Igendwann musste es kommen: eine Dokusoap über den Umzug von Bonnern nach Berlin. Denn Dokusoaps sind derzeit angesagt, und der Reiz für eine dokumentarische Betrachtung des Umzugs liegt auf der flachen Hand. Zum einen geschieht etwas, das man konkret zeigen kann: Menschen verlassen ihre Heimat und müssen sich in neuen Verhältnissen zurecht finden. Gleichzeitig ist dies eine Art Metapher für das grosse Ganze: Abschied von der gemütlichen Bonner Republik, in der man sich auskannte, hinein in die Ungewissheit der Berliner Republik.
Dokusoaps, als Serien konzipierte dokumentarische Arbeiten, sind zur Zeit in Mode, etwa so wie Reality TV Anfang der neunziger Jahre, als nachinszenierte Realgeschichten plötzlich Zielpunkt der gesamten TV-Entwicklung zu sein schi
sein schienen. Der Spuk dauerte zwei, drei Jahre, dann verschwand das Reality TV noch schneller, als es entstanden war.Die Dokusoap ist als Genre gewissermassen das Pendant zum Reality TV: Dort ging es um fiktive Bilder, die ein reales Geschehen, meist nach Polizeiberichten, nachstellten - hier um dokumentarische Bilder, die wie eine fiktive Geschichte, wie ein Spielfilm arrangiert werden sollen. Dokusoaps sind Zwitter, die sich ästethtisch aus zwei denkbar unterschiedlichen Genres bedienen: dem Feature, schnell geschnitten, mit möglichst (ein-) gängigen Mitteln erzählt, und dem Dokumentarfilm, der, wenn er sich ernst nimmt, so etwas wie Kunst sein will. Damit haben Dokusoaps eine Art doppelte Verheißung (und das erklärt vielleicht den Boom des Genres): unterhaltsamer zu sein als das sperrige Dokumentarische und gleichzeitig doch dessen Authentizitätsversprechen einzulösen. Man sieht echte Menschen mit echten Problemen. Das Bedürfnis nach Echtem im Fernsehen wächst aus zweierlei Wurzeln: einer medialem und einer gesellschaftlichen. Medial gewinnt das Echte an Bedeutung, je mehr die digitale Bildbearbeitung die Referenz des Zeichens im Wirklichen fragwürdig macht. Und gesellschaftlich mag es sein, dass, je zerklüfteter die Arbeitwelt wird, je mehr wir uns daran gewöhnen, unseren Job und Lebenstil zu ändern, und je mehr »Bastelbiographien« existieren, der Wunsch nach Selbstversicherung wächst. Der »flexible Mensch«, den der US-Soziologe Richard Sennett als Hervorbringung des induvidualisierten Kapitalismus sieht, mag ein gesteigertes Bedürfnis empfinden, sich in den in dokumentarischen Bildern bewältigten Lebens selbst zu verstehen. Allerdings müssen diese Bilder am besten so aussehen, wie man es aus dem Fernsehen gewohnt ist.Jean Boues Vierteiler »Neue Heimat Berlin«, den Arte diese Woche zeigte, ist ein Beispiel für Möglichkeiten und Schwächen der Dokusoap. Zu sehen waren, in viermal 25 Minuten, ein halbes Dutzend Figuren. Eine Familie zieht aus dem Rheinischen nach Oranienburg, doch das Haus ist noch nicht fertig. Dem Fahrer von Wolfgang Gerhardt kommt Berlin ganz furchtbar vor, außerdem findet er keine billige Wohnung in Stadtmitte mit Tiefgarage, was er für eine Art persönlicher Beleidigung hält. Der Pförtner beim Bundestag will keinesfalls nach Berlin, doch in Bonn findet er keine neue Arbeit. So wird er pendeln müssen, 1200 Kilometer jedes Wochenende. »Ich bin Rheinländer« sagt er mit traurigem Trotz. Die kurze, serielle Form ist für eine Langzeitbeobachtung beschwerlich, denn die Figuren müssen in jeder Folge neu vorgestellt werden. Mehr ins Gewicht fallen zwei andere Probleme, die auch der Doku-Soap-Form geschuldet sind: ein ästhetisches, ein dramaturgisches.Weil das Genre eingängig sein soll, erklärt jeweils am Beginn der Serien ein Kommentar, was geschah. Das wirkt eher unbeholfen. Und für ästhetische Anschlussfähigkeit an Vorabendserien soll ein Soundtrack sorgen, der, wie in jenen Serien als Geschmacksverstärker dient: Wenn sich ein Bonner mit Rosen bei der Kioskverkäuferin verabschiedet, bei der er 22 Jahre lang seine Zeitungen kaufte, hört man klebrige Synthesizer-Melancholie. Wenn es lustig werden soll, wird auch die Musik aufmunternd etc. Diese Sounduntermalung funktioniert als eine Art ear-catcher: je länger die Folgen dauern, umso weniger wurde, zum Glück, Musik eingesetzt.Die dramaturgische Problem ist: Es gibt ein gutes Dutzend Hauptfiguren, die unterschiedlich interessant sind. Der Familie, die so wenig Glück mit ihrem neuen Haus in Oranienburg hat, hätte das gleiche passieren können, wenn sie nach Lünen oder Elmshorn gezogen wäre. Um das Besondere zu finden, hätten die Dokumentaristen vielleicht die Kinder in der neuen Schule beobachten müssen, wo sie auch nach ein paar Wochen noch immer als die »Bonner« gelten. Doch das hätte Aufwand und Einlässlichkeit erfordert, für die in einer Doku soap vielleicht kein Platz ist. Anderes gelingt hingegen wie von selbst, vor allem wenn Angelika Doetsch, die im Bundestag die Presseakreditierungen macht, im Bild ist. Am Anfang sorgt sich ihr Mann, ob in Berlin die S-Bahnen wohl auch im Winter fahren. In der schönsten Szene des Films zieht das Ehepaar um. Es ist November in Lichterfelde, die S-Bahnen fahren zwar, aber der Karneval fehlt. So schauen sich die beiden, zwischen Umzugkisten in der neuen Wohnung im WDR die Weiberfastnacht an, prosten sich zu und schunkeln vor dem TV. So bitter kann die Diaspora sein. In diesem Bild ist »Neue Heimat Berlin« zusammengefasst.So gibt es in dieser Serie, trotz mancher Schwergängigkeit, manch hellen Augenblick. »Ich muss den Rhein riechen können« sagt der traurige Pförtner einmal. Dieses Beharren auf Heimat ist, in unseren flexiblen Zeiten, in denen jeder alles überall machen können soll, fast eine Geste des Widerstands.
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