgang unter arabischen Brüdern - unter Arabern überhaupt - funktionieren mag, verstehe man als Außenstehender ohnehin nicht, wird einem bedeutet. In Bahrain gehen die Uhren anders, steht lapidar im Reiseführer, der an der Hotelrezeption umsonst zu haben ist: Individualismus gilt wenig, Familie gilt viel. Männer tragen zumeist noch das traditionelle weiße Gewand, das wenig modische Ausschweifungen erlaubt. Stilbewusstsein lässt sich nur an den Manschettenknöpfen ablesen. Von den Frauen und ihrem einförmigen Schwarz steht nichts im "Bahrain-Guide".

Umgekehrt sieht und lebt man den Westen hier so, wie man sich den Westen vorstellt, in der Hauptsache amerikanisch. Damit ist eher der Mittlere Westen gemeint als New York und die Ostküste - allenthalben Highways, Shopping Malls, Drive Ins, auch wenn die Wurzeln in Wahrheit eher nach Großbritannien reichen, das Bahrain nicht nur die Steckdosen mit den drei rechteckigen Löchern vererbt hat, sondern gleichermaßen Teesorten, Schuluniformen und Zeremonien.

Seit 1861 britisches Protektorat, ist die Geschichte der Insel von Auflehnung gegen den Iran geprägt, der immer wieder Anspruch auf den vermeintlich Schutzbedürftigen erhob und ihn 1957 gar zur 14. Provinz des Landes erklärte - allerdings ohne einen Fuß auf die Insel zu setzen. Das Ende des Zweiten Weltkrieges sorgte für anti-britische Gefühle in Bahrain, es gab Aufstände. Bis man 1971 aus dem Empire in die Unabhängigkeit ausscherte, sich arabisch definierte und dem Persischen verweigerte, ohne jedoch den seinerzeit gerade entstehenden Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE) beizutreten.

1981 versuchte der Iran, seine zwei Jahre zuvor begonnene Islamische Revolution in die 14. Provinz zu tragen, doch die Islamic Front for the Liberation of Bahrain scheiterte mit ihrem Putsch. Nicht so das Vereinigte Königreich mit seinem Versuch, tradierte Einflüsse zu konservieren. Briten benötigen bis heute - im Gegensatz zu US-Bürgern - kein Visum zur Einreise. Die Präsenz des ehemaligen Mutterlandes bleibt an vielen Stellen sichtbar und trägt in den großen Shopping Malls ausnehmend plakative Züge.

Darinnen weht ein eisiger Wind, um die 40 Grad im Wüstensand vergessen zu lassen: Marks Spencer ist hier ebenso ansässig wie Debenhams, die Oxford Street lässt grüßen, auch Salt Vinegar Chips sind erhältlich. Es fehlt lediglich der unvermeidliche Souvenirshop mit den kleinen roten Bussen. Am Meeresrand zieht indessen HSBC - die britische Bank war im November 2003 Ziel eines Anschlags islamischer Fundamentalisten in Istanbul - ihr neues Bahrain-Headquarter hoch. Es muss Meeres-Rand heißen, Meeres-Strand wäre falsch, denn Bahrain hat keinen weit und breit. Angeblich gibt es irgendwo den Privatstrand eines Hotels, der aber nicht öffentlich zugänglich sein soll. Überraschend für eine Insel, aber wir haben es hier überall mit Bauland zu tun. Und Bauen hat Vorrang, besonders im so genannten Financial Harbour, einem Großprojekt, das sich als Frankfurt/Main in Middle East empfiehlt und in architektonischer Hinsicht einen Schuss entseelter Geschraubtheit à la Potsdamer Platz in Berlin nicht verhehlen kann.

Das Marathonlaufen freilich spart man sich besser

Die Seele Bahrains sitzt eben in den Reifen. Während er über die Autobahn durch die Hitze tourt, vorbei an zersiedelten, zerdehnten Orten, von denen die Hauptstadt Manama umgeben ist, erklärt der Fahrer des Landrover, über die eine Strecke erreiche man die gigantische Brücke nach Saudi-Arabien, über die andere den Formel-Eins-Ring. Er sagt das, als gäbe es nur diese beiden Möglichkeiten, und scheint damit nicht im Unrecht zu sein. In einiger Entfernung ist eine in drakonisches Schwarz gehüllte Frau zu sehen, die sich gegen den Wind stemmt - aber sonst weit und breit nichts als Wüste. Am Formel-Eins-Gelände, bevor man in die eisige Kälte des VIP Towers eintaucht, fühlt man für einen Moment, dass dieser Wind nicht die geringste Abkühlung bringt.

Eine kleine, kreischige Britin mit bunten Finger- und Zehennägeln steht am Eingang und erklärt während der Fahrt im Aufzug, welch große Erfolge die Formel Eins hier feiern könne. Bahrain sei als erstes Land der Region auserkoren, dieses "global spectacle" auszurichten. 2004 zum ersten Mal. Auf der Aussichtsterrasse des VIP Towers angekommen, überblickt man diesen Parcours der geschwungenen teerschwarzen Kurven mitten in der Wüste nur mit einiger Mühe. "34.000 Leute können hier ein Renen verfolgen", lacht die Britin, breitet die Arme aus und weist auf überdachte Ränge. Weiter hinten gebe es noch einen "offroad track", wo man es als Tourist wagen könne, einen Geländewagen auf robuster Strecke einem harten Test zu unterziehen.

2003 wurde der "Bahrain International Circuit" vollendet - ein Jahr, nachdem Frauen in diesem Königreich zum ersten Mal an die Wahlurnen treten durften, allerdings ohne Aussicht darauf, dass eine von ihnen im Parlament vertreten sein würde, dessen Sitze mehrheitlich zwischen Schiiten und Sunniten aufgeteilt werden. Bis auf weiteres ist den Frauen wohl das aktive, nicht aber das passive Wahlrecht zugestanden.

"Ich wohne hier schon seit den siebziger Jahren", erzählt ein Event-Manager für Bahrain-Besucher, der aus der englischen Grafschaft Shropshire kommt und kein Arabisch spricht, weil man es kaum brauche. "Ab Oktober sinken die Temperaturen spürbar, dann wird es richtig angenehm. Und die Leute sind überaus gastfreundlich, typisch arabisch." Er erzählt vom Formel-Eins-Spaß, den man in Bahrain haben, und von all den schönen Dingen, die man hier kaufen könne. Was sein Lobgesang ausspart, ist der Umstand, dass noch in den neunziger Jahren schwere Unruhen Dutzende Todesopfer forderten, weil schiitische Islamisten dagegen Sturm liefen, dass Frauen an einem Marathonlauf teilnehmen durften.

Bahrain gibt sich betont liberal, aber was heißt das schon? Wer durch eine große Shopping Mall schlendert, dem fällt nach kurzer Zeit auf, das mindestens vier Fünftel der Frauen schwarz verhüllt und nicht allein unterwegs sind. "Dass die Frauen bei uns schwarz tragen sollen, ist eine sehr dumme Tradition, angesichts des Klimas, das wir hier haben", hört man vom Hotelportier. Diese Tradition gilt auch, wenn Frauen zum Essen ausgeführt werden. Für jeden Bissen wird der Schleier so angehoben, dass man trotzdem nichts vom Gesicht sehen kann - während der Begleiter ungerührt ein schwarzes T-Shirt präsentiert, auf dem eindrucksvoll die Flammen lodern.

Bahrain verfügt über bestens funktionierende Klimaanlagen und nach Kräften unterdrückte Konflikte, die auch ein prosperierender Financial Harbour nicht unbedingt lösen wird, sondern vielleicht eher auf den Punkt bringt. Denn je weiter sich das Land öffnet, desto mehr wird zu entscheiden sein, welche Macht der Tradition zugestanden bleibt.

Zu allem Übel werden auch noch die Wasserressourcen zusehends knapper. Beim Besuch eines Golfplatzes kann man sich das kaum vorstellen. Mitten in der Wüste gelegen, ist das Gras so grün und saftig wie auf der Isle of Man. Im angrenzenden Restaurant sitzen ein paar britische Touristen, die das Pintglas zügig zum Mund führen, während im Fernsehen ein Sportkanal sendet. Sport und Tourismus gelten als Zukunftsbranchen, das zeigt nicht zuletzt die "Formel Eins", die etwas von der großen weiten Welt nach Bahrain hinein wehen lässt. Das Marathonlaufen freilich spart man sich besser.


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